KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS
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Aufarbeitung 20 Jahre nach 1989 – Realsozialismuskritik

1. Vorbemerkung

In der Erklärung der KPÖ zum Mauerfall heißt es u.a.: „Die KPÖ war vom raschen Ende des Realsozialismus in Osteuropa ebenso überrascht worden wie beinahe alle anderen politischen Kräfte. Sie war aber davon besonders betroffen, weil sie in den zwei Jahrzehnten vor dem Zusammenbruch die Situation in jenen Staaten, die als "Realsozialismus“ oder „Ostblock“ bezeichnet wurden, „schön geredet“ hat. Selbst zu den Verbrechen des Stalinismus hat die Partei sich über Jahrzehnte hinweg kaum geäußert. Dieser Realitätsverlust war eine der negativen Auswirkungen des Abbruchs der Erneuerungsbes­trebungen, die die KPÖ in den 60-er-Jahren unternommen hat. Es bedurfte erst der dramatischen Wende Ende der 80er-Jahre, dass sich die KPÖ wieder durchrang, Klartext zu reden."

In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die KPÖ als Partei, haben sich FunktionärInnen der Partei vielfach und eindeutig zum Thema Realsozialismus und KPÖ geäußert. Wir haben uns daher entschlossen, einen Teil dieser Statements übersichtlich aufzubereiten und einem interessierten Publikum darzulegen. Einerseits gibt es eine chronologische Übersicht (kurze Textpassagen + Link zum jeweiligen Gesamtdokument, sofern die Text digital vorliegen), andererseits eine Auflistung nach wichtigen inhaltlichen Aspekten. Abgerundet wird die „Sammlung“ durch Beiträge zu drei KommunistInnen, die Opfer des stalinistischen Terrors wurden.

2. Eine chronlogische Übersicht

Walter Silbermayr, desiginierter Nachfolger von Franz Muhri zum KPÖ-Vorsitzenden, erklärte im schriftlichen Rechenschaftsbe­richt (der auch in der Tageszeitung „Volksstimme“ am 13.1.1990 veröff­entlicht wurde) zum 27. Parteitag der KPÖ. „Auf Grund des Glaubens, dass sich der Sozialismus in diesen Ländern ständig vervollkommne?, wurden Fehler nicht als Ausdruck des Systems gesehen, auch wenn sie solche waren. Aus bestem Wissen und Gewissen wurden Fehler in der Öffentlichkeit tunlichst verschwiegen, um der Sache des Sozialismus nicht zu schaden. Heute wissen wir, dass die falsche Loyalität den Kommunisten und Kommunistinnen in Osteuropa nicht genutzt und unsere eigene Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit untergraben hat.“

1991: 28. Parteitag der KPÖ
„Vom Standpunkt der Werte unserer Bewegung müssen wir feststellen: Unter der stalinistischen Herrschaft sind schwerwiegende Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden, und das auch an österreichischen KommunistInnen sowie an anderen Linken. Auch nach dem Tode Stalins wurden die bürokratischen und autoritären Strukturen nicht überwunden. Darin liegt eine wesentliche Ursache für die Stagnation und den Zusammenbruch des Realsozialismus. Der Stalinismus und seine Folgen haben der Idee des Sozialismus unermeßlichen Schaden zugefügt … Eine wichtige Schlußfolgerung für die Entwicklung eines alternativen Gesellschaftsen­twurfes lautet: Sozialismus ist ohne Demokratie, Rechtssicherheit und individuelle Freiheitsrechte nicht zu verwirklichen.“

1994: 29. Parteitag Die Deformationen, die das sozialistische System in der Sowjetunion während der 20er- und 30er Jahre erfuhr, und die stalinistischen Verbrechen können aber nicht als zwingende Folge von Unterentwicklung und Isolierung, das heißt als unausweichlich gerechtfertigt werden. Sie sind vielmehr das Resultat einer Fehlkonzeption (…) sozialistischen Aufbaus, die unter den besonderen geschichtlichen Umständen der Sowjetunion in der allein regierenden kommunistischen Partei durchgesetzt wurde. (…) (Die) starke Anlehnung an die Sowjetunion und bürokratische Deformationen behinderten die politischen Aktivitäten der Mitglieder und schadeten dem politischen Ansehen der Partei. Die KPÖ-Führung hat lange zu den Verbrechen der stalinistischen Repression und zu den bürokratischen Deformationen in den sozialistischen Ländern geschwiegen.
„Grundzüge einer Neuorientierung“ – Parteiprogram­m 1994

1997: KPÖ-Vorsitzender Walter Baier zur Frage „war der Stalinismus unausweichlich“
Stéphane Courtois („Schwarzbuch des Kommunismus“) teilt mit unbelehrten Verteidigern des Stalinismus eine zentrale These: das Stalinsche Modell, sein Totalitarismus und sein Terror seien keine Entartung sondern die direkte Konsequenz nicht nur der russischen Oktoberrevolution sondern aller kommunistischen Bestrebungen seit Karl Marx. Bewußt wird dabei die Vielzahl unterschiedlicher und gegensätzlicher Strömungen des Marxismus und Kommunismus ausgeklammert. Ignoriert werden auch die innerkommunis­tischen Versuche, aus dem stalinistischen Korsett auszubrechen. Wesentliche Kapitel des Kommunismus wurden aber von den VertreterInnen einer antistalinistischen Traditionslinie geschrieben, die ihre Dissidenz mit Ausgrenzung und oftmals mit dem Leben bezahlten.
Zum Dokument

2001: Der langjährige Parteivorsitzende Franz Muhri In der KPÖ hat die Auseinandersetzung mit dem Stalinkult nach dem 20. Parteitag der KPdSU zwar zu einem etwas selbständigeren Denken geführt, aber gegenüber der KPdSU als ganzer herrschte in unserer Partei weiterhin eine unkritische Solidarität. Die KPdSU galt in der kommunistischen Bewegung als die erfahrenste und stärkste kommunistische Partei. Diese Solidarität galt bei uns als ein wesentliches Kriterium dafür, ob man ein wirklicher Kommunist war. Das alles verstellte uns die Sicht auf die Realität. Zwar mussten wir feststellen, dass es kein leitendes Zentrum in der kommunistischen Bewegung und kein allgemein gültiges Modell des Sozialismus mehr gab, weshalb wir begannen, einen Weg zum Sozialismus unter den nationalen Bedingungen und Traditionen Österreichs auszuarbeiten (Programm der KPÖ 1982 „Sozialismus in Österreichs Farben“), der sich wesentlich vom sowjetischen Weg unterschied. Gleichzeitig aber ließen wir uns weiterhin in vielem von der KPdSU beeinflussen. Zum Dokument

2005: Ernest Kaltenegger (damals Stadtrat der KPÖ in Graz)
… zu den kommunistischen Idealen und zu den Verbrechen des Stalinismus, in: Argument Nr. 8/Oktober 2005
Die Idee des Kommunismus ist etwas Faszinierendes. Man hat nur Schlimmes daraus gemacht. Man hat Marx und Engels auswendig gelernt, aber dann ganz anders gehandelt. Das war Missbrauch an der Idee. Andererseits ist auch Missbrauch mit der Idee des Christentums begangen worden, trotzdem ist niemand auf die Idee gekommen, sich umzubenennen.

2008: Unentwegt Bewegte, Abriss zur Geschichte der KPÖ
Selbst eine kritische Bilanz ergibt, dass die Geschichte der KPÖ nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie durch ein unkritisches Verhältnis zum Stalinismus geprägt war. Allein durch ihren Widerstand gegen die beiden Diktaturen in Österreich erwiesen sich Zehntausende KommunistInnen als DemokratInnen und HumanistInnen der Tat.
Zum Dokument

Ausführlichere Materialien im 2008 erschienen Buch
„Das kurze Jahrhundert des Kommunismus in Österreich“

3. Nachtrag: Wo beginnen?

Im 1982 beschlossenen Parteiprogramm „Sozialismus in Österreichs Farben“ hieß es: „Auch im Sozialismus ist Fortbewegung nur auf dem Weg der Entstehung und Lösung von Widersprüchen möglich.“ Doch die theoretische Erkenntnis, die zugleich auch als Kritik an konkreten Entwicklungen in den Ländern des real existierenden Sozialismus interpretiert werden konnte, wurde zugleich abgeschwächt und zurück genommen, indem postuliert wurde: „Die Staaten des Sozialismus sind die wichtigste Errungenschaft der internationalen Arbeiterbewegung. (…) Grundtendenz des Sozialismus ist die immer aktivere, sachkundigere und bewußtere Teilnahme einer immer größeren Zahl von Menschen an Entscheidungen ihrer Lebensfragen.“

Schon Rosa Luxemburg äußerte sich auch kritisch zu den Entwicklungen in Russland. Und auch in den 20er und 30er Jahren gab es in der Kommunistischen Bewegung schon Kritik am „russischen Modell“ und an Theorie und Praxis des von Stalin interpretierten „Marxismus-Leninismus“. Nach Stalins Tod 1953 und nach dem Geheimrede von Chrutschow am 20. Parteitag der KPdSU gab es Debatten und Kontroversen. 1968 haben viele westeuropäische kommunistische Parteien – und auch die KPÖ – den Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die CSSR verurteilt und den „sofortigen Abzug der Truppen“ gefordert.

Ja, Kritik an einzelnen konkreten Erscheinungen und Entwicklungen in den so genannten sozialistischen Ländern gab es immer wieder – international und auch in Österreich. Doch Kritik, die systemische Ursachen von Problemen analysieren wollte, wurde zumeist von den Parteiführungen und einer Mehrheit der Parteimitglied­schaft rasch unterbunden, denn über allem thronte die Solidarität (vielfach auch als bedingungslose Solidarität missverstanden) mit der Sowjetunion.

Eine prinzipielle Änderung der Sichtweise trat – wie skizziert – aber erst im Zusammenhang mit den Umwälzungen 1989/90 ein.

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