KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS
!

Für eine Solidarische Gesellschaft!

(20.6.2021)

Programmatisches Dokument und gesellschaftspo­litische Orientierung der KPÖ

Vorbemerkung

Vor einem Jahrzehnt gingen in Europa Millionen von Menschen gegen die neoliberale Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise auf die Straße. Selbst moderate Gewerkschaften mehrerer Länder mobilisierten damals für Generalstreiks. Unlängst setzten sich abermals Millionen Menschen in Europa und der ganzen Welt in Bewegung. Einmal gegen die drohende Klimakatastrophe, dann im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung. Und viele erkennen, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen epidemiologischen Krise zur Vergrößerung der finanziellen und politischen Macht von Konzernen und zur Verschlechterung der Lebenssituation jener Menschen führen, die auf der ärmeren Seite der Gesellschaften leben. An der Politik der Herrschenden hat sich kaum etwas geändert. Gestützt durch legitimierende, parlamentarische Mehrheiten fassen sie Beschlüsse im Interesse der Reichsten unserer Gesellschaft und der finanzmarktge­triebenen Wirtschaft, während sie die Warnungen der Wissenschaften vor unumkehrbarer Vernichtung der globalen Biosphäre ignorieren.

Obwohl das Leben für die meisten Menschen immer beschwerlicher wird und die aktive politische Zustimmung der Bevölkerung zunehmend schwindet, behauptet sich der Neoliberalismus als hegemoniales, materielles und geistiges System einer umfassenden Entsolidarisierung der Gesellschaft. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, so wie jede progressive, systemkritisch-politische Bewegung. Umso dringender, als es dem Neoliberalismus immer wieder gelingt, oppositionelle, emanzipatorisch-demokratiepoli­tische Tendenzen für sich in Anspruch zu nehmen, deren systemüberschre­itendes Potenzial zu neutralisieren, Parteien und Bewegungen zu instrumentali­sieren, sie in Sachwalterinnen der neoliberalen Moderne zu transformieren.

Wir sehen einen wesentlichen Grund für die scheinbare Unbeweglichkeit der politischen und kulturellen Zustände im vorherrschenden Zweifel an der Durchsetzbarkeit grundlegender gesellschaftspo­litischer Alternativen. Wir meinen, es ist Zeit, in den antineoliberalen Bewegungen und Bündnissen und darüber hinaus für eine positive gesellschaftspo­litische Orientierung zu werben, dieser einen Namen zu geben. Die KPÖ schlägt den Begriff der »Solidarischen Gesellschaft« vor.

Ein unerträglicher Zustand …

Der Zwang zur Profitmaximierung ist sowohl Motor des kapitalistischen, patriarchalen Systems, als auch Ursprung der daraus erwachsenden globalen ökologischen, sowie im weitesten Sinn des Wortes kulturellen Zivilisationskrise. Seit Jahrzehnten sind die Profite der Konzerne so groß, dass sie nicht mehr gewinnmaximierend reinvestiert werden können. Der Handel auf den Finanzmärkten verspricht höhere Profite. Geld wird für Wetten und Spekulationen eingesetzt, um aus Geld mehr Geld zu machen. Die Summe der Geldwerte in dieser fiktiven Welt ist bereits um ein Vielfaches höher als die in der sogenannten Realwirtschaft.

Wenn die Luftgeschäfte platzen – und was sollen sie sonst tun – stockt der Betrieb des Systems und springt erst wieder an, wenn die faulen Wechsel auf Kosten der Massen beglichen werden. Genau das läuft heute in unseren Breiten ab. Die herrschende Politik betätigt sich als gigantische Maschine der Umverteilung von unten nach oben, ob es sich um Bankenrettungsschir­me oder um epidemie-getriggerte Lockdown-Abfederungen handelt.

Die Verluste der Finanzmarkt-Akteure werden auf diese Weise vergesellschaftet, die Gewinne privatisiert. Das reale Geld dafür wird nicht nur aus der Privatisierung öffentlicher Güter gewonnen. Die zugunsten des Finanzkapitals geplünderten Staatskassen sollen durch die als Reformen bezeichnete Reduzierung sozialstaatlicher Einrichtungen und Errungenschaften, durch eine beschleunigte Von-Unten-Nach-Oben-Umverteilung saniert werden. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird national, europaweit und global immer größer.

Prekarität ist und wird immer mehr zur prägenden Lebenserfahrung vieler Menschen. Solidarische und egalitäre Bereiche in den Gesellschaften (Sozialversiche­rungen, freier Zugang zu Gesundheits- und Bildungseinrichtun­gen usw.), Errungenschaften etwa der ArbeiterInnen-, der Frauenbewegungen, demokratischer Kämpfe oder zu staatlichen Einrichtungen gewordene Ergebnisse sozialpartner­schaftlicher Klassenkompromisse werden zur Ware gemacht, eingeschränkt oder vernichtet bzw. an ihrer notwendigen Weiterentwicklung gehindert, was die Krise des kapitalistischen Zivilisationsmo­dells weiter verschärft.

Die ökonomische Möglichkeit, umwelt- und menschenverträgliche Lebensumstände für alle einzurichten, wird durch die Zunahme gesellschaftlichen Reichtums und unter anderem technologischen Wissens immer größer. Die politische Machbarkeit scheint andererseits immer fraglicher aufgrund der machtmäßig abgesicherten und sich ausbreitenden globalen Kluft zwischen Arm und Reich, der vielfältigen sozialen Segmentierung und der klassenmäßigen, nationalen, ethnischen, alters- und geschlechtermäßi­gen, religiösen und anderer Spaltungen der Gesellschaften.

… soll erträglich gemacht werden.

Das Konkurrenzprinzip ist dem kapitalistischen, patriarchalen System eingeschrieben. Die neoliberale, ökonomische Zurichtung der Gesellschaften durch Deregulierung, Privatisierung und Aufkündigung sozialer Verträge nimmt allerdings ungekannte Ausmaße an. Jeder Lebensbereich, der gewinnversprechend erscheint, soll dem Verwertungsprinzip unterworfen werden.

Eine auf Konkurrenz basierte Art zu denken, zu handeln und sich behandeln zu lassen wird zum vorherrschenden Menschenbild. Die Vorstellung des Wettbewerbs als Naturgesetz, der entmenschlichten Maximen der Effektivität und Konkurrenzfähigkeit wird gesellschaftlichem und individuellem Handeln und Denken als Grundprinzip unterlegt und schafft das Paradox zusammenlebender, aber sich gleichzeitig bekämpfender Individuen.

Neoliberale Hegemonie, die Vorherrschaft neoliberaler Politik, Ideologie und Kultur, bedeutet letztlich die materielle und ideologische, moralisch-kulturelle Umkehr des – aus Kämpfen der ArbeiterInnenklasse und demokratischer Bewegungen gewachsenen – Begriffs der Solidarität, soll zur »Solidarität« der Armen mit den Reichen, der Ausgegrenzten mit den Regierenden, der KonsumentInnen mit »der Wirtschaft«, der kleinen SparerInnen mit den großen Banken werden. Der Begriff der Solidarität wird so als Instrument systemerhaltender Propaganda missbraucht. Ehrenamtlichkeit wird in sozialen Vereinen umso mehr beworben, je weniger der Staat etwa für Soziales, Gesundheit und Pflege ausgibt. So werden Kosten auf diesen Bereich abgewälzt, zum immer größer werdenden Teil privat getragen und den sozial Engagierten – vor allem Frauen – aufgebürdet.

Solidarität wird von nationalistischen, faschistischen und rechtsextremen Bewegungen und Parteien umgepolt zum »Zusammenhalt« einer »Volksgemeinschaf­t«, begründet auf Nation und »Rasse« und verbunden mit Ausgrenzung von MigrantInnen, Minderheiten, FeministInnen, Asylsuchenden, »Ausländern«, »Leistungsunwi­lligen« oder anderen vermeintlichen »Schmarotzern«.

Rechtsextremismus knüpft sowohl an faschistischen und nationalsozia­listischen Traditionen als auch an sozialen Frustrationen eines großen Teils der Bevölkerung an, die aus dem realen Kapitalismus und seiner Tendenz zum Autoritarismus entstehen, und setzt sie letztlich zum Systemerhalt ein. Neoliberale Politik und Rechtsextremismus können durchaus im Clinch miteinander liegen. Z. B. in Fragen der europäischen Integration und einzelner Minderheitenin­teressen. Aber sie treffen einander nicht nur in der antidemokratischen gesellschaftspo­litischen Vision der Elitenherrschaft bzw. des Führerstaates. Sie verflechten sich auch im Rechtskonserva­tismus, der die rassistischen Elemente der Rechtsextremen – z. B. in der Asyl- und Migrationspolitik – problemlos in eine neoliberale Politik einbindet.

Die Alternative

Neoliberale Gesellschaftsges­taltung besteht nicht nur in der Zerschlagung von Solidarsystemen, in der Ausrichtung auf Eliminierung gewerkschaftlicher Organisation oder in der Zurücknahme sozialer und demokratischer Errungenschaften. Ihr kultureller, neoliberale Hegemonie begründender Kern ist die Verallgemeinerung eines unsolidarischen, barbarischen Menschenbildes.

Es ist dieser Kreislauf ökonomischer Profit- und neoliberaler Hegemonieproduk­tion, den es zu durchbrechen gilt. Unser Vorschlag ist es, sich gemeinsam für eine Solidarische Gesellschaft in Bewegung zu setzen. Die Solidarische Gesellschaft ist nicht nur die Idee von der Möglichkeit einer alternativen gesellschaftlichen Entwicklung, sie ist die notwendige Strategie des Lebens und des Überlebens im System und dessen gleichzeitiger Überwindung.

Ihre Unvereinbarkeit mit zwanghafter Profitmaximierung verlangt nach einem alternativen, der menschlichen Existenz entsprechenden Gesellschaftsen­twurf, der natürlich mehr sein soll als die Verknüpfung von auf Solidarität und Egalität orientierter Bewegungen. Er hat aber eine solche zur Voraussetzung. Die Weiterführung der Idee einer Solidarischen Gesellschaft zu einer von uns als sozialistisch begriffenen, hängt nicht zuletzt von unserer Fähigkeit ab, unsere eigenen Vorstellungen kontinuierlich weiterzuentwickeln und vor allem praktische Alternativen zum Status quo zu organisieren bzw. zu ihrer Organisierung beizutragen.

Die Solidarische Gesellschaft ist eine Herausforderung. Keine, die von irgendwelchen FührerInnen als Befehl ausgegeben werden kann. Sie kann nur bewältigt werden, wenn Menschen sich eigenverantwortlich in Bewegung setzen. Sie ist keine Herausforderung, auf deren Bewältigung gewartet werden muss, die irgendwo in der Zukunft liegt, denn sie drängt jederzeit zu ihrer Erfüllung:

  • Als Re- oder Neukonstruktion gewerkschaftlicher Praxis, als Auseinandersetzung um den Erhalt, die Wiedergewinnung und Neubildung demokratischer Grundlagen in der Ökonomie.
  • Als Widerstand gegen den Abbau sozialer und demokratischer Errungenschaften sowie Bemühen um Organisierung von sozialen und kulturellen Alternativen zum herrschenden Zustand.
  • Als Streit um die Teilnahme und -habe aller an demokratischen Prozessen.
  • Als soziale Bewegung, die Diversität und Pluralismus als Bereicherung der Gesellschaft erkennt.
  • Als Bewegung, die Menschen- und soziale Rechte nicht voneinander trennt und demnach unvereinbar ist mit rassistischen Menschenbildern.
  • Als Nutzbarmachung gesellschaftlicher Ressourcen – was alle brauchen, muss allen gehören, muss gesellschaftliches Eigentum bleiben oder werden. Als Ermächtigung zur Sinngebung gesellschaftlicher Regulierung. Als Demokratisierung von Entscheidungspro­zessen über Produktion, ihre Art, ihr Ziel und die Einbettung in ihre Umwelt.

Solidarische Gesellschaft heißt

  • soziale Sicherheit, bzw. bedingungslose Existenzsicherung wie sie z. B. die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen bezweckt, als Voraussetzung für die Autonomie der Einzelnen, für freie Zeit, um am gesellschaftlichen Gestaltungsprozess teilhaben zu können, an der Entwicklung partizipativer Strukturen in Politik, Ökonomie und Gesellschaft, zur Entwicklung solidarischer Beziehungen
  • Gleiche soziale Rechte für alle:
  • Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums aus der Hand weniger in die Verfügung der Mehrheit, von privat zu öffentlich und eine dem entsprechende Steuer-, Budget- und Kommunalpolitik.
  • Absicherung, Ausweitung und Demokratisierung des öffentlichen Eigentums, wie Gesundheitswesen und Sozialversiche­rungssysteme und die Kostenfreistellung aller lebenswichtigen Bedürfnisse (Energiegrundsiche­rung, Freifahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, etc.). Radikaler Ausbau und Unterstützung unterschiedlicher Formen von Gemeinwohlökonomie.
  • Gleiches Wahlrecht für alle Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, dort, wo sie ihren Lebensmittelpun­kt haben.
  • Überwindung von institutionellem und individuellem Rassismus und Sexismus, von Neofaschismus und patriarchaler Strukturen.
  • Barrierefreiheit in jeder Beziehung für Menschen mit Behinderung.
  • Freier Zugang zu Bildung auf allen Ebenen ohne Klassenschranken und Bildungsprivileg.
  • Umverteilung bezahlter und unbezahlter Arbeit, sowie der Einkommen, um tatsächliche Gleichheit in den Geschlechterbe­ziehungen zu ermöglichen.
  • Beseitigung der wachsenden ökonomischen und sozialen Unterschiede in Europa und der ganzen Welt durch Entmachtung der internationalen Konzerne, grundlegend demokratische und soziale Umgestaltung der EU und der Wirtschaftsbe­ziehungen in der Welt.
  • Ausrichtung der Gesellschaften auf ihre ökologische Verträglichkeit mit der Biosphäre. Wir begreifen die Menschen als Teil der Natur, die mit ihrem gesellschaftlichen Handeln Umwelt, Artenvielfalt, Pflanzenreichtum, etc. erhalten und schädliche Klimaprozesse umkehren wollen.
  • Auflösung aller Armeen und Militärbündnisse und die Verschrottung sämtlicher Massenvernichtun­gswaffen.

Solidarische Gesellschaft bedeutet Verwirklichung aller gesellschaftlichen Voraussetzungen und Garantien (ökologischer, ökonomischer, sozialer, politischer, demokratischer und kultureller), die solidarisches Zusammenleben ermöglichen und erfordern. Sie ist kein Traum, der auf ein zukünftiges Paradies verweist, sondern entsteht aus der Notwendigkeit, hier und jetzt ein überlebtes System zu überleben.

Der real existierende Kapitalismus verfügt über kein ökologisches und soziales – also menschengerechtes – Zukunftsprogramm und kann sich nicht den neuen Herausforderungen der Menschen- und Naturverträglichke­it anpassen. Vielmehr passt er die Menschen an seine Mängel an. Anhand der verheerenden Beschleunigung des Klimawandels wird seine Zerstörung des Lebensraums Erde deutlich sichtbar.

Das erfordert neben der Abwehr von unzumutbaren Sparprogrammen, neben der Interessenspolitik auf betrieblicher, kommunaler und anderen Ebenen, den Aufbau progressiver Milieus, eine Politik der Selbstermächtigung, eine Erneuerung der Solidaritätskultur mit historischer Perspektive, einen demokratischen und ökologischen Sozialismus. Es braucht einen Bruch mit dem irrationalen, finanzmarktge­triebenen, ökonomischen System, ein Denken und Handeln, aus denen politische Räume entstehen, einen praktischen Prozess zur Demokratisierung der Machtverhältnisse.

In diesen Prozess bringen wir uns als Partei ein. Mit einem Vorschlag, der unserer Auffassung von revolutionärer Realpolitik entspricht. Ein Vorschlag auf der Höhe der Zeitenwende, in der wir uns befinden. Der Vorschlag der Solidarischen Gesellschaft.
Ein Systemwechsel ist notwendig!

Neufassung des programmatischen Dokuments „Für eine Solidarische Gesellschaft“, überarbeitet und beschlossen vom 38. Parteitag 2021


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