KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

... Erpressung ... das bindende Glied der EU?

(18.6.2008)

Plan B, Berlin/Dublin – Mit einer systematisch aufgebauten Drohkulisse wollen Berliner Europapolitiker eine Wiederholung des irischen Referendums zum Vertrag von Lissabon erzwingen. Wie aus Interviews und Analysen nach dem „No“ vom vergangenen Freitag hervorgeht, soll der Vertrag, um mehrere unbedeutende Zugeständnisse ergänzt, erneut zur Abstimmung gestellt und womöglich mit der Entscheidung über den Verbleib Irlands in der EU verbunden werden. Um der Dubliner Regierung die Durchsetzung eines zweiten Referendums zu ermöglichen, werden Pläne lanciert, denen zufolge der Vertrag von Lissabon auch ohne Irland in Kraft treten und das Land weitestgehend isolieren könnte. Ersatzweise bleibt der Aufbau eines deutsch-französischen „Kerneuropa“ im Gespräch. Da die Umsetzung der Pläne nach Berliner Ansicht mit dem Ende jeglicher demokratischer Legitimation der EU verbunden wäre, sollen sie im ersten Schritt nur als Drohkulisse dienen; zugleich eröffnen sie für den Fall, dass die irische Bevölkerung sich nicht einschüchtern lässt, eine reale politische Option. Voraussetzung ist, dass sämtliche anderen EU-Staaten den Vertrag ratifizieren; dies verlangt die deutsche Bundesregierung.

Weiter ratifizieren

Nach dem irischen „No“ vom vergangenen Freitag haben deutsche Europapolitiker binnen weniger Stunden in Interviews und Analysen Wege für das weitere deutsche Vorgehen skizziert. Demnach ist Berlin keineswegs bereit, das Abstimmungsergebnis zu akzeptieren. Zwar würde der bisher gültige Vertrag von Nizza ausreichen, um „die Gesetzgebungsmas­chine in Brüssel weiter funktionieren“ zu lassen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme der Bertelsmann-Stiftung.[1] Ehrgeizige Vorhaben wie etwa die Etablierung eines EU-Außenministers mit angegliedertem Auswärtigem Dienst oder der Ausbau der EU-Militärpolitik könnten auch schrittweise eingeführt werden. Aber die Bundesregierung ist nicht bereit, dabei weitere Zeitverluste hinzunehmen, und besteht ohne Abstriche auf dem Vertrag von Lissabon. „Wir erwarten“, heißt es in einer zu Wochenbeginn abgesprochenen gemeinsamen Stellungnahme der deutschen Bundeskanzlerin und des französischen Staatspräsidenten, „dass die anderen Mitgliedstaaten“ der EU „ihre innerstaatlichen Ratifizierungsver­fahren weiterführen“.[2] Die Stellungnahme im Befehlston wurde noch am vergangenen Freitag publiziert. Der deutsche Außenminister bestätigte zeitgleich, er halte an dem „Ziel fest“, den Vertrag von Lissabon „in Kraft zu setzen“.[3]

Legitimation passé

Dabei stellt sich die Frage, wie mit der gescheiterten Ratifizierung in Irland umgegangen werden soll. Zwar gebe es die Möglichkeit, das Dubliner Veto durch komplizierte juristische Konstruktionen zumindest zeitweise zu ignorieren.[4] Diese Idee Frank-Walter Steinmeiers soll beim heutigen Treffen der EU-Außenminister besprochen werden. Aber ein dauerhaftes Inkraftsetzen des Vertrags von Lissabon ohne irische Zustimmung halten Fachleute für ausgeschlossen. Diese Variante sei zwar „politisch interessant“, urteilt die Bertelsmann-Stiftung: „Aus europa- und völkerrechtlicher Sicht ist dieses Vorgehen jedoch schlicht nicht möglich.“[5] Außerdem „würde sich das Bild einer Union zementieren, die ganz egal ob mit oder ohne die Bürger ihren Gang geht“, warnt die Stiftung: „Jegliche demokratische Legitimation der EU wäre passé.“

