KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Ein Schachzug nicht ohne Logik

SPÖ-Wählerstromanalyse - reine Rhetorik wird die verlorenen Stimmen nicht zurückbringen

Von Walter Baier (30.6.2008)

Den Vogel schoss die Fellner-Zeitung „Österreich“ ab, indem sie den Tenor der allgemeinen Medienreaktionen zur neuen EU-Rhetorik der SPÖ-Spitze auf folgende Formel brachte: „Gusenbauer setzt Anti-EU-Kurs in der SPÖ durch“. Wie wenig überzeugt muss also das politische und mediale Establishment von der eigenen Politik sein, wenn schon die vage Aussicht auf Volksabstimmungen als „Anti-EU-Kurs“ aufgefasst wird.

Bislang läuft das Spiel ja so: Um die grenzenlosen Freiheiten des Kapitals und die damit verbundenen sozialpolitischen Verschlechterungen der innenpolitischen Kritik zu entziehen, werden sie vornehmlich über Brüssel durchgesetzt. Das nimmt zeitweise Druck von den innenpolitischen AkteurInnen, führt aber begreiflicher Weise dazu, dass die EU in den Augen der europäischen Bevölkerungen immer mehr zum Synonym für Sozialabbau und Neoliberalismus wir­d.

Dass es vornehmlich rechte und populistische Parteien sind, die den so provozierten Unmut in ihr nationalistisches und fremdenfeindliches Programm einbauen, wird zwar offiziellerseits bedauert, gehört aber zu diesem Spiel ebenso wie der europaweite Niedergang der sozialdemokra­tischen Parteien. Diese holt nämlich inzwischen die eigene Politik, sich umstandslos mit der EU und ihrem Neoliberalsimus zu identifizieren, ein. Gusenbauers und Faymanns Schachzug entbehrt auf diesem Hintergrund nicht einer bestimmten Logik: Warum sollten sie ein Spiel mitmachen, bei dem sie nur immer weiter verlieren können?

Einst war die Sozialdemokratie ausgezogen, das „Proletariat mit dem Bewusstsein seiner Lage zu erfüllen“. Heute betreibt sie das exakte Gegenteil. Die Gründe für eine sozialpolitisch motivierte Kritik an der EU liegen zu Hunderten auf der Straße: Die von den Arbeitsministern ausgehandelte Arbeitszeitrichtli­nie, die eine Ausdehung der Wochenarbeitszeiten auf 65 Stunden ermöglichen soll, die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofes, mit dem nationalstaatliches Kollektivvertrags- und Arbeitsrecht aufgehoben wird, die als „Friedensmissionen“ drapierten Kolonialabenteuer im Tschad und in Afghanistan. Selbst der sozialdemokratisch geführte Europäische Gewerkschaftsbund ruft für Anfang Oktober zu Protestaktionen gegen die antisoziale Politik der EU auf.

Der Weg, den Gusenbauer und Faymann wählten, ihre neuesten europapolitischen Erkenntnisse der Öffentlichkeit mitzuteilen, ist in der Tat symbolisch. Nicht die von Gewerkschaften und der Europäischen Linken formulierte Kritik bildet ihren Ausgangspunkt, sondern die weichen Knie vor der nationalistischen Kampagne der größten Boulevardzeitung. Um letztere zu bedienen, wird daher ausgerechnet ein eventueller EU-Beitritt der Türkei als möglicher Anlass für eine Volksabstimmung genannt. H.C. Strache und Jörg Haider lassen grüßen.

Dass das Taktieren mit der Rechten die strategische Lage der entnervten SP-Spitze nachhaltig verbessern kann, muss bezweifelt werden. Die Notwendigkeit einer demokratisch und sozial orientierten Alternative zu ihrer Politik wird dadurch aber – einmal mehr – unterstrichen.