KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Haben Freiheit nach außen und innen verloren

28.Juli: Ägyptische Grenztruppen hindern die Menschen zurück in den Gazastreifen zu gehen, nachdem Israel das Schließen der Grenzen für mehr als 50 Tage anordnete.

Von Oliver Eberhardt (24.1.2008)

Die Lage im Gaza-Streifen ist dramatisch. Der Unmut über die Hamas wird jedoch nicht in Liebe zur Fatah oder zu Israel umschlagen – Mit bloßen Händen trägt er sie zur Tür herein, hinein ins gleißende Licht der Fernsehschein­werfer, während ein Arzt hinzu eilt, um das apathisch in den Armen ihres Vaters liegende neunjährige Mädchen zu versorgen. „Vermutlich Dehydrierung“, diagnostiziert der Arzt mit einem fachkundigen Blick und schaut zum Vater: „Geben Sie ihr Wasser, so viel Sie können, und etwas Salz. Wir müssen unsere Infusionen für die wirklich schweren Fälle aufheben.“ Dann dreht der namenlose Mediziner das Gesicht in die Kameras, und für einen Moment scheint es, als würde hier, am Samstagabend, eine neue Folge einer Ärzte-Serie gedreht.

Doch dies ist keine erfundene Klinik irgendwo in Leipzig oder Chicago, sondern das Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Aber was Wahrheit ist, was Fiktion, ausgedacht von PR-Strategen und Funktionären in fernen Büros und dankbar aufgenommen von den Dutzenden Fernsehteams aus aller Welt, das liegt hier genauso im Dunkeln wie ein großer Teil des Krankenhauses, das einst der Stolz des vorbildlichen palästinensischen Gesundheitssystems war. „Wir mussten viele Stockwerke räumen, weil wir nicht genug Strom haben“, sagt Mohammad Abu Khalil, der sich als Sprecher des Krankenhauses ausgibt, eigentlich aber Funktionär der Hamas sein soll. „Natürlich haben wir Generatoren, die bei Stromausfällen einspringen sollen. Aber dafür brauchen wir Treibstoff, den wir nicht haben, weil Israel die Lieferungen eingestellt hat.“

In der Tat liegt Gaza in dieser Nacht in tiefster Finsternis, und auch auf dem Trockenen, weil „kein Strom“ auch „kein Wasser“ bedeutet, denn Wasser wird mit Pumpen gefördert. „Das ist das wirklich Schlimme“, sagt Osama Schweiki, 36 Jahre alt und Vater zweier Kinder, „Ich kann weniger essen und weniger trinken. Ich kann die Gasheizung ausgeschaltet lassen. Aber überlegen zu müssen, ob ich auf die Toilette gehe oder ob ich mir das Gesicht wasche, das ist unerträglich.“ Den Samstag hat er in einem Teehaus in Gazas Stadtmitte verbracht, zusammen mit Dutzenden anderen Männern, die wie er arbeitslos sind.

Täglicher Kampf ums Überleben

Wenn man sie fragt, sprechen sie vom Kampf ums Überleben, davon, dass nach der Übernahme des Gaza-Streifens durch die Hamas zwar die Sicherheitslage besser, aber die humanitäre Situation schlechter geworden ist. Man fühlt sich verlassen: Von der Palästinensischen Autonomiebehörde im fernen Ramallah, das die meisten nie besucht haben, weil zwischen hier und da Israel liegt; von der ägyptischen Regierung, die man hier als Marionette Israels sieht; und auch von der Hamas, von der man gehofft hatte, dass sie endlich für geordnete Verhältnisse in diesem völlig übervölkerten Landstrich sorgt, und die sich stattdessen einen ewigen Kleinkrieg mit Israel liefert. „Ich bin mir nicht sicher, ob es notwendig ist, Israel zu provozieren. Wir wissen doch alle, was dann passiert“, sagt Schweiki, der einzige, der seinen Namen nennen will. Die Hamas hat im Laufe der vergangenen sieben Monate nicht nur große Schritte unternommen, um den erzkonservativen Gaza-Streifen unter ein islamisches System zu stellen, sondern auch eine Atmosphäre der Paranoia geschaffen. Wenn Ausländer mit Einheimischen sprechen, dauert es meist nicht lange, bis sich ein Mitglied der Massenorganisation Hamas einschaltet, um das Gespräch in die richtige, will heißen der Parteilinie entsprechende Richtung zu lenken. „Wir haben in den vergangenen Monaten unsere Freiheit nach außen und nach innen verloren“, sagt einer der Männer, „Es wird nicht mehr lange dauern, bis hier alles in die Luft geht.“

Es ist genau diese Explosion, die sich Israels Regierung von der vollständigen Abriegelung des Gaza-Streifens erhofft. „Die Menschen müssen sich bewusst werden, dass die Dinge nur besser werden können, wenn sie sich gegen die Hamas wenden“, sagen Sprecher der israelischen Regierung immer wieder und verweisen darauf, dass die Einstellung von Strom- und Treibstofflie­ferungen bereits Erfolge zeige: Die Zahl der Raketenangriffe auf Israel sei stark zurückgegangen, bevor am Dienstag wieder eine größere Treibstofflieferung genehmigt wurde. Zudem habe das israelische Militär es geschafft, Hamas und Islamischen Dschihad durch die Tötung von Funktionären der beiden Organisationen massiv zu schwächen. Man hoffe darauf, dass es dadurch der Notstandsregierung der Palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland möglich werde, wieder die Macht über den Gaza-Streifen zu übernehmen.

„Israel wird schnell nachgeben müssen“

Nur: „Unmut über die Hamas wird nicht in Liebe für die Fatah oder für Israel umschlagen“, sagt ein Mitarbeiter des arabischen Nachrichtensenders »Al Arabija«, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen will. „Die Fatah bleibt für die Menschen hier eine Marionette Israels. Ich denke eher, dass Israel sehr schnell wird nachgeben müssen, denn wie lange kann man 1,7 Millionen Menschen von den Dingen des täglichen Lebens abschneiden, ohne dafür international in die Kritik zu geraten? Zudem droht die Gefahr, dass die Lage im Westjordanland ebenfalls eskaliert.“

Die Hamas arbeitet in diesen Tagen hart daran, dass dies eher früher als später geschieht. So sendet »Al Aksa TV«, der Fernsehsender der Hamas, trotz der Stromausfälle ununterbrochen. Immer wieder werden der versammelten Weltpresse dramatische Bilder geliefert. Das Ziel sei, ist von Eingewehten zu hören, vor allem die öffentliche Meinung in der arabischen Welt gegen Israel aufzubringen, um damit den Friedensprozess mit der Autonomiebehörde zu torpedieren.

„Das vieles von dem, was wir senden, gestellt ist, dessen sind wir uns bewusst“, sagt der »Al-Arabija«-Journalist am Sonnabend im Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt: „Die Lage wird deshalb ja nicht weniger schlimm.“ In der Tat lässt sich die Verzweiflung, die Hoffnungslosigkeit in den Familien, von Freunden und Bekannten, nicht einmal durch Geld lindern, weil das Banksystem meist nicht funktioniert. Und wenn doch einmal eine Überweisung durchgeht, ist oft nicht genug Bargeld vorhanden, um sie auszuzahlen. Funktionäre der Hamas machen, zumindest hinter vorgehaltener Hand, kaum einen Hehl daraus, dass sie wenig Interesse daran haben, den täglichen Überlebenskampf der Menschen zu zeigen, weil darin keine Spur des Durchhaltewillens zu erkennen ist, wie ihn das Drehbuch der PR-Strategen der Hamas vorsieht. „Jeder, den ich kenne, ist am Ende“, sagt Osama Schweiki, „Das hier ist kein Leben.“

Zu „Revolutionären“, wie es sich Israels Regierung erhofft, werden sie deshalb noch nicht. Ganz im Gegenteil: Man flüchtet ins Private. „Wir können doch nichts ändern“, ist immer wieder zu hören: „Wir werden Israel nicht besiegen, und weder die Hamas noch die Fatah werden unser Leben bessern. Die verfolgen doch beide ihre eigenen Ziele.“

Ägypten fürchtet Destabilisierung

Und so ist auch die große Explosion, die sich in der Nacht zum Mittwoch ereignete, eine gestellte: Am Dienstagabend sprengten palästinensische Kämpfer, vermutlich Mitglieder der Hamas, an mehreren Stellen den Zaun entlang der ägyptischen Grenze. Nach UN-Angaben strömten daraufhin hunderttausende Bewohner des Gaza-Streifens nach Ägypten, vor allem, um Lebensmittel und Treibstoff zu kaufen, während Israel und Ägypten tatenlos zuschauen mussten. „Wir haben einfach nicht genug Personal in dieser Region, um dagegen anzugehen“, antwortet ein Sprecher des ägyptischen Außenministeriums auf die Forderung Israels, Kairo solle umgehend die Grenze sichern.

In der Tat regelt der ägyptisch-israelische Vertrag von Camp David die Zahl der ägyptischen Polizisten und Soldaten auf der Sinai-Halbinsel. Doch Ägyptens Regierung hat im Moment ohnedies kaum ein Interesse daran, Maßnahmen zu ergreifen, die sich für sie selbst ungünstig auswirken könnten. Denn in Kairo fürchtet man, dass die Lage im Gaza-Streifen die Situation in Ägypten destabilisieren könnte: Dort wird die islamistische Opposition stärker. Die dramatischen Bilder aus dem Schifa-Krankenhaus im Dunkeln und von anderswo haben ihre Wirkung auf die ägyptische Öffentlichkeit nicht verfehlt.

Quelle: Neues Deutschland, Oliver Eberhardt aus Jerusalem