KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Jubel vor dem Parlament nach der Proklamation der Provisorischen Regierung am 27. April 1945.

Erklärung der KPÖ zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus

(24.4.2020)

Im April 2020 jähren sich zum 75. Mal die Befreiung Österreichs vom Faschismus und die Gründung der Zweiten Republik. Ende März 1945 erreichten sowjetische Truppen österreichischen Boden, am 13. April wurde Wien nach einem opferreichen Kampf von der Roten Armee befreit. Am 27. April 1945 wurde eine Provisorische Regierung gebildet, an der die KPÖ als gleichberechtigte Partnerin von SPÖ und ÖVP beteiligt war. Neben Johann Koplenig als Vizekanzler gehörten ihr zwei von der KPÖ gestellte Staatssekretäre und sieben Unterstaatsse­kretärInnen an. Mit Hella Postranecky (Unterstaatsse­kretärin für Volksernährung) entsandte die KPÖ die erste Frau in eine österreichische Regierung.

Führende Kraft im antifaschistischen Widerstand

Die KPÖ konnte die Legitimität, an der ersten nach der Befreiung gebildeten österreichischen Regierung beteiligt zu sein, direkt aus ihrem Beitrag zum Widerstandskampf und der hohen Zahl ihrer Opfer ableiten. Im März 1938 war die KPÖ die einzige politische Kraft, die zum aktiven Widerstand gegen den „Anschluss“ an das Deutsche Reich aufrief und für die Wiedererrichtung eines freien, unabhängigen Österreich eintrat. Schon in den Jahren davor hatte die KPÖ – entgegen dem deutschnationalen Mainstream – die Herausbildung einer österreichischen Nation nachgewiesen und damit den Anti-Hitler-Kampf als nationalen Befreiungskampf Österreichs begriffen und geführt. Die Entwicklung eines fortschrittlichen Nationalbewus­stseins auf antifaschistischer Grundlage blieb auch nach 1945 eine Konstante ihrer Politik.

Im antifaschistischen Widerstand legte die KPÖ eine besondere Bewährungsprobe ab: KommunistInnen kämpften in Spanien gegen den Franco-Faschismus, sie führten von 1938 bis 1945 im Land selbst den illegalen Kampf gegen den Hitlerfaschismus, sie kämpften in der slowenischen antifaschistischen Befreiungsfront, in den Widerstandsbe­wegungen Frankreichs, Belgiens und anderer Länder, in den auf Initiative der KPÖ im November 1944 in Slowenien gebildeten österreichischen Freiheitsbata­illonen, und sie nahmen in den Konzentration­slagern, in den Armeen der Anti-Hitler-Koalition und in den verschiedenen Exilländern am Kampf gegen den Faschismus teil. Damit wurde auch der Anspruch der Moskauer Deklaration erfüllt, in der die Alliierten Mächte im November 1943 Österreich an seine Mitverantwortung für die Teilnahme am Hitler-Krieg erinnerten und die ÖsterreicherInnen dazu aufforderten, einen eigenen Beitrag zur Befreiung zu leisten.

Johann Koplenig, Vorsitzender der KPÖ und Vizekanzler der Provisorischen Regierung, bei einer Kundgebung der KPÖ am Schuhmeierplatz in Wien-Ottakring im Jahr 1945. Anlässlich des 75. Jahrestags der Unterzeichnung der Unabhängigkeit­serklärung hält die KPÖ weiter an ihrer Initiative fest, eine Verkehrsfläche in Wien nach dem Mitunterzeichner dieses Gründungsdokuments der Zweiten Republik zu benennen.

