KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

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Was sich so alles hinter dem „Sozialversicherungsstrukturreformgesetz“ verbirgt

Von: Rudi Gabriel (4.6.2018)

1. Die Schaffung eines Verwaltungsrates inklusive Regierungsvertreter mit Sitz und Stimme im bisher selbstverwalteten Hauptverband droht. Die Regierung will sich damit selber in das entscheidende Gremium der Sozialbersiche­rungsträger hineindrängen und die Macht an sich reißen.

Der Staat verzichtet bisher für einen Bereich der öffentlichen Verwaltung auf die Führung durch staatliche Behörden (Ministerien). Dieser Teilbereich wird durch ein Gesetz (im Verfassungsrang) den Selbstverwaltun­gskörpern übertragen.

Was bedeutet Selbstverwaltung? Die unmittelbaren Betroffenengruppen delegieren über Kammern und Gewerkschaften ihre Interessensver­treter_innen in die Selbstverwaltun­gskörper der sozialen Kassen. Die Selbstverwaltun­gskörper unterliegen zwar der staatlichen Aufsicht und Kontrolle durch das Gesundheits-/Sozial-Ministerium und den Rechnungshof, sie führen ihre Arbeiten für die Gemeinschaft der Versicherten allerdings weisungsfrei durch. Das bedeutet: Die Regierung kann NICHT in die Sozialversicherung eingreifen. Im neuen Regierungsprogramm ist oberflächlich von der „Wahrung der partizipativen Selbstverwaltung“ die Rede, dennoch ist eine Umstrukturierung geplant: Der bisherige „Verbandsvorstand“ soll umgemodelt werden zu einem „Verwaltungsrat“, dem 1/3 Regierungsvertreter mit Sitz und Stimme angehören werden (ähnlich den Strukturen des AMS), eine Maßnahme, die das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberver­tretern maßgeblich abändern würde. Das Prinzip der Selbstverwaltung durch die unmittelbaren Personengruppen würde dadurch definitiv beendet, das Prinzip der Weisungsfreiheit ad absurdum geführt werden. Regierungsver­treter_innen und Wirtschaftskammer, also Arbeitgeberin­teressen, bestimmen dadurch künftig die Geschicke der Lohnabhängigen auch im öffentlichen Versicherungsbe­reich.

Alexander Biach, Vorstandsvorsit­zender des Hauptverbands, brach jüngst eine Lanze für den Beibehalt der Selbstverwaltung, sie sei „ein „Kernbereich unserer Verfassung“. Ebenso unterstrich Biach die Nützlichkeit der finanziellen Unabhängigkeit der selbstverwalteten Systeme, da diese Gelder so dem Zugriff des Finanzministers bei fehlenden Ressourcen im Staatsbudget entzogen bleiben. Zur Verdeutlichung: In Großbritannien werden die Sozialleistungen zu 100% von der Regierung bestimmt. Der Schatzmeister kann jederzeit z.B. für den Ausbau der Polizeieinheiten die Kernleistungen für Gesundheit streichen. Das wäre für Österreich ein katastrophaler Rückschritt.

ÖVP und FPÖ stehen nun vor der Hürde, die Verfassungsmehrheit (2/3) für eine völlige Abschaffung der Selbstverwaltung im Hauptverband zu benötigen. Dazu brauchen sie die NEOS. Den Mandatar_innen der NEOS greifen die Regierungspläne allerdings bei weitem zu kurz, sie wollen der Wirtschaft noch mehr Einfluss geben. Nun sollen, so geht das Gerücht, Vertreter_innen der Ministerien doch nicht, wie geplant, mitentscheiden, sondern weiterhin nur kontrollieren. Das Ziel, eine Reform der Krankenkassen mit 1. Jänner 2019 in Kraft treten zu lassen, bleibt allerdings aufrecht.

2. Die Zusammenlegung der Krankenkassen

Feststeht: Die Ankündigung der Ministerin zur Auflösung der AUVA Anfang April war nichts weiter als eine Nebelgranate, um in Ruhe die Umfärbung der Selbstverwaltun­gskörper zu verhandeln, die Mehrfachpflicht­versicherung abzuschaffen und die „Leistungshar­monisierung“ als gewaltige Regierungsleistung aufzupolieren. Die von der Regierung angekündigten Einsparungen in Milliardenhöhe durch Maßnahmen der Kassenzusammen­legung hat jedenfalls unter den Expert_innen allseits nur Kopfschütteln ausgelöst.

Die von der Regierung geforderte Zusammenlegung der bisher 21 Kassen stellt eine große Herausforderung dar: Eigentlich besteht der Wunsch nach 3 Kassen – je eine für Unfall, Krankheit und Pension. Dass dies allerdings nicht so einfach ist, hat bereits das Mossialos-Papier von der „London School of Economics“ dargelegt. Ebenso berichten Expert_innen aus Deutschland, die seit 2003 eine enorme Anzahl an Kassenzusammen­legungen durchgeführt haben, dass gerade dadurch auch bedeutende Aufwände entstanden sind, die Gesamtkostene­insparungen deutlich vermindert haben. Alexander Biach, Vorstandsvorsit­zender des Hauptverbands, sprach sich öffentlich für je 3 Kassen ( Unselbstständi­ge/Selbstständi­ge/öffentlich Bedienstete) für jede der 3 Sparten aus. Lange geisterte die 5 Kassen-Lösung durch die Gazetten – nach Pfingsten wurde diese auch von der Regierung so skizziert den Medien zurückgespielt. Für die zusammenzulegenden Gebiets- oder Landeskassen für Arbeiter und Angestellte wurde kürzlich bereits ein kommendes 50:50-Verhältnis (zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber) im Exekutiv- Gremium präsentiert. Bisher sind in der GKK 80% Arbeitnehmerinnen und 20% Arbeitgeber_innen repräsentiert. Bereits vor 130 Jahren, beim Aufbau der frühen Selbstverwaltun­gsgremien haben die Arbeiter_innen die 50:50-Repräsentanz nicht akzeptiert. So verwundert es, dass der ÖGB heutzutage lieber zum Heurigen geht als auf die Barrikaden zu rufen (zit. GPA-Chef Katzian).

