Von: Leo Furtlehner (31.1.2017)
Letztlich kann es auch Minister Sobotka nicht schwergefallen sein, das Update
des Koalitionspaktes – sprich „Arbeitsprogramm der Bundesregierung
2017/2018“ – zu unterschreiben. Hat sich doch bei den Inhalten seine ÖVP
voll durchgesetzt.
In dem 36-Seiten-Papier entfallen von 76 Punkten und Unterpunkten 29 auf die
Wirtschaft und 25 auf die Sicherheit, der Rest sind Marginalien zu Bildung,
Energie und Verwaltung. Vom „Plan A – Das Programm für Wohlstand,
Sicherheit & gute Laune“, den SPÖ-Chef Kern am 11. Jänner 2017 in
Wels großspurig als Befreiungsschlag gegen den widerspenstigen
Koalitionspartner präsentierte, ist nicht viel geblieben. Von guter Laune erst
gar nicht zu reden. Als früherer CEO ist es Kern gewohnt anzuschaffen. Dass
dies in einer Koalition mit einem annähernd gleichstarken Partner nicht so
läuft wie bei den ÖBB, macht ihm wohl zu schaffen. Per Ultimatum hoffte er
wohl, dass ihm die ÖVP einen Anlass für Neuwahlen liefert, wofür freilich
auch in der SPÖ wenig Begeisterung vorhanden ist. Kern hat hoch gepokert, im
Ergebnis allerdings der eigenen Partei einen Schuss ins Knie verpasst, da ihm
die ÖVP keinen Anlass für Neuwahlen geliefert hat.
Beim Koalitionspakt Neu hat sich die ÖVP durchgesetzt. Vizekanzler
Mitterlehner – im innerparteilichen Abwehrkampf gegen den Kurz-Flügel
befindlich – kann sich freuen, dass im Kapitel Wirtschaft viele Forderungen
von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung verankert sind, und gilt
vorerst sogar als gestärkt. Beim Kapitel Sicherheit wiederum haben die
Strache-Agenten in der rot-schwarzen Regierung – Sobotka, Kurz &
Doskozil – viele FPÖ-Forderungen durchgesetzt.
Die rote Handschrift hingegen ist nicht einmal in Spurenelementen vorhanden. Was
freilich nicht verwundert, ist doch schon Kerns „Plan A“ eine Hinwendung zu
noch mehr neoliberaler Politik. Vermögenssteuern oder Wertschöpfungsabgabe
sind für Kern & Co wohl nur Schlaftabletten, um das verunsicherte
Parteivolk zu beruhigen.
Wem nützt es? Diese Frage ist auch bei einem Regierungsprogramm zu stellen.
Auch bei großzügiger Auslegung finden sich nur wenige Fortschritte für
Lohnabhängige, Prekarisierte oder PensionistInnen. Da wird etwa die Förderung
älterer ArbeitnehmerInnen betont – zuvor aber der Kündigungsschutz für die
Altersgruppe 50+ gelockert. Oder es wird die Studienplatzfinanzierung
beschworen – zuvor aber der freie Hochschulzugang eingeschränkt. Da wird
eine Beschäftigungsoffensive angekündigt – die durch Senkung der
Lohnnebenkosten und damit Ausdünnung des Sozialstaates finanziert werden
soll.
Dazu kommen Hämmer wie noch mehr Flexibilisierung, sprich Zwölfstundentag ohne
Überstundenzuschläge oder der Einstieg privater Investoren bei
Wohnungsgenossenschaften, sprich die Unterminierung des sozialen Wohnbaus.
Ganz auf FPÖ-Linie die „Eindämmung“ des Zuzugs ausländischer
Arbeitskräfte, auf Linie der WKO die Verschärfung bei der Zumutbarkeit von
Jobs. Auch für die Gleichberechtigung der Frauen tut die Regierung etwas,
freilich nicht bei der Angleichung der Einkommen, sondern durch eine Frauenquote
in ATC-Unternehmen ab tausend Beschäftigten.
Ein Trauerspiel ist die Debatte um einen Mindestlohn: Weil weder Gewerkschaft
noch Wirtschaftskammer einen solchen per Gesetz wollen, liegt der Ball bei den
Sozialpartnern. Völlig vergessen hat dabei der ÖGB seine eigene Forderung nach
1.700 Euro brutto Mindestlohn für Vollzeitarbeit, man tut jetzt so, als wären
1.500 Euro brutto (1.199 Euro netto) das Gelbe vom Ei.
Zur Ablenkung von der ökonomischen und sozialen Tristesse läßt die Regierung
beim Thema Sicherheit die Sau raus. Noch mehr Überwachung und Bespitzelung mit
Innenminister Sobotka als Mini-Metternich, eine noch rigidere Asylpolitik –
Flüchtlinge als Billigarbeitskräfte inklusive – sind die Kernpunkte dabei.
Als Placebo ganz nach dem Geschmack der FPÖ dienen ein
Vollverschleierungsverbot – ganz so als ob islamistische Terroristen in
Burkas auftreten würden – und ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst.
Wenn aber von einem „Neutralitätsgebot des Staates“ die Rede ist, was haben
dann Kreuze in Schulklassen oder Gerichten zu suchen?
Die Maßnahmen sollen vier Milliarden Euro kosten, davon 2,8 Milliarden durch
Einsparungen. Ob die restlichen 1,2 Milliarden durch die berühmten
Konjunktureffekte finanziert werden können, ist ein Wunschkonzert. Sicher ist
jedenfalls, dass die Regierung nicht bei den großen Vermögen oder den Profiten
der Kapitalgesellschaften zugreifen will. Die Umverteilung von unten nach oben
wird also fortgesetzt.
Frei nach Hermann Hesse galt für den Amtsantritt von Kanzler Kern „Allem
Anfang wohnt ein Zauber inne“. Warum allerdings in der SPÖ immer noch eine
Kern-Euphorie vorhanden ist, nachdem sich dieser längst entzaubert hat, muss
wohl politischem Masochismus geschuldet sein. Es spricht freilich für den
Zustand einer Partei, wenn das höchste der Gefühle für die Mitglieder ein
Selfie mit dem Kanzler ist.
Wie lange das neue Arbeitsprogramm hält ist offen. Die Zündler sind
bekanntlich in beiden Regierungsparteien unterwegs. Die Optionen bei einer
vorzeitigen Neuwahl sind freilich begrenzt. Außer blau-schwarz bleibt nur die
Öffnung der SPÖ in Richtung FPÖ, denn bei einer Wiederauflage von rot-schwarz
müsste man sich zu Recht fragen, wozu der ganze Theaterdonner.