Politische Geiselnehmer

Dennoch wird das Ausschluss-Szenario „in den kommenden Wochen noch öfter aufgebaut werden“, vermutet die Bertelsmann-Stiftung – als „politische Drohkulisse“.[6] Zugleich lancieren deutsche Politiker Interpretationen des irischen „No“, die geeignet sind, eine Wiederholung der Abstimmung zu begründen. So behauptet der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, „die Iren“ seien „gar nicht gegen die Vertiefung“ der EU durch den Vertrag von Lissabon [7]: „Sie haben gegen mehr Abtreibungen und höhere Steuern gestimmt, auch wenn sich beides nicht aus dem Vertrag begründen lässt.“ Das „Nein-Lager“ habe „mit Lügengeschichten und Erpressung gearbeitet“, meint Brok: „Es geht nicht an, dass ein ganzer Kontinent durch solche Kampagnen blockiert wird.“[8] Die deutsche Presse nennt die Vertragsgegner sogar „politische Geiselnehmer“.[9] Brok plädiert offen für „ein neues Referendum in Irland spätestens Anfang 2009“.[10]

Heilige Kühe

Eine Wiederholung des Referendums ziehen auch deutsche Politikberater in Betracht. Allerdings solle der Vertrag von Lissabon „mit einer speziellen Erklärung für Irland aufgefrischt werden“ [11], heißt es bei der Bertelsmann-Stiftung. Möglich sei „eine nochmalige Klarstellung der EU bei den drei ‚heiligen Kühen‘ für Irland: militärische Neutralität, Abtreibung, Unternehmensste­uern“. Eine solche „Erklärung“ erlaubte es der Dubliner Regierung, ein neues Referendum anzuberaumen – nach dem Vorbild der Abstimmung über den Vertrag von Nizza, der 2002 ebenfalls erst in einem zweiten Referendum mit Zusätzen ratifiziert worden war. Inhaltlich wäre eine „Klarstellung“ völlig wertlos; dies zeigt das Beispiel der Neutralität, die zwar formal noch gewährleistet wird, aber unter Brüsseler Druck faktisch längst außer Kraft gesetzt wurde.[12 Angesichts der irischen Renitenz stellt das Münchner Centrum für Angewandte Politikforschung (CAP) noch eine weitere Abstimmungsversion zur Diskussion. Demnach könnte den Iren beim Referendum „die grundsätzliche Frage nach der Mitgliedschaft in der Europäischen Union“ vorgelegt werden – eine direkte Drohung mit dem Hinauswurf aus der EU bei anhaltendem Widerstand.[13]

Kerneuropa

Deutsche Forderungen nach engerem Zusammenschluss einiger weniger EU-Staaten und entsprechendem Ausschluss der übrigen Länder komplettieren die Drohkulisse. Man müsse „verstärkt über ein Kerneuropa nachdenken (…), in dem jene Staaten intensiver zusammenarbeiten, die mehr Integration wollen“ [14], verlangt der Vorsitzende im Europaausschuss des Deutschen Bundestages, Gunther Krichbaum (CDU). Da ein „Kerneuropa“, verglichen mit einer EU unter dem Vertrag von Lissabon, der Bundesrepublik nur geringere Macht verschaffte, gilt es in Berlin zur Zeit noch als zweite Wahl. Allerdings gelingt es Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre regelmäßig, mit Hilfe der Drohung mit „Kerneuropa“ seine Pläne für die Ausdehnung und Ausgestaltung der EU durchzusetzen. Zuletzt war dies im Frühjahr 2007 der Fall, als Berlin die Übernahme seiner maßgeblichen Vorarbeiten für den Vertrag von Lissabon erzwang (german-foreign-policy.com berichtete [15]).

Divergenzen

In den Thinktanks der Berliner Außenpolitik werden auch warnende Stimmen laut. So weist das CAP darauf hin, dass das irische „No“ gegen eine fast vollständig geschlossene Front der politischen Eliten zustande kam: Sämtliche im Parlament vertretenen Parteien bis auf eine plädierten für den Vertrag von Lissabon, sie wurden durch „Meinungsführer aus Wirtschaft, Medien und Gesellschaft“, darunter sowohl der einflussreiche Bauernverband als auch die katholische Kirche, unterstützt.[16] Wie Analysen nach dem Referendum zeigten, stimmten in den bevorzugten Dubliner Wohngebieten der politischen Eliten tatsächlich deutliche Mehrheiten mit „Yes“. Außerhalb dieser Viertel, vor allem in den Wohngebieten der städtischen Unterschichten und auf dem Land, kam es fast durchweg zu einem klaren „No“. Die deutliche Spaltung zwischen der wohlsituierten, EU-orientierten Oberschicht und dem Rest der Bevölkerung ist umso erstaunlicher, als gerade die irischen Landwirte finanziell von der EU profitieren. Die materielle Bindewirkung der Gelder aus den Brüsseler Töpfen reicht offenbar angesichts immer weiter divergierender Interessen zwischen den EU-Eliten und den Mittel- und Unterschichten nicht mehr aus.

Fundamental

Das CAP bestätigt „die Kluft zwischen den verantwortlichen Politikern (…) und der Skepsis und teils unverhohlenen Ablehnung in der Bevölkerung“.[17] „Ähnliche Tendenzen zeigten sich bereits bei den Verfassungsre­ferenden in Frankreich und den Niederlanden 2005“, ruft der Thinktank in Erinnerung: „Beinahe zwei Drittel der Unionsbürger haben das Gefühl, dass ihre Stimme in der EU nicht zählt.“ Dabei vollzieht sich die Abkoppelung „nicht etwa in den als europaskeptisch geltenden Ländern wie Großbritannien oder Tschechien (…), sondern in traditionell europafreundlichen Ländern“. Das CAP warnt davor, die wachsende Kluft in den Bevölkerungen Europas zu ignorieren: „Hier stellt sich der EU eine fundamentale Herausforderung“.

[1] Dominik Hierlemann: Was nun, Europa? Vier Optionen nach dem irischen „Nein“; Bertelsmann-Stiftung spotlight europe – spezial Nr. 2008/06, Juni 2008

[2] Gemeinsame Presseerklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy zum Ausgang des irischen Referendums über den Vertrag von Lissabon vom 12. Juni 2008

[3] Bundesminister Steinmeier bedauert Abstimmungsergebnis in Irland; Pressemitteilung des Auswärtigen Amts 13.06.2008

[4] Steinmeier schlägt EU-Pause für Irland vor; Financial Times Deutschland 14.06.2008

[5], [6] Dominik Hierlemann: Was nun, Europa? Vier Optionen nach dem irischen „Nein“; Bertelsmann-Stiftung spotlight europe – spezial Nr. 2008/06, Juni 2008

[7] „Nerven bewahren!“; Zeit online 13.06.2008

[8] „Ein Klein-Europa können wir uns nicht leisten“; Frankfurter Rundschau 14.06.2008

[9] Stunde der Geiselnehmer; Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.06.2008

[10] „Ein Klein-Europa können wir uns nicht leisten“; Frankfurter Rundschau 14.06.2008

[11] Dominik Hierlemann: Was nun, Europa? Vier Optionen nach dem irischen „Nein“; Bertelsmann-Stiftung spotlight europe – spezial Nr. 2008/06, Juni 2008

[12] s. dazu Das Ende der Neutralität, Das Ende der Neutralität (II) und Irish Neutrality

[13] Sarah Seeger: Und jetzt? Ursachen und Konsequenzen des irischen Neins zum Vertrag von Lissabon; www.cap-lmu.de 14.06.2008

[14] „Kerneuropa wird ein Thema“; Kölner Stadt-Anzeiger 13.06.2008

[15] s. dazu Erfolgsgeschichte, Unter der Führung des Reiches, Nicht hinnehmbar, Kriegsverlierer und Eine Frage von Krieg und Frieden in Europa

[16], [17] Sarah Seeger: Und jetzt? Ursachen und Konsequenzen des irischen Neins zum Vertrag von Lissabon; www.cap-lmu.de 14.06.2008

Quelle: Informationen zur Deutschen Außenpolitik