Mehr als 2.000 österre­ichische KommunistInnen wurden vom NS-Regime wegen ihres aktiven Widerstands gegen Krieg und Faschismus und wegen ihres Kampfs für die Wiedererrichtung eines freien Österreichs ermordet. Als zunächst kleine Partei leistete die KPÖ in den Jahren 1938 bis 1945 den größten Anteil am antifaschistischen Widerstand. Sie war die Hauptkraft im organisierten Kampf gegen die NS-Diktatur. Seinen sichtbaren Ausdruck fand der Anteil der KPÖ an der Befreiung Österreichs durch die Unterschrift von Johann Koplenig, des damaligen Parteivorsitzenden, unter die am 27. April 1945 von Vertretern der drei Parteien verabschiedete Unabhängigkeit­serklärung.

Partei des demokratischen Wiederaufbaus

Als die Rote Armee immer weiter Richtung Wien vorstieß, organisierten KommunistInnen kleine Kampfgruppen, um zum gegebenen Zeitpunkt Kompanien der Wehrmacht, der Waffen-SS und Volkssturmeinheiten entweder zur Niederlegung der Waffen zu zwingen oder unschädlich zu machen. Angehörige der KPÖ kämpften in den Apriltagen mit der Waffe in der Hand und trugen so zur Befreiung Österreichs bei. Die kommunistischen AktivistInnen warteten im April und Mai 1945 nicht erst auf Weisungen zentraler Instanzen, sondern ergriffen mit dem Ende der Kampfhandlungen aus eigenem Antrieb die Initiative, um die schwierige Lage zu meistern und das öffentliche Leben wieder in Gang zu bringen. Sie organisierten erste Aufräumungsar­beiten, nahmen die Versorgung mit Lebensmitteln in Angriff, kümmerten sich um die Wiederingangsetzung der Betriebe, stabilisierten die prekären Sicherheitsver­hältnisse und reaktivierten den öffentlichen Verkehr.

Auch beim Wiederaufbau demokratischer Verwaltungsstruk­turen in den Bezirken und Gemeinden standen oft KommunistInnen an erster Stelle. So gehörten im Jahr 1945 mindestens 165 Bürgermeister der KPÖ an, nicht nur in der sowjetischen Besatzungszone, sondern in allen Bundesländern. Die KPÖ war an allen provisorischen Landesausschüssen mit zumindest einem Mitglied beteiligt. Gemeinsam mit sozialdemokra­tischen und christlichen GewerkschafterInnen war die KPÖ in diesen Tagen an der Gründung eines neuen einheitlichen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) beteiligt. Bei Betriebsratswahlen errang die KPÖ in vielen Großbetrieben die Mehrheit. Mit der Herausgabe der „Stimme der Frau“ ab Oktober 1945 und der Gründung des überparteilichen „Bundes demokratischer Frauen Österreichs“ (BDFÖ) wurde an die Erfahrungen der proletarischen Frauenbewegung der Ersten Republik und im antifaschistischen Widerstand angeknüpft. Auch im kulturellen Leben und in den Bereichen Sport und Wissenschaft leisteten KommunistInnen wichtige Beiträge zum demokratischen Wiederaufbau.

Zwei Konzeptionen

Nach der Befreiung vom Faschismus stand Österreich vor einer Richtungsentsche­idung. Die KPÖ trat für einen echten Neubeginn ein, für einen radikalen Bruch mit den Strukturen des Monopolkapita­lismus, für ein neues, demokratisches Österreich, in dem die sozialen Wurzeln für Faschismus und Krieg beseitigt sind und das Großkapital entmachtet ist. Schwerpunkte des kommunistischen Programms waren die Verstaatlichung aller ökonomischen Schlüsselstellun­gen, die Entnazifizierung und Demokratisierung des öffentlichen Lebens, vor allem des Staatsapparats, und eine demokratische Bodenreform. Mit dem NS-Verbotsgesetz wurde jede Form nationalsozia­listischer Wiederbetätigung unter Strafe gestellt. Von eigens eingerichteten Volksgerichten wurden österreichische Mitschuldige an Kriegsverbrechen abgeurteilt. Von größter Bedeutung waren die 1946 und 1947 beschlossenen Gesetze zur Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und der Energiewirtschaft. Nicht durchsetzen konnte sich die KPÖ mit ihrer Forderung nach Ausarbeitung einer neuen Verfassung.

