KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Allendes wichtiger Sieg

Von Günter Pohl (1.7.2008)

Interview mit Nancy Larenas, Vertreterin der Kommunistischen Partei Chiles in Deutschland.

Am 26. Juni 1908 wurde der chilenische Arzt und Sozialist Salvador Allende geboren. Anlässlich seines diesjährigen 100. Geburtstages sprach UZ mit Nancy Larenas, Vertreterin der Kommunistischen Partei Chiles in Deutschland über sein politisches Vermächtnis und seine Bedeutung für das heutige Chile und darüber hinaus.

UZ: Am 26. Juni wird weltweit Salvador Allendes 100. Geburtstag gedacht. Was erinnerst Du persönlich von seinem Werk, vor allem von den drei Jahren der Regierung der Unidad Popular („Volkseinheit“, Bündnis von Kommunisten, Sozialisten, Radikalen sowie Christlichen und anderen Linken)?

Nancy Larenas: Zuerst will ich sagen, dass, wenn wir von der Unidad Popular (UP) reden, wir notwendigerweise von Salvador Allende reden und dabei seine Persönlichkeit hervorheben müssen. Sein Leben war der Einheit der Kräfte der Linken gewidmet: der Grundlage für ein Vorwärtskommen im Kampf gegen die Unterdrückung nicht nur in Chile, sondern heute auch in vielen Ländern der Welt.

Wichtig ist in der Tat sein Beitrag zur Formierung der Frente Popular („Volksfront“) 1937 und zur FRAP („Front der Volksaktion“) 1953, die zeitlich mit der Vereinigung der Arbeiterklasse innerhalb der Gewerkschaftszen­trale CUT („Arbeiterein­heitszentrale“) zusammentraf. 1969 nahm Allende an der Gründung des politischen Bündnisses „Unidad Popular“ teil, das ihm am 4. November 1970 den Wahlsieg brachte. Dieser Sieg markierte die wichtigste historische Etappe im Kampf der Arbeiterklasse und der demokratischen Kräfte Chiles.

Als Zweites muss seine revolutionäre Konsequenz herausgestellt werden; er zahlte sein Demokratiever­ständnis und seine unverbrüchliche Loyalität zum Volk mit dem Leben. Diese Konsequenz prägte ihn, so setzte er mit der UP das Volksregierun­gsprogramm durch, was die Brutalität der Bourgeoisie, der Christdemokraten und des Imperialismus provozierte.

Zum ersten Mal in der chilenischen Geschichte wurde dem Volk eine protagonistische Rolle beim Aufbau seiner Zukunft in allen seinen Ausdrucksformen gegeben: Arbeiterklasse, Bewohner, Bauern, Studierenden- und Jugendbewegung. Und alles mit einem hohen Grad sozialistischen Bewusstseins. In den drei Jahren der Regierungszeit wurde eine Politik von Änderungen in der Wirtschafts- und Sozialstruktur zugunsten des chilenischen Volks gemacht, und eine Außenpolitik, die die Unterordnung unter die Weltstrategie des US-Imperialismus beendete. Es ging um einen neuen Typ von Wirtschaftsbe­ziehungen zwischen den entwickelten Staaten und den Entwicklungsländer­n; um die Verteidigung der Interessen der Völker Lateinamerikas; um die Solidarität mit den Brudervölkern, speziell mit Kuba, aber auch mit den Nationen Asiens und Afrikas.

Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten die Verstaatlichung des Kupfers im Juni 1971, der wichtigsten Ressource, die 80 Prozent der Deviseneinnahmen ausmachte, und die Agrarreform, die von der Vorgängerregierung eingeleitet worden war und dem Großgrundbesitz 1972 ein Ende setzte. Im Oktober 1971 wurde der Gesellschaftsbesitz eingeführt, der die Beteiligung der Arbeiterklasse an den Firmenleitungen brachte; Banken wurden verstaatlicht. Es gab erstmals ein Aufleben der Volkskultur in Chile, wozu die Bewegung der „Nueva Canción Chilena“ (Neues chilenisches Lied) gehörte und auch das gewaltige Werk des Verlages „Quimantú“. Es war der Frühling des chilenischen Volkes!

UZ: Was bedeutet Allende heute in Chile und im Ausland?

