POSITIONEN & THEMEN
Von Werner Rügemer (25.7.2012)
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit werden in den EU-Staaten die Arbeitsbeziehungen und Sozialsysteme weiter dereguliert, vulgo: »reformiert«. Den Deckmantel bieten Konstrukte wie »Rettungsschirme«, »Schuldenbremse« und »Fiskalpakt«. Tarifverträge werden ausgehebelt, Löhne und Renten gesenkt, Arbeitszeiten verlängert, befristete Verträge gefördert, der Kündigungsschutz weiter gelockert. Gleichzeitig wird der öffentliche Dienst weiter geschrumpft und privatisiert.
Angeblich sollen so Staatsschulden verringert und das wirtschaftliche Wachstum wieder angekurbelt werden. Doch die Ergebnisse sind, wie schon bei den »Deregulierungen« zuvor, ganz andere. Stefan Clauwaert und Isabelle Schömann haben für das Europäische Gewerkschaftsinstitut eine europaweite Auswertung erstellt. Das Fazit: »Ungleichheit und Unsicherheit nehmen explosionsartig zu«; die jetzt noch zahlreicheren prekären Arbeitsverhältnisse bleiben prekär und führen nicht zu mehr Beschäftigung und nicht zu höherem Wachstum. Ja, es ist sogar kein kausaler Zusammenhang zwischen den Reformen und den Zielen von Rettungsschirmen, Schuldenbremse und Fiskalpakt erkennbar. Sie dienen nur als Vorwand«.1)
Antreiber Troika
Die EU und die Regierungen, allen voran die deutsche (Hartz-Gesetze), haben lange vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 mit dem Aushöhlen des Arbeitsrechts und der Arbeitsverhältnisse begonnen. Die Krise musste dann als neue Gelegenheit herhalten. So erklärte die Europäische Kommission 2010: »Mit den Flexicurity-Strategien können die Arbeitsmärkte am besten modernisiert werden, sie sind zu überarbeiten und an die Situation nach der Krise anzupassen.« Mit Schuldenbremse und Fiskalpakt geht es weiter.
Sichtbare Antreiber auf internationaler Ebene sind die EU-Kommission, die Europäische Zentralbank (EZB) und der Internationale Währungsfonds (IWF), also die sogenannte Troika. Sie schlägt dort zu, wo finanzielle Hilfen hinfließen. Dabei wird gezielt undemokratisch vorgegangen: Die Troika drückt mit der jeweiligen Regierung ein »Memorandum of Understanding« (MoU) durch, so etwa in Griechenland, Spanien, Portugal, Rumänien, Lettland an den Parlamenten vorbei.
Angriffspunkte
Die neuen Deregulierungen finden vor allem in vier Bereichen statt: Arbeitszeit, atypische Beschäftigungsformen, Kündigungsregeln und Tarifverhandlungssysteme. Dabei scheuen Regierungen und Troika auch vor Rechtsbrüchen nicht zurück.
Die Troika schert sich nicht um Demokratie. Im MoU mit der griechischen Regierung heißt es: Die Regierung wird »die Kündigungsschutzvorschriften ändern und die Probezeit bei Neueinstellungen auf ein Jahr verlängern, das Gesamtniveau der Abfindungszahlungen bei Entlassungen verringern und den Einsatz von befristeten Arbeitsverträgen und Teilzeitarbeit erleichtern.« Damit wird nicht nur in bestehende Tarifverträge eingegriffen, sondern auch in nationale Gesetze zur Tarifautonomie. Clauwaert und Schömann weisen vorsichtig darauf hin, dass wir es hier mit Rechtsbrechern zu tun haben: Sie verstoßen gegen die EU-Grundrechte-Charta und die von den EU-Regierungen anerkannten Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) der UNO. Auch einschlägige und rechtsgültige EU-Richtlinien wie die von 1999 zu befristeten Verträgen werden umgangen.
Mit noch mehr prekären Arbeitsverhältnissen lassen sich keine öffentlichen Haushalte sanieren, sie führen eher zu höheren Belastungen. Es geht also bei Rettungsschirmen, Schuldenbremse, Fiskalpakt und ähnlichen Instrumenten gar nicht wesentlich um das behauptete Ziel »Sanierung der Staatsfinanzen«, sondern um die finanzielle, rechtliche und moralische Entmachtung und Enteignung der Beschäftigten und Unbeschäftigten zugunsten der mächtigen Privateigentümer. Hinzu kommt die entsprechende Deregulierung der Sozialsysteme, der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Infrastruktur. Dementsprechend muss auch der Widerstand gegen Schuldenbremsen, Bankenrettungsschirme und Fiskalpakt gestaltet werden.
1) Europäisches Gewerkschaftsinstitut: Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten eine Bestandsaufnahme in Europa. Brüssel 2012 (working paper 2012.04 / download als pdf ). Deutschland ist ohne Begründung aus der Untersuchung ausgenommen.
Quelle