KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Den Marxismus nicht als religiöses Bekenntnis begreifen

Referat von Marjeta Einspieler am 32. Parteitag


Dragi tovariši, drage tovarišice,

liebe Genossinnen und Genossen.

Mein Name ist Marjeta Einspieler. Ich bin Maschinenschlosserin und arbeite im Bereich der Montagetechnik in einer Kärntner Firma, die 800 Kollegen und Kolleginnen beschäftigt. Ich bin Angehörige der slowenischen Minderheit und, wie es nicht zu übersehen ist, eine Frau.

Ich fühle mich geehrt, dass mir die Frauenversammlung ihr Vertrauen schenkt, obwohl ich nicht im engeren feministischen Arbeitsfeld aktiv bin. Meine politische Sozialisierung begann in minderheitenpolitischem Spektrum, und die Erfahrungswelt, die mich vor allem prägt, ist die Arbeit im Betrieb.

Womit ich schon beim wichtigsten bin.

Was ich nicht will, ist, dass die Linie der Erneuerung mit allen ihren Inhalten, die auf Konferenzen, durch Parteitagsbeschlüsse und sogar durch das Statut festgehalten wird, in Frage gestellt wird.

Sie hat uns ermöglicht, den Zusammenbruch des realen Sozialismus politisch zu überleben, sie ist auch der Rahmen für sämtliche Wahlerfolge der letzten Zeit. Dies in Frage zu stellen heißt, die KPÖ in eine selbstgenügsame Sekte verwandeln zu wollen.

Einige mögen ein Sektendasein vielleicht als angenehm empfinden. Vor allem, wenn es durch eine Mauer von ideologischen Beteuerungen und Phrasen geschützt wird, das Spiel “Wir sind die Avantgarde der Arbeiterklasse” gespielt wird, im Namen der Arbeiterklasse Urteile darüber gefällt werden, was marxistisch ist und was nicht.

Ich empfinde das als ungeheure Anmaßung. Vielleicht auch deswegen, weil ich den Marxismus nicht als religiöses Bekenntnis begreife, sondern als Werkzeug, an dem Generationen von revolutionären Theoretikern und Praktikern gearbeitet haben, an dem heute Frauen und Männer aus allen Kontinenten arbeiten, um der neuen Wirklichkeit des globalisierten Kapitalismus gerecht zu werden.

Diese Wirklichkeit erlebe ich gemeinsam mit meinen Kollegen und Kolleginnen als massiven Eingriff in die bis dahin gewohnte persönliche Lebensweise und Lebensplanung. Die Einführung neuer Managementsysteme, halb- bis ganz autonomer Arbeitsgruppen, neuer Zeit- und Entlohnungsregeln, ist mehr als nur eine übliche betriebsinterne Maßnahme zur Profitmaximierung.

Im Zusammenspiel mit dem staatlichen, neoliberalen Sozialabbau bewirkt er einen kulturellen Wandel. Alle freien Poren innerhalb des Produktionsprozesses sind jetzt verstopft, Stehzeiten gehen auf deine Rechnung bzw. auf Kosten deiner Freizeit, das heißt, deine Zeit wird an die Fertigungszeit des Produkts angepasst, du musst über Effektivierungsmaßnahmen selber nachdenken, deine Zulieferer selber kennen, du bist mit deinen KollegInnen selbst verantwortlich für die Effektivität der Gruppenarbeit.

Das System führt zu gegenseitiger Kontrolle und zu individueller Konkurrenz gegeneinander. Das Mobbing unter Gleichgestellten wird zum System. Das führt zur Vereinzelung des Individuums, Solidarität wird zu einem Fremdkörper. Früher war sie spontan erkennbar als Mittel zur Durchsetzung gemeinsamer Anliegen. Heute löst sie sich unter dem Arbeitsdruck auf, wird von vielen als Hemmnis für den Erfolg der Gruppe wahrgenommen, denn jeder und jede, die dem Arbeitsdruck nicht nachgibt, senkt die Wertschöpfung der autonomen Gruppe.

Und sinkt die Wertschöpfung tatsächlich, müssen jene, die dem Arbeitsdruck nicht standhalten, von der Gruppe selbst ausgegliedert werden. Es wird nicht mehr allein deine unmittelbare Arbeitskraft gefordert, sondern – ich will es kurz machen – auch deine Seele.

Du sollst nicht nur mehr arbeiten für weniger Geld, sondern das auch wollen. Und viele wollen das. So manifestiert sich die Hegemonie der Globalisierer auf der Ebene des unmittelbaren Arbeitsprozesses.

Diese kapitalistische Maschine muss zerlegt werden, im betrieblichen und gobalen Ausmaß. Mit dem alten Werkzeug geht das nicht.

Es scheitern das traditionelle gewerkschaftliche Verständnis, die traditionellen politischen Formen und Organisationen der Linken, wenn sie nicht an den konkreten neuen Formen und an den neuen Widersprüchen andocken.

Sie scheitern, wenn sie nicht ihre eigene überkommene, und das heißt bei uns vor allem sozialdemokratisch geprägte, politische Arbeiterkultur ändern, die gleichzeitig männlich ist und auf die eigene Nation bezogen. Darum sprechen wir auch seit dem Grazer Parteitag von Erneuerung.

Genau wegen dieser Perspektive der Erneuerung habe ich mich im Betrieb als Kommunistin reaktiviert. Ich habe dazu keine Belehrung gebraucht von irgendeinem Theoriker, der mir erklärt hätte, was ich als Teil der sogenannten proletarischen Kernschicht für Pflichten hätte.

Ich habe dies im Zusammenhang mit der Neugründung der Klagenfurter Parteiorganisation, die praktisch nicht mehr existierte, verwirklichen können. Es gab viele Gründe für die Stagnation der Klagenfurter Organisation.

Einer der Gründe bestand in der Reduktion auf Stellvertreterpolitik und im Denken der damals Verantwortlichen im Rahmen von Haupt- und Nebenwidersprüchen.

Was letztlich dazu führte, dass sich der Hauptteil der jungen Genossen und Genossinnen, die in Bereichen der sogenannten Nebenwidersprüche arbeiteten, verabschiedete; und weil der Zusammenbruch des realen Sozialismus zeitlich in die Nähe der Gemeinderatswahlen fiel, verloren wir auch einen großen Teil von Mandaten, bis schließlich auch das letzte gefallen war.

Die Neukonstituierung der Klagenfurter KPÖ hatte einige Voraussetzungen:

die Orientierung auf politische, ideologische und organisatorische Erneuerung, die Fortführung des Widerstandsgeistes aus österreichischer und slowenischer antifaschistischer Tradition sowie die Abgrenzung gegenüber jeglichem nationalistischen Opportunismus.

Heute stelle ich fest, dass zu den ursprünglich drei ProjektträgerInnen rund zwanzig Mitglieder und Aktive dazugekommen sind.

* Dass mehr als die Hälfte davon Frauen sind.

* Dass wir in einigen bedeutenden kulturpolitischen Initiativen, zum Teil von uns selbst mit-begründeten, verankert sind.

* Dass wir den für uns in Kärnten traumatischen historischen Ballast des Kominform-Konflikts mit Hilfe des Bundesvorstands und der Parteiführung öffentlich abgearbeitet haben.

* Dass wir als Gleiche unter Gleichen tragend waren in der Bewegung gegen Schwarz-Blau, die zu den Widerstandstagen geführt hat.

* Dass wir konkret mit der Rifondazione comunista kooperiert haben und es auch weiterhin tun werden.

* Und dass es keine einzige Wahl in den letzten Jahren gegeben hat, bei der wir nicht sichtlich dazugewonnen hätten.

* Bei den Arbeiterkammerwahlen haben wir unsere Stimmen nahezu verdoppelt und fast ein Mandat errungen.

* Bei den jüngsten ÖH-Wahlen haben wir die Stimmen an der Uni Klagenfurt verdoppelt und eine Studienrichtungsvertretung errungen.

* Bei den Klagenfurter Gemeinderatswahlen haben wir die Stimmen nahezu vervierfacht, das Mandat nur knapp (um 62 Stimmen) verfehlt.

* Ich möchte betonen, dass dies ganz ohne Freigestellte erreicht wurde.

Ich erzähle das, weil ich mein Gefühl anschaulich machen will, dass ich als Kommunistin und Frau in zumindest zwei Welten lebe. Eine habe ich bereits skizziert. Die andere ist die Innenwelt der Partei.

Ich habe mit meinen Klagenfurter GenossInnen den Gemeinderatswahlkampf unter anderem mit dem Frauenprogramm der KPÖ bestritten, genauer gesagt, diese Broschüre war neben den “Grundzügen einer Neuorientierung” DER Renner auf unseren Infoständen.

Warum? Weil sie durch die Verknüpfung marxistischer und feministischer Erkenntnis und Praxis den Menschen, die sie lesen und betreffen, eine radikale, sozialistische Systemkritik und eine Alternative aus der Sicht der Frauen bietet.

Ich wäre nie auf die Idee gekommen, diese Broschüre in einem Wahlkampf zu vertreiben, wenn die darin vertretenen Positionen nicht meine eigenen gewesen wären, die ich in meinem Berufsalltag in der Auseinandersetzung mit meinen männlichen Kollegen vertrete.

Die Bemühungen von Irma Schwager und anderen älteren Genossinnen um die Zusammenarbeit und das Entstehen breiter Frauenzusammenhänge ausserhalb der Partei waren es, an denen die jüngeren Genossinnen in der Partei anknüpfen konnten, die in das Frauenprogramm generationsübergreifend eingeflossen sind und uns die Achtung vieler fortschrittlicher Menschen eingebracht haben.


In der zweiten Welt dagegen, konkret auf der Frauenversammlung vor dem Parteitag, wird von einigen Genossinnen darüber diskutiert, dass das Frauenprogramm überarbeitet werden müsse, weil es “bürgerliche feministische Positionen” enthalten würde.

Petra Stöckl, die gegen Heidi Ambrosch als Frauenverantwortliche kandidiert, argumentierte auf der 1. Sitzung des Parteitags in dieselbe Richtung. So gut es ist, dass auf der 1. Sitzung die Positionen des Frauenprogramms per Abstimmung deutlich bekräftigt wurden, so schockiert war ich gleichzeitig darüber, dass neuerlich und überhaupt abgestimmt werden musste.

In der ersten Welt erlebe ich, dass der Mix von Methoden, also die Kombination von Betriebsarbeit, kulturpolitischem Engagement, minderheiten- und migrationspolitischer Aktivität und sogenannter Bündnisarbeit in Bewegungen und frauenpolitischen Zirkeln, dass also die politische Verschränkung unterschiedlicher Arbeitsbereiche in und durch die kommunistische Partei genau das ist, was ich brauche.

In der zweiten Welt, im Dschungel der Partei, darf ich mir Schulmeistereien anhören über das Primat der Kommunal- und Betriebsarbeit, die fälschlicherweise der Vielfalt von Politikfeldern entgegengestellt wird.

Das kann ich nicht akzeptieren.

Sozialkritische bürgerliche Bewegungen als bürgerliche, das heißt im Rahmen des Systems verbleibende, zu enttarnen ist nicht schwer. Für mich sind sie Teil des Klassenkampfes, nur nicht konsequent zu Ende gedacht. Ich habe andererseits das Gefühl, dass manche von uns am Ende zu denken beginnen, nicht aber, wie Klassenkämpfe im konkreten Praktischen beginnen und sich weiter entwickeln, und wie viele Möglichkeiten, Spielräume und Wege zu diesen führen können.

In der ersten Welt bin ich mit aller Energie daran beteiligt gewesen, den Widerstand gegen Schwarz-Blau in Kärnten zu organisieren; ich habe nicht nur erlebt, wie die Klagenfurter KPÖ dadurch in den Auseinandersetzungen innerhalb des Bündnisses und in der Öffentlichkeit an Profil gewonnen hat;

ich habe auch erlebt, dass es genau dieses Engagement und dieses offene Profil waren, die einige Jugendliche zum Beitritt in die KPÖ bewogen haben, weil sie sich in ihr wiederfinden konnten, und die heute die Arbeit der KPÖ Klagenfurt ganz entscheidend mittragen.

Für mich ist es daher völlig unverständlich, dass Genosse Eber, der Gegenkandidat zu Walter Baier, vor ein paar Tagen im Standard der KPÖ vorwirft, dass sie bestimmten Bewegungen, vor allem jener gegen Schwarz-Blau, nachhechelt und zu wenig Eigenprofil entwickelt.

In meiner ersten Welt, auf meinem Arbeitsplatz und in meinem Betrieb, habe ich politisches Ansehen erworben.

Es war ein Prozess sowohl harter Konfrontationen als auch geduldiger Diskussionen, des gegenseitigen Lernens, der Akzeptanz, des Erkennens und des Nachdenkens bis hin zum Umdenken, vor allem von Seiten meiner männlichen Kollegen. In dieser Dynamik hat sich eine Streitkultur entwickelt, die ein solidarisches Handeln im Betriebsalltag möglich macht.

In meiner zweiten Welt, innerhalb der Bundes-KPÖ, scheinen dagegen die Grundregeln zivilisierten Umgangs außer Kraft gesetzt zu sein. Hier wird mit einem Hass und denunziatorisch argumentiert, solidarisches Handeln auf die Dauer gefährdet, ich lehne das ab.

In der ersten Welt, -- der öffentlichen – , positioniert sich Genosse Kaltenegger in seinen Medienkontakten klar auf der Erneuerungslinie, die auch meine ist, diskutiert mit allen, die mit ihm diskutieren wollen, bis hin zu Industriellen und Franziskanermönchen.

In der zweiten Welt, – der Parteiöffentichkeit – , schweigt er meistens und stellt dadurch seinen moralischen Kredit, den er sich in jahrelanger Arbeit erworben hat, jenen zur Verfügung, die keine Erneuerung wollen und die Geschichte zurückdrehen möchten.

Hier und heute muss sich die KPÖ entscheiden, auch personell, ob sie den Weg der Erneuerung weiter gehen will oder eine Zeitreise nach hinten antreten will.

Ich will kein ideologisches Roll-Back in der KPÖ haben.

Die erste Sitzung des Parteitags hat beschlossen, alle programmatischen Dokumente als gleichberechtigte Grundlagen für die Fortsetzung der Programmkommission zu nutzen. Ich will, dass wir konsequent bleiben und jene Genossen und Genossinnen in Führungspositionen wählen, die das garantieren können.

Danke – hvala lepa

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