Letztlich ging es um eine Entscheidung darüber, ob sich der Wiederaufbau Österreichs als Restauration kapitalistischer Verhältnisse oder als Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Gesellschaftsor­dnung vollziehen werde. Sowohl SPÖ als auch ÖVP gefielen sich damals in antikapitalis­tischen Tönen. „Dass die Zukunft des Landes dem Sozialismus gehört, ist unfraglich und bedarf keiner Betonung“, schrieb Staatskanzler Karl Renner (SPÖ) am 15. April 1945 an Josef Stalin. Bundeskanzler Leopold Figl (ÖVP) stellte am 21. Dezember 1945 in seiner Regierungserklärung „ein neues, ein revolutionäres Österreich“ in Aussicht. Diese Stellungnahmen, die sich als Lippenbekenntnisse herausstellten, waren nicht nur ein Zugeständnis an die sowjetische Besatzungsmacht, sondern sie waren auch der Tatsache geschuldet, dass mit der Niederlage des Faschismus das große Kapital diskreditiert und das kapitalistische System insgesamt erschüttert war. In breiten Teilen der Bevölkerung war der Wunsch nach einem „neuen Österreich“ vorhanden, ein Österreich ohne Ausbeutung und Profitwirtschaft.

Vom Antifaschismus zum Antikommunismus

Letztlich entstand jedoch kein „neues, revolutionäres Österreich“, sondern der alte Kapitalismus. Das Resultat der Novemberwahlen des Jahres 1945 (5,4 Prozent) bedeutete das Ende der kommunistischen Hoffnungen auf eine antifaschistisch-demokratische Neuordnung. Das Gewicht der KPÖ wurde fortan vom Kalten Krieg bestimmt. Der antifaschistische Grundkonsens des Jahres 1945 wich einem antikommunistischen Konsens, die antifaschistische Zusammenarbeit der demokratischen Parteien wurde durch die Sozialpartnerschaft abgelöst. KommunistInnen und mit ihr zusammenarbeitende Linke wurden nun aus der aktiven Gestaltung der Zweiten Republik und aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgegrenzt.

Während die Opferthese und andere Verdrängungszu­sammenhänge der österreichischen Geschichte – etwa die Fiktion einer „Stunde Null“ im April 1945 – seit den 1980er Jahren in den Fokus geschichtspoli­tischer Auseinanderset­zungen rückten, wurde der Stellenwert des Antikommunismus in der österreichischen Nachkriegsgese­llschaft bislang wenig thematisiert. Er wurde zur Integrationsi­deologie von SPÖ und ÖVP, um den kapitalistischen Wiederaufbau zu legitimieren und Kritik daran als kommunistisch zu diskreditieren. Kommunistische Widerstandskämpfe­rInnen wurden ausgegrenzt, im Gegenzug wurden ehemalige Nationalsozia­listInnen in die Nachkriegsgese­llschaft integriert. Die Hegemonie des Antikommunismus verdrängte die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozia­lismus, die Entnazifizierung kam faktisch zum Stillstand.

Angesichts der äußeren Anfeindungen und einer immer dichter werdenden Wand von Vorurteilen, der die österreichischen KommunistInnen gegenüberstanden, fand das simple Freund-Feind-Schema und Blockdenken des Kalten Krieges auch in ihren eigenen Reihen Resonanz. Die Ausgrenzung der Partei war so mit einer Selbstausgrenzung verbunden. Hauptfaktor dieser Selbstisolierung war die mehr absolute denn kritische Solidarität der KPÖ mit der Sowjetunion und den Volksdemokratien. Die Identifikation der KPÖ mit der Sowjetunion führte dazu, dass sie sowohl den negativen Erscheinungen der sowjetischen Besatzungspraxis in Österreich als auch Fehlentwicklungen in den sozialistischen Ländern weitgehend kritiklos gegenüberstand.

