KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Indien: 150 Millionen im Generalstreik

Von: G. Polikeit (10.9.2015)

05.09.2015: Es war der größte Streik der letzten Jahre in Indien, und es war eindeutig ein politischer Streik. Denn er richtete sich gegen die „Wirtschaftsre­formen“ der rechtsnationa­listischen Regierung Modi. In den Massenmedien unseres Landes blieb er fast völlig ausgeblendet. Es waren die zehn einflussreichsten indischen Gewerkschaften, die für den 2. September zu einer 24 stündigen Arbeitsniederlegung aufgerufen hatten. In der Mehrzahl der 27 indischen Bundesstaaten führte der erste ganz Indien erfassende Streik seit dem Machtantritt der Modi-Regierung im Mai 2014 zum weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens und zahlreicher Wirtschaftsun­ternehmen. An vielen Orten kam der öffentliche Verkehr fast völlig zum Erliegen.

Lange Warteschlangen bildeten sich an den Busbahnhöfen in der Hauptstadt Neu Delhi und vielen Provinzstädten. Auch Vorortzüge und andere Eisenbahnstrecken lagen still, Schulbusse blieben in den Depots. Selbst Taxi- und Rikscha-Fahrer hatten sich teilweise dem Ausstand angeschlossen. Viele Banken blieben geschlossen, ebenso Schulen, Universitäten und Kindergärten. Auch im Bergbau, in IT-Firmen und vielen Verarbeitungsfirmen wurde gestreikt. Selbst die Gewerkschaft der Hausangestellten hatte zum Streik aufgerufen. Der Generalsekretär des Allindischen Gewerkschaftsbundes AITUC (All India Trade Union Congres), Gurudas Dasgupta, bezeichnete die Beteiligung als „magnificent“ (großartig) und nannte die Zahl von 150 Millionen Beteiligten (bei einer Gesamtbevölkerung Indiens von 1,3 Milliarden Einwohnern war das immerhin etwa jede® Zehnte; in Deutschland wären das umgerechnet 8 Millionen Streikende).

Überwiegend verliefen der Streik und die Kundgebungen oder Demonstrationen der Streikenden ohne Zusammenstöße. Nur an wenigen Stellen, so in der großen Hafenstadt Kalkutta im Bundesstaat Westbengalen kam es zu gewalttätigen Auseinanderset­zungen, als die Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas gegen Streikposten vorging und eine große Sitzblockade von mehreren dutzend Frauen mit Gewalt geräumt wurde. Aus den Reihen der Streikenden flogen Steine und Flaschen, einige Fahrzeuge wurden demoliert.

Die stärkste Beteiligung war in den traditionellen Hochburgen der Linken zu verzeichnen, so im ostindischen Bundesstaat Tripura, der seit 1993 unterbrochen von einer Regierung der „Linksfront“ regiert wird, in der die beiden kommunistischen Parteien (Kommunistische Partei Indiens – Marxisten [CPIM] und Kommunistische Partei Indiens [©PI] die tragenden Säulen sind. Bei der letzten Wahl im Februar 2013 hatte die Linksfront hier mit einer Mehrheit in 49 von 60 Wahlkreisen einen Erdrutschsieg errungen. Auch im ostindischen Bundesstaat Westbengalen und im südindischen Kerala, die bis 2011 unter einer kommunistisch geführten Regierung standen, waren das öffentliche Leben und die Wirtschaft am Streiktag fast völlig lahmgelegt.

Massenwiderstand gegen neoliberale „Arbeitsmarktre­form“ der Regierung Modi

Hauptgrund für den Streik war die von der Regierung beabsichtigte „Arbeitsmarktre­form“, die dem scharf neoliberalen Kurs der Regierung Modi entsprach. Darin ist u. a. vorgesehen, dass gesetzliche Regelungen abgeschafft werden, die es Unternehmen erschweren, Beschäftigte zu entlassen und Betriebe zu schließen. Auch die Durchsetzung von Überstunden und die Deregulierung von Arbeitszeiten soll erleichtert werden. Bestehende gewerkschaftliche Mitspracherechte bei der Arbeitszeitregelung und Entlassungen sollen abgeschafft werden. Damit will die Modi-Regierung neben den einheimischen Großkapitalisten vor allem auch dem Auslandskapital entgegenkommen, das durch diese Maßnahmen zu mehr Investitionen in Indien ermuntert werden soll.

Die Gewerkschaften hatten sich vor dem Streik auf eine „gemeinsame Plattform“ von elf zentralen Gewerkschaftsfor­derungen geeinigt. Dazu gehörten die restlose Rücknahme der unternehmerfre­undlichen „Arbeitsmarktre­form“, die Erhöhung des Mindestlohns von derzeit 4000 – 9000 auf einheitlich 15 000 Rupien (ca. 200 €), die Gleichstellung beim Lohn von befristet Beschäftigten mit Beschäftigten in Normalarbeitsver­hältnissen, der Stopp der weiteren Privatisierung und des Verkaufs von Eisenbahnen, Versicherungen und anderen öffentlichen Unternehmen an das Auslandskapital, Maßnahmen gegen die Finanzspekulation sowie eine universelle Sozialversicherung und Renten für alle lohnabhängig Beschäftigten. Ursprünglich war diese Forderungsplattform sogar von elf Gewerkschaften beschlossen worden. Doch die der „hindu-nationalistischen“ (in Wahrheit vor allem moslem-feindlichen) Regierungspartei BJP (Bharatiya Janata Party) nahestehende Gewerkschaft BMS hatte sich nach einem Treffen mit dem Finanzminister, das den Gewerkschaften kurz vor dem beschlossenen Streiktag angeboten worden war, von dem Streikaufruf zurückgezogen. Angeblich hatte der Minister „bedeutende Zusagen“ in Richtung Erfüllung einiger Gewerkschaftsfor­derungen in Aussicht gestellt. Die anderen zehn Gewerkschaften fanden jedoch, dass das Gespräch mit dem Minister zu keinerlei konkreten Ergebnissen geführt hatte.

Text: G. Polikeit – erstmals veröffentlicht auf www.kommunisten.de

Foto: CPIM (facebook)