KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Raumordnung & Ökologie – Jahrzehntelanges Politikversagen

Von Reinhard Seiß (10.7.2011)

Als der Bericht »Die Grenzen des Wachstums« an den Club of Rome 1972 den Begriff Nachhaltigkeit prägte, wurden in Österreich gerade die ersten Landesraumordnun­gsgesetze geschmiedet. Man könnte also meinen, die rechtlichen Grundlagen und Förderungsinstru­mente, die unser Siedlungsgeschehen bestimmen, sollten seit Anbeginn einer ökologisch, ökonomisch und sozial zukunftsfähigen Entwicklung verpflichtet sein.

Die uneingeschränkte individuelle Auto-Mobilität gilt vielen ÖsterreicherInnen – mehr noch als das Häuschen im Grünen – als staatsbürgerliches Grundrecht, ja geradezu als lebensnotwendig. Dabei entfallen bereits 25,6 Prozent der klimaverändernden Treibhausgase in Österreich auf den Verkehr (Industrie und produzierendes Gewerbe – 27,7 %, Energieerzeugung – 17,0 %, Haushalte und sonstige Kleinverbraucher – 15,6 %, Landwirtschaft – 8,7 %, sonstige Emittenten – 5,4 %). Und während alle anderen Sektoren in den letzten Jahren stagnierende oder gar rückläufige Emissionswerte aufweisen, verbucht der Kfz-Verkehr nach wie vor starke Zuwächse.

Verantwortungslo­sigkeit der Entscheidungsträger

Als der frühere US-Vizepräsident Al Gore gerade seinen 2007 Oscar-gekrönten Dokumentarfilm »An Inconvenient Truth« (»Eine unbequeme Wahrheit«) drehte, ließ der damalige österreichische Vizekanzler und Verkehrsminister Gorbach Tempo 160 testen. Obwohl die Europäische Union ihre Mitgliedsstaaten zu drastischen CO2-Einsparungen, insbesondere auch im Straßenverkehr, anhält, drängt etwa der Leiter der Gruppe Raumordnung, Umwelt und Verkehr der niederösterre­ichischen Landesregierung auf einen zügigen Ausbau des Autobahn- und Schnellstraßen­netzes bei gleichzeitiger Stilllegung mehrerer Nebenbahnen – und verlautbart, dass Klimaschutz primär eine Aufgabe für asiatische Länder wie Indien und China sei. Und während im Frühjahr 2008 neue Rekordwerte betreffend das Abschmelzen der heimischen Gletscher bekannt wurden, ging der Villacher Bürgermeister im Vorfeld der Kommunalwahlen – in der Manier eines Volkstribuns – an einer Diