KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Wehrpflicht ja oder nein (Vorletzter Akt einer Tragödie)

Von Harald Luiki (22.2.2011)

Die Debatte um die Abschaffung (eigentlich die Aussetzung nach deutschen Vorbild) der Wehrpflicht in Österreich wird mit Sicherheit keine Koalitionskrise auslösen.

Sowohl SPÖ als auch ÖVP wissen, dass die Schaffung einer einheitlichen europäischen Verteidigungspo­litik, die Schaffung eines mehrheitlich aus Berufssoldaten bestehenden Bundesheeres und damit verbunden die Aufgabe der Neutralität spätestens seit der Ratifizierung der Verträge von Lissabon beschlossene Sache ist.

Das zur Zeit stattfindende – um in militärischer Diktion zu bleiben – Säbelrasseln zwischen Faymann, der „eine Beibehaltung der Wehrpflicht nicht mehr zeitgemäߓ findet und Pröll, der sich für eine Beibehaltung der Wehrpflicht ausspricht, ist nur der vorletzte Akt in einer Tragödie, dessen Schlussakt eine bis zur Schaffung einer einheitlichen EU-Armee vorübergehende Mitgliedschaft im transatlantischen Verteidigungsbündnis NATO sein wird.

Österreich folgt damit einem gesamteuropäischen Trend. Verteidigungsmi­nister Darabos und Bundeskanzler Faymann, die sich noch vor nicht allzu langer Zeit für die Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen haben, befinden sich mit ihrem Meinungswandel in honoriger Politgesellschaft.

Noch im Mai 2009 legte etwa die deutsche Bundeskanzlerin bei der Angelobung deutscher Rekruten vor dem Berliner Reichstagsgebäude mit den Worten, die Wehrpflicht sei „eine wichtige Klammer zwischen Gesellschaft und Streitkräften“, ein umfassendes Bekenntnis zur Wehrpflicht ab (Focus online 20.7.2009).

Etwa ein Jahr später der große Gesinnungswandel, ausgesprochen im ZD-Sommerinterview: „Ein Neudenken des Dienstes sei möglich. Ich werde jede Entscheidung zugunsten der Zukunftsfähigkeit der Bundeswehr fördern, und da ist an ein Neudenken der Rolle der Wehrpflicht nicht ausgeschlossen“ (ZDF-heute.de Politik 22.8.2010).

Wieder nur wenige Monate später die bis dahin „überzeugte Anhängerin der Wehrpflicht“: „Es muss in der Bundeswehr einen zukunftsweisenden Strukturwandel geben. Ich gebe dem Verteidigungsmi­nister grünes Licht, über alles nachzudenken“.

Verteidigungsmi­nister Guttenberg noch im Juli 2010: „Die Wehrpflicht ist unter anderem deshalb nötig, um in Gefahrensituationen für Deutschland und die NATO die Truppe schnell auffüllen zu können. Dafür braucht man ein Fundament. Und deswegen wäre es fatal, die Wehrpflicht abzuschaffen“ (Die Presse, 27.7.2010).

Wie das Schauspiel in unserem Nachbarland Deutschland geendet hat ist bekannt: Mit 1. Juli 2011 erfolgt die Aussetzung der Wehrpflicht in der deutschen Bundeswehr.

Von der österreichischen Medienlandschaft und Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, war Belgien 1995 der erste EU-Staat, der die Wehrpflicht abgeschafft hat. 1996 folgten die Niederlande mit der Aussetzung des Grundwehrdienstes, Spanien und Frankreich 2001, Schweden 2010, Polen beschloss 2006, die Wehrpflicht Ende 2011 auslaufen zu lassen. In unserem südlichen Nachbarland Italien wurde1999 die Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung einer Berufsarmee bis 2005 beschlossen.

Wenngleich der Gedanke eines NATO-Beitritts und die damit zwingend verknüpfte Aufgabe der Neutralität aus gesamteuropapo­litischen Gründen – für einen solchen Schritt würde sich mit Sicherheit keine Mehrheit im Volke der Wahlberechtigten finden – reflexartig von Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien vom Tisch gefegt wird – im gesamteuropäischen Kontext ist es längst beschlossene Sache und wird in den nächsten Jahren auch für sogenannte „paktfreie“ EU-Mitglieder wie Irland, Schweden, Zypern und eben auch Österreich zur Realität werden.

Anfang Februar 2011 – Sicherheitskon­ferenz in München: Freiherr zu Guttenberg spricht sich für eine gemeinsame europäische Armee aus – Kein europäischer Nationalstaat ist in der Lage, für sich allein die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren. Die Streitkräfte sollen sich flexibilisieren und Schwerpunkte setzen (HP unzensuriert.at, 9.2.2011).

Gemeinsames und längst paktiertes Ziel aller Mitgliedsstaaten der EU scheint also zu sein, Strukturen zu schaffen, um über die Zwischenstation NATO Europa letztlich so weit zu bringen, auf internationale Krisensituationen unabhängig von den USA selbstständig und autonom reagieren zu können. Der italienische Ministerpräsident D'Alema begründete den Beschluss der italienischen Regierung 1999 mit den Worten: „Die Verteidigungsau­sgaben der europäischen Staaten betragen 60% des amerikanischen Militärhaushalts, doch ihre gemeinsame Effizienz ist weit geringer. Das Ziel muss es sein, dieses Missverhältnis auszugleichen.“

Doch wieder zurück in heimische Gefilde und zur Frage Wehrpflicht – ja oder nein. Bereits am 26.3.1998 tätigte der damalige Vizekanzler und Außenminister Wolfgang Schüssel eine bemerkenswerte Aussage: „Ich habe eine klare Präferenz für NATO und die Westeuropäische Union“ und am 27.7.2002 derselbe: „Wenn es möglich wäre, die Wehrpflicht abzuschaffen und ein Berufsheer aufzustellen, das nicht mehr als zehn oder zwanzig Prozent teurer ist als jetzt, dann würde ich dem Berufsheer den Vorzug geben“. Große Worte eines kleinen Mannes – nicht etwa einer bösartig gesinnten politisch linksstehenden Zeitung, sondern dem offiziellen ÖAAB-FCG-Blog entnommen!

Dass nun gerade die SPÖ alle ihre bisherigen Wertvorstellungen zum Thema über Bord wirft und so vehement für eine baldige Umgestaltung des Bundesheeres in eine „Freiwilligenarmee“ (= Berufsarmee) eintritt, mutet auf den ersten Blick zwar widersprüchlich an (es waren immerhin zum großen Teil Sozialdemokraten, die 1934 blutige Opfer des ständestaatlichen Berufsheeres waren), andererseits ist es die Nachfolgepartei eines Viktor Adlers, die wie kaum eine andere politische Gruppierung ihre Daseinsberechtigung und Wertvorstellungen aus dem Moloch EU schöpft.

So war es der sozialdemokratische Europaabgeordnete Hannes Swoboda, der – noch bevor das Thema wirklich zur prima causa in den österreichischen Medien wurde – gemeinsam mit dem Wiener Bürgermeister Häupl den Vorschlag einer militärischen Kooperation mit unseren Nachbarländern (bis auf Liechtenstein und der Schweiz ausnahmslos NATO-Mitglieder) unterstützte, ja sogar mahnte, „keine Berührungsängste mit der NATO“ zu haben (Der Standard, 9.2.2011).

Wie denn auch – seit 1.1.2011 ist das überstaatliche Konzept der „EU-Battle Groups“ in Kraft, mit einer österreichischen Beteiligung von rund 180 Soldaten – quasi das Pilotprojekt einer zukünftigen EU-Armee!

Während sich die ÖVP in der Person ihres Obmannes Josef Pröll (noch) gegen eine Abschaffung der Wehrpflicht ausspricht, definiert sich HC Strache wieder mal als Robin Hood der Kleinen und als Verfechter des Bollwerks gegen einen NATO-Beitritt und der karantanische Parteiableger FPK sammelt bereits fleißig Stimmen für eine Volksabstimmung. Die Grünen sind für eine gänzliche Abschaffung der Wehrpflicht, das BZÖ will – offenbar ganz dem Zeitgeist entsprechend – eine „moderne Interpretation des Freiwilligenheeres“ – was immer das auch bedeuten soll.

Interessant eine Bemerkung des deutschen Verteidigungsmi­nisters Guttenberg in einem Interview mit der Tageszeitung „Österreich“ am 29.1.2011: „Man kann die Situation in Deutschland nicht mit jener in Österreich vergleichen. Wir hatten ganz andere Rahmenbedingungen, als wir die Wehrpflicht ausgesetzt haben“ und „der Wehrdienst sei völlig verkümmert gewesen“.

Nun, Freiherr zu Guttenberg scheint offenbar die Situation im österreichischen Bundesheer nicht zu kennen – auch in Österreich ist der Wehrdienst mehr als verkümmert.

Man braucht kein glühender Antimilitarist zu sein um zu erkennen, dass sich auch unser heimisches Heer in der wohl größten strukturellen Krise seit seines Bestehens befindet.

So waren im Jahr 2009 von mehr als 48.000 Stellun­gspflichtigen ungefähr 14 Prozent untauglich zur Ableistung des Grundwehrdienstes – Tendenz steigend. Im Februar 2011 wurde im Verlauf einer parlamentarischen Anfrage publik, dass 2010 von rund 24.900 Grundweh­rdienern beinahe 5.500 als Kraftfahrer, rund 2.650 bei der Wache, 2.100 als Kellner in den Offiziers- und Unteroffizier­skasinos und Soldatenheimen, 1.400 als Köche, 800 als Schreiber und rund 800 als Mechaniker – also die Mehrheit als sogenannte „Systemerhalter“ eingesetzt waren.

Verwerfend ist in diesem Zusammenhang, dass keine der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in den Mund nimmt, was schön längst beschlossene Tatsache ist: Die österreichische Neutralität wird – wenn überhaupt – bald nur mehr auf dem Papier bestehen, das österreichische Bundesheer wird – dann Berufsbundesheer – Teil einer EU-weiten Streitkraft sein. Der letzte Akt in einem traurigen Schauspiel, wohl ohne Szenenapplaus der österreichischen Bevölkerung!

Interessant – aber aus oben getätigten Ausführungen mehr als verständlich – ist der Umstand, dass keine im Parlament vertretene Partei eine weitere, durchaus zweckmäßige Alternative fordert, nämlich die vollständige Abschaffung des Bundesheeres.

Egal ob mit oder ohne Wehrpflicht, egal ob Miliz-, Freiwilligen- und Berufsheer: Nur Tagträumer, Illusionisten und sonstige Fanatiker können der Meinung sein, dass unser Heer – hauptsächlich bedingt durch einen restriktiven Sparkurs – irgendeinem Feind, irgendeiner Bedrohung tatsächlich Paroli bieten kann. Aber dieser durchaus vernünftige Ansatz wird aus einem einzigen Grund niemals Realität werden: Ohne (wenn auch noch so ineffizientes) Bundesheer kein NATO-Beitritt, ohne NATO-Beitritt keine Teilhabe an einer EU-Armee, ohne Teilhabe an einer EU-Armee kein vollwertiges EU-Mitglied – und genau das sollte Österreich spätestens seit Unterzeichnung der Lissaboner Verträge sein – leider ohne wenn und aber!