Welche Lösung auch immer durchs Parlament gepusht werden wird – wir Versicherten müssen vier grundlegende Forderungen stellen:

  1. Es darf zu keinen qualitativen und quantitativen Einschränkungen der bisherigen Versicherungsle­istungen kommen. Wenn tatsächlich „Einsparungen“ erzielt werden, müssen diese in den weiteren Ausbau der Leistungen für alle Versicherten gelenkt werden – und dürfen nicht ins Staatsbudget überführt werden !
  2. Die Harmonisierung der Leistungen muss sich an den bisher besten Bedingungen orientieren ! Die Versicherten empfinden die derzeitigen Unterschiede zurecht als ungerecht.
  3. Selbstbehalte sind sozial ungerecht und sind entschieden abzulehnen ! Viele Menschen sind von Sachleistungen (Zahnersatz, orthopädische Behelfe, Brillen) ausgeschlossen, weil sie sich die Selbstbehalte nicht leisten können.
  4. Es muss gewährleistet sein, dass die milliardenschweren Rücklagen und der Immobilienbesitz der bisherigen Kassen öffentlich transparent dargestellt werden und dem System der Selbstverwaltung als „Eigentum der Versicherungsge­meinschaft“ zugeordnet und erhalten bleiben.

Andernfalls droht unter dem Deckmantel der Kassenreform einer der größten Raubzüge in der 2. Republik. Die Versicherungsan­stalt öffentlich Bediensteter hat mit rund 760 Millionen Euro die höchsten Rücklagen angehäuft. Eine parlamentarische Anfrage der Liste Pilz an die Sozialministerin bezüglich der Rücklagen aller einzelnen (bisherigen) Kassen harrt auf Beantwortung.

3. Kontrolle der Beitragsdisziplin wird auf den Kopf gestellt Apropos Raub …

Die „einheitliche Prüfung der Lohnabgaben sowie eine einheitliche Abgabenstelle für die Einhebung aller lohnabhängigen Abgaben“ wurde im Regierungsübe­reinkommen niedergeschrieben. Was da so harmlos und vordergründig sinnvoll daherkommt, birgt die Gefahr, dass die Einnahmenserosion der selbstverwalteten Kassen unter dem Titel der „Lohnnebenkos­tensenkung“ weiter massiv vorangetrieben wird. Hinter der „einheitlichen Prüfung der Lohnabgaben“ steckt tatsächlich die Überführung der Prüf- und Kontrollkompetenzen ins Finanzministerium.

Die Expert_innen der Beitragsabteilungen der selbstverwalteten Kassen kosteten bisher dem Bundes-Budget keinen Cent, sollen aber jetzt per Sozialversiche­rungsstrukturre­formgesetz abgeschafft werden. Zudem wurde angekündigt, dass im Finanzministerium aus Kostengründen Stellen bei der Einnahmenkontrolle abgebaut werden müssen. Die Kassenkontrolleure prüften bisher zusätzlich, ob die Beschäftigten entsprechend ihrer Tätigkeit richtig entlohnt werden. D.h. ein Hilfsarbeiter, der Büroarbeiten verrichtet, muss eben auch entsprechend als Bürokraft und nach dem entsprechenden Kollektivvertrag entlohnt und versichert werden. Es stand bis zuletzt zu befürchten, dass die Sozialversiche­rungsabgaben künftig auf Konten des Finanzministeriums umgeleitet werden – der selbstverwaltete Bereich wäre so zum Bittsteller degradiert worden. Dies hat naturgemäß heftigsten Widerspruch ausgelöst, auch von ÖVP Landespolitikern, die sich gegen den Zentralismus wehren und die Kooperation auf Landesebene weiter pflegen wollen.

Wegen des Widerstandes wurde nun in öffentlichen Stellungnahmen zwischen „Beitragseinhebung“ und „Beitragsprüfung“ unterschieden. So soll nach jüngsten Meldungen die Beitragseinhebung doch bei den Kassen bleiben – wenigstens „in einem ersten Schritt“. Einhebende Stelle soll die neu zu schaffende ÖGK (österreichische Gesundheitskasse) werden. Erst später soll die Finanzverwaltung diese Aufgabe übernehmen, eine mehr als gefährliche Drohung !

Wir fordern: Beitragseinhebung und Beitragsprüfung müssen weiterhin von den einzelnen Landesstellen der Kassen durchgeführt werden! Die lokale Administration des Beitragswesens kennt die wirtschaftlichen Bedingungen der Betriebe am besten.


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