Oppositionelle Hauptkraft

Infolge ihrer Kritik an der Währungsreform schied die KPÖ im November 1947 aus der Regierung aus. An die Stelle der demokratischen Konzentration trat nun der Proporz, die „große Koalition“. Die KPÖ konzentrierte sich nun auf außerparlamen­tarische Aktionen. Sie war die Hauptkraft der Massenbewegungen gegen die Lohn-Preis-Abkommen und wurde von einer großen Anzahl von ArbeiterInnen als wichtigste oppositionelle Kraft gegen die kapitalistische Restauration wahrgenommen. Höhepunkt dieser Klassenauseinan­dersetzungen war die Streikbewegung im September und Oktober 1950. Die KPÖ stand an der Spitze des „Oktoberstreiks“, in dessen Verlauf sich große Teils der ArbeiterInnenschaft gegen die Politik der Regierung auflehnten, die Kosten des kapitalistischen Wiederaufbaus auf die Werktätigen abzuwälzen.

Die KPÖ trat nach 1945 stets für die volle Unabhängigkeit und Souveränität Österreichs ein. Als Weg dorthin propagierte sie die Neutralität, die von SPÖ und ÖVP lange Jahre abgelehnt wurde. Tatsächlich war es das Rezept der „immerwährenden Neutralität“, das Österreich im Jahr 1955 die Unterzeichnung des Staatsvertrags brachte. Der Jahrestag der Befreiung ist für die KPÖ auch ein Anlass, auf die Notwendigkeit der Neutralität und auf den antifaschistischen Auftrag der Verfassung und des Staatsvertrags hinzuweisen. Die KPÖ beharrt auf dessen Einhaltung und Erfüllung, sowohl was den Kampf gegen den Neofaschismus betrifft als auch hinsichtlich der darin fixierten Minderheitenrechte.

Kommunistische Aufbauleistungen anerkennen

Der Anteil der KommunistInnen am demokratischen Neubeginn wurde später gerne übersehen oder totgeschwiegen, passt er doch nicht in das sozialpartner­schaftlich geprägte Bild, das die Geschichte der Zweiten Republik als großkoalitionäre Erfolgsgeschichte mit den Hauptakteuren SPÖ und ÖVP zeichnet. Bereits in der Vergangenheit zeichneten sich runde Jahrestage dadurch aus, dass der Beitrag der KommunistInnen zum Wiederaufbau der Zweiten Republik so gut wie keine Erwähnung oder Würdigung fand. Dieser geschichtlichen Leistung der KPÖ wird vom offiziellen Österreich noch immer weitgehend die Anerkennung versagt. Bezeichnenderweise steht auch der 75. Jahrestag der Befreiung im Zeichen einer solchen Geringschätzung.

Obwohl sich die Bezirksvertretung von Wien-Brigittenau auf Antrag der SPÖ mehrheitlich für die Benennung eines Teils des Höchstädtplatzes nach Johann Koplenig ausgesprochen hatte, erteilte der zuständige Ausschuss der Stadt Wien diesem Antrag einstimmig – also mit den Stimmen aller im Rathaus vertretenen Fraktionen – eine Absage. In einem vom Magistrat der Stadt Wien zu diesem Zweck erstellten Gutachten wird der Mitbegründer und erste Vizekanzler der Zweiten Republik als „Anhänger einer totalitären Ideologie“ verunglimpft, was eine Verhöhnung der kommunistischen Aufbauleistungen darstellt. Anlässlich des 75. Jahrestags der Unterzeichnung der Unabhängigkeit­serklärung hält die KPÖ weiter an ihrer Initiative fest, eine Verkehrsfläche in Wien nach dem Mitunterzeichner dieses Gründungsdokuments der Zweiten Republik zu benennen.

Erklärung des Bundesvorstands der KPÖ
beschlossen im April 2020


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