PARTEI
Von: Michael Graber (14.1.2016)
Wenn wir uns heute von Trude Springer verabschieden, dann erinnern wir an
eine Frau, die das zwanzigste Jahrhundert durchmessen hat, mit allen seinen
furchtbaren Ereignissen – Krieg, Verfolgung, Hunger und Not und Kerker. Die
aber auch Befreiung und Wiederaufbau erlebt und ein erfülltes, aktives
intensives und langes Leben geführt hat, das jetzt mit 93 Jahren zu Ende
gegangen ist.
Da Trude in einer sozialdemokratisch geprägten Familie mit drei Geschwistern
und im sozialdemokratischen Milieu der Kinder- und Jugendorganisationen
aufgewachsen ist, lernte sie die Gesellschaft nicht nur aus der Erfahrung der
Unterdrückten und Benachteiligten, sondern auch die Sicht ihrer
Veränderbarkeit der Gesellschaft kennen und Sozialismus war damals das
unstrittige Ziel sozialdemokratischer Weltanschauung.
Nach dem Besuch der Volks- und Hauptschule lernte Trude den Beruf der
Miedernäherin. Aber ihr eigentliches Engagement gehörte von frühester Jugend
an der Politik. Nach dem Verbot der sozialdemokratischen Partei und aller
ihrer Organisationen, nach den Kämpfen des Februar 1934 beteiligte sie sich an
den illegalen Treffen der Jugend im Wienerwald und bei anderen Gelegenheiten.
Selbst nachdem Österreich von den Hitlertruppen besetzt und ausgelöscht und zu
einem Teil Nazideutschland geworden war, traf sich Trude mit illegalen Gruppen
des antifaschistischen Widerstands. Das führte sie in die Reihen des illegalen
Kommunistischen Jugendverbandes, denn der Widerstand wurde in erster Linie von
KommunistInnen organisiert und getragen.
Die Gruppe „Soldatenrat“ die von der Studentin Elfriede Hartmann geleitet
wurde, schickte Briefe und Flugschriften an Angehörige der Deutschen Wehrmacht
mit Argumenten gegen den Krieg, wobei sie sich zum Teil der Feldpost bedienten.
Hier war Trude mitbeteiligt und war mit dem zentralen illegalen
Literaturvertrieb des KJV betraut. Sie schrieb später darüber: „Ich selbst
habe als 17-jähriges Mädchen begonnen, im kommunistischen Jugendverband zu
arbeiten, obwohl wir um eventuelle Folgen Bescheid wussten. Wir haben
Flugschriften wie die "Rote Jugend“ und den „Soldatenrat“ hergestellt und
zur Verbreitung gebracht. In Flugschriften wurden den Menschen die Ziele des
Hitlerfaschismus und die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen geführt. Auch
Sabotageaktionen in Wehrbetrieben organisierten wir. In Briefen, die wir an
Soldaten an die Front schickten – ihre Feldpostanschriften hatten wir
gesammelt – forderten wir sie auf, nicht weiter ihr Leben für diesen
verbrecherischen, ungerechten Krieg aufs Spiel zu setzen."
Ich füge hinzu: Es hat immerhin zwei Generationen nach dem Ende des Krieges
gedauert, bis die Deserteure ein Denkmal in Wien erhalten haben.
Als die Gruppe 1942 durch Verrat aufgeflogen war, fand die Gestapo bei
Elfriede Hartmann einen Vervielfältigungsapparat, 60 gebrauchte Matrizen,
zwei Tuben Druckschwärze, 100 Blatt Flugschriftenpapier, mehrere hundert
Stück Kuverts, eine Liste mit 150 Feldpostadressen, eine Schreibmaschine.
Jeder dieser Gegenstände hätte für die Gestapo für die Verhaftung gereicht.
Trude hatte 1941 einen Vervielfältigungsapparat versteckt.
Zur Zeit der Verhaftung von Elfriede Hartmann und der Widerstandsgruppe war
Trude allerding zum Arbeitsdienst eingezogen worden und musste in Dresden als
Straßenbahnschaffnerin arbeiten. Sie wurde dort im Mai 1942 verhaftet, der
Vorbereitung zum Hochverrat und wegen Feindbegünstigung angeklagt und in
Untersuchungshaft nach Krems geschickt.
Am 24. September 1943 stand Trude gemeinsam mit drei anderen Angeklagten vor
dem sogenannten Volksgerichtshof in Berlin. Fast alle Mitglieder der Gruppe
Soldatenrat wurden mit Elfriede Hartmann zum Tod verurteilt und geköpft. Trude
überlebte, weil sie zum Zeitpunkt der Verhaftung bereits in Deutschland war und
ihr keine konkrete Tat nachgewiesen werden konnte und weil die Verteidigung ihre
Jugend geltend machte, sie die volle Tragweite ihres Tuns nicht vollständig
erfasst habe. Trude wurde zu zwölf Jahren Zuchthaus, zwei ihrer Mitangeklagten
wurden zum Tod verurteilt, einer davon hingerichtet.
Das Martyrium Trudes setzte sich im Frauenzuchthaus Aichach in Bayern fort.
Aber Trude gehörte zu den Frauen, die versuchten Solidarität zu organisieren
und zu praktizieren. „Eine Zeichnung, ein kleines Gedicht, aufmunternde Worte,
geschrieben mit einem selbstgebastelten Bleistift aus einer winzigen Mine und
einem gekneteten Brot gab uns Mut und Kraft. Aber auch ein zerlesener, zu einem
Fetzen Papier gewordener Wehrmachtsbericht. Nicht mehr ganz aktuell, der aber
indirekt unsere Zuversicht stärkte. Das alles wanderte beim "Kübeln“ (es gab
keine Klos in den Zellen) und Mistausleeren geschickt von Zelle zu Zelle. Und
wenn wir nur „Guten Morgen“ und „Gute Nacht" beim Fenster hinausgeschrien
haben, gab uns das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit", schrieb sie.
Für die politischen Gefangenen war ein Zipfel Information über den Fortgang
des Krieges und damit über das Nahen der Befreiung wichtiger als ein Stück
Brot. In einer Zelle der Krankenabteilung lernte Trude die später sehr bekannte
kommunistische Widerstandskämpferin und Architektin Grete Schütte-Lihotzky
kennen. Grete Schütte-Lihotzky schrieb über dieses Zusammensein: „Trude und
ich beschäftigten uns mit Französisch, ohne irgendwelche Bücher, und ich
lernte von ihr die Texte vieler unserer Kampflieder, die wir abends gemeinsam
sangen. Spaziergang gab es keinen in der Krankenabteilung. So waren wir zwei von
den anderen politischen Gefangenen Wochen hindurch vollkommen abgeschnitten.
Gerüchte tauchten auf, … die SS hätte noch im letzten Moment unser Zuchthaus
in die Luft sprengen wollen und ähnliches mehr. Wir waren glänzender Stimmung
aber völlig erschöpft. Das Essen verdiente nicht mehr diesen Namen, und unsere
Mägen knurrten bei Tag und bei Nacht. Aber eines Abends bekam jede von uns ein
Eckerl wunderbaren Käse. Wenn sie uns schon so eine Delikatesse geben, dann
muss das Ende nahe sein.“ Grete Schütte-Lihotzky wurde die erste Präsidentin
des nach dem Krieg gegründeten Bundes Demokratischer Frauen.
Vielleicht war das und die Erlebnisse im Nazi-Frauengefängnis die Gründe, dass sich Trude später für die politische Arbeit mit und unter Frauen im Bund demokratischer Frauen entschied.
Nach der Befreiung zurück in Wien lernte Trude durch ihre Tätigkeit in der
KPÖ Paul Springer kennen, der die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald
überlebt hatte. Sie heirateten 1946. 1948 kam die Tochter Käthe zur Welt.
Aber Paul Springer verunglückte während einer Dienstfahrt im Burgenland
tödlich. Auch diesen schweren Schlag musste Trude verkraften.
Der weitere Lebensweg Trudes war durch ihre poltische Arbeit in der „Freien
Österreichischen Jugend“, dem „Bund Demokratischer Frauen“, der Redaktion
der „Stimme der Frau“ und in der KPÖ geprägt. Zuletzt arbeitete sie in der
Organisationsabteilung des Zentralkomitees. Auch nach ihrer Pensionierung ging
Trude ihren vielseitigen und musischen Begabungen nach, schrieb Gedichte, sang,
fotografierte und zeichnete. 1978 erhielt sie die Befreiungsmedaille, die die
Regierung nach mehr als drei Jahrzehnten nach der Befreiung den
Widerstandskämpfern widmete.
Aber Trude blieb hellhörig. Als Jörg Haider die Konzentrationslager der Nazi als „Straflager“ bezeichnete, klagte sie mit anderen AntifaschistInnen und WiderstandskämpferInnen den damaligen Kärntner Landeshauptmann. Durch diese Aussage wurde nämlich der Eindruck erweckt in den KZ hätten Kriminelle ihre „normale Haftstrafe“ abgesessen. Sie engagierte sich als Zeitzeugin. Sie hätte sich damals nicht gedacht, dass 50 Jahre nach dem Faschismus wir uns noch mit Faschisten und Neofaschisten zusammensetzen müssen, deshalb müsse der Kampf für ein besseres, schöneres Leben weitergehen.
Gemeinsam haben wir noch in großer Runde Trudes 90. Geburtstag gefeiert und
sie hat es, trotz der Krankheit, die sie schon gezeichnet hatte, genossen. Sie
ließ es sich auch nicht nehmen im Rollstuhl zum Maiaufmarsch am Ring gebracht
zu werden, wo ich sie zum letzten Mal begrüßen konnte.
So will ich mich mit ihren eigenen Worten verabschieden, die die Familie auf die
Parte gesetzt hat:
„Das Leben ist ein harter Stein.
Du hämmerst und formst ihn,
und was daraus wird,
bleibt ganz dir überlassen.
Aber mache es so,
dass die Nachwelt
daran weiterarbeiten kann.“
Trude hat es durch den Einsatz ihres Lebens so gemacht, dass wir weiterarbeiten können.
Trauerrede von Michael Graber, Bundesvorstand der KPÖ, bei der Verabschiedung am 14. Jänner 2016, Feuerhalle Simmering