Nancy Larenas: Die Erinnerung an Allende war ein immenser Beitrag im Kampf gegen die Diktatur. Heute bezieht sich die konsequente Linke, deren stärkste Kraft die Kommunistische Partei Chiles ist, nicht nur auf Allende, sondern wirbt vollständig für diese Erfahrung der Einheit der chilenischen Linken, die aus den Dreißiger Jahren kommt und mit dem Sieg der Unidad Popular ihren Höhepunkt hatte. Diese Erinnerung ist lebendig trotz Lügen und Verbrechen der Diktaturzeit und trotz der Abkehr von Sektoren, die allendefreundlich waren und heute in der Concertación [„Konzertierung für die Demokratie“; aktuelle Regierungskoalition aus Sozialisten (PS), Sozialdemokraten (PRSD), Demokraten (PPD) und Christdemokraten (PDC)] sind.

Mit diesem Erbe haben wir erreicht, dass sich die Einheit der Linken herausbildete, mit allen Schwierigkeiten: heute als „Juntos Podemos Más“ („Gemeinsam können wir mehr“, aktuelles Bündnis von KP, Humanistischer Partei, Linkssozialisten und Unorganisierten). Denn es braucht eine Alternative zur Concertación, die nur den Neoliberalismus verwaltet und die Versprechungen nicht einhält.

Die Volksregierung hatte sich vorgenommen, zum ersten Mal in der Geschichte zum Sozialismus zu kommen, und zwar über die Öffung von Spielräumen innerhalb der bürgerlichen repräsentativen Demokratie hin zu einer proletarischen partizipativen Demokratie, was derzeit auch die progressiven Regierungen Lateinamerikas tun, gemäß ihrer speziellen Bedingungen. Allende war der Meinung, dass die Völker ihren Weg innerhalb ihres Kontextes suchen, innerhalb der bürgerlichen Demokratie oder im bewaffneten revolutionären Kam­pf.

Heute ist die Erfahrung der UP-Regierung aktueller denn je und ihre Gültigkeit universal: es ist ein Handbuch des Klassenkampfs. In Venezuela sahen wir wie die Angriffe der Rechten gegen eine demokratische Regierung wiederholt wurden, und das Gleiche passiert gerade in Bolivien. Der Imperialismus braucht keine Vorwände um anzugreifen und seine Hegemonieansprüche voranzutreiben, ein Blick in seine Geschichte genügt: Guatemala 1954, Kuba 1961, Dominikanische Republik 1965, der Sturz Allendes in Chile 1973, die Ermordung von Torrijos in Panama 1981, verdeckte Operationen gegen Nicaragua in den 80ern, Invasionen gegen Grenada 1983 und Panama 1989.

UZ: Was ist zum Gedenken am 26. Juni in Chile und Deutschland geplant?

Nancy Larenas: In Chile organisiert die KP einen zentralen Akt auf dem Platz der Konstitution in Santiago und vom 26. bis 28. Juni ein internationales Gedenkseminar, das „Allende und das 21. Jahrhundert“ heißt. In Berlin hat am 30. Mai ein Filmzyklus zu Salvador Allende begonnen, der am 28. mit einer Ehrung endet. In Berlin-Köpenick gibt es eine Ausstellung und eine Musikveranstaltung im Salvador Allende-Zentrum.

UZ: Nancy, viele zählen Chile zu den progressiv regierten Ländern in Lateinamerika. Was ist deine Meinung zu der Regierung der Sozialistin Michelle Bachelet?

Nancy Larenas: Ihr Wahlsieg für die Allianz „Concertación por la Democracia“ wurde von einem breiten Spektrum begrüßt, von George Bush bis zu progressiven Regierungen Lateinamerikas, von Medien wie Financial Times oder Wall Street Journal und von Finanzinstituten wie dem IWF oder der Weltbank. Es wird argumentiert, dass sie die erste Präsidentin Lateinamerikas sei, eine Zeit in der Diktatur im Gefängnis war, Tochter eines allendetreuen Luftwaffengenerals ist, der an den Folgen der Folter starb, in einem sozialistischen Land (DDR) lebte und leitende Persönlichkeit der Sozialistischen Partei Chiles war. Aber diese Argumente sind wertlos bei einem Blick auf ihre politische Biographie der letzten Jahre und die Koalition, der sie angehört: nie hat sie die Straflosigkeit der Militärs, die ihren Vater gefoltert haben, in Zweifel gezogen, sondern sie hat die militärische Doktrin der nationalen Sicherheit übernommen. 1997 hat Michelle Bachelet für ein Jahr am „Interamerika­nischen Kolleg für Verteidigung“ in Washington einen Kursus zur Kontinentalver­teidigung belegt, wo sie die US-Doktrin des „inneren Feindes“ verinnerlichte.

Seit ihrer Amtszeit als Verteidigungsmi­nisterin stieg das Militärbudget in neue Höhen: pro Kopf lag er über allen anderen Staaten Lateinamerikas. Bachelet war die wichtigste Unterstützerin einer Militärmission nach Haiti, die die USA bei der Repression gegen die Aristide-Anhänger ersetzte.

Das blutig von der Militärdiktatur durchgesetzte neoliberale Modell wurde nach 1989 weitergeführt und verschärft; nach den Vorgaben des Konsens von Washington, der in den Neunziger Jahren das Muster war für fast alle Länder Lateinamerikas. Für Chile war die Forderung eine Mitte-Links-Regierung, unter Ausschluss der Kommunistischen Partei, und ein Wirtschaftsschema neoliberalen Zuschnitts für die gesellschaftliche Entwicklung.

Der Übergang zur Demokratie war nach den Regeln und der Verfassung Pinochets gemacht, die bis heute gültig ist. Im Ergebnis ist eine große Mehrheit des Volkes ausgeschlossen von der demokratischen Teilhabe, hat wegen des binominalen Wahlrechts kein Recht auf seine Repräsentanz im Parlament und ist einer großen Ungleichheit bei der Verteilung des immensen Reichtums, der während der ganzen Jahre angehäuft wurde, unterworfen.

Die Concertación hat nicht nur die betrügerischen Privatisierungen der Diktaturzeit akzeptiert, sondern diese auf alle Bereiche der Wirtschaft ausgedehnt, wie auf Gesundheit, Pensionen und Bildung. Die restriktiven Arbeitsgesetze verhindern, dass die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung Industriestreiks durchführen können, und die Mehrheit der Landarbeiter/innen hat keinen Schutz gegen die Agroindustrie und die Ausfuhrindustrien bei Weintrauben, Wein und Holz. Eine neue Klasse von Multimillionären dominiert eine höchst monopolisierte Ökonomie; zusammen mit europäischen und US-amerikanischen Transnationalen plündern sie die Ressourcen in der Fischerei, dem Wald, bei Wasser und Erzen. Sie bemächtigen sich indigenen Landes und kriminalisieren die Mapuche-Indianer.

Und die Concertación ist international die erste, die für den Amerika-Freihandel der USA war und bei den jährlichen Treffen der Menschenrechtskom­mission in Genf gegen Kuba stimmte.

Die Essenz der Concertación ist nach Ex-Präsident Patricio Aylwin „die soziale Marktwirtschaft“ oder der Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz. „Es geht um den Erhalt des neoliberalen Modells und die Konzentration der staatlichen Anstrengungen auf eine Unterstützung für die Ärmsten.“ Bachelet hat demgemäß einige Projekte wie das System solidarischer Pensionen, den Extra-Bon oder Medikamente für über Sechzigjährige eingeführt.

Condoleezza Rice hat bei ihrem Chile-Besuch im April gegenüber Bachelet ausgedrückt: „Es ist angenehm in Chile zu sein, einem Land, das offen gegenüber dem Unternehmer und dem freien Handel ist. Die Resultate zeigen sich am Wirtschaftswachstum. Das Großartige am Programm der Präsidentin Bachelet ist, dass die wirtschaftlichen Gewinne für alle Menschen des ganzen gesellschaftlichen Spektrums da sind.“

Aber die Wahrheit sieht man in den Straßen Chiles bei den Protesten der Kupferarbeiter, der Schüler/innen, der Arbeiter aus den Lachsfabriken, der Frauen, der Mietschuldner, der Mapuche und bei denen, die für eine Reform des Transportsystems eintreten. Der demokratische Fortschritt kann nur mit der Einheit aller kommen, die gegen das politische Modell sind, um mit einer Stimme Druck auszuüben gegen die Ungerechtigkeit und für eine bessere Welt.

Quelle: unsere zeit

Reflexionen des Genossen Fidel: Salvador Allende, ein bleibendes Beispiel Zur Person: Salvador Allende Gossens Geburtstag: 26. Juni 1908 in Valparaiso; Todestag: 11. September 1973 in Santiago de Chile. Salvador Allende (links im Bild neben dem Dichter Pablo Neruda)war promovierter Arzt und von 1970 bis zum Putsch der Militärs um General Pinochet 1973 frei gewählter, sozialistischer Präsident Chiles. Bei der Verteidigung des Präsidentenpalastes Moneda gegen die Putschisten kam er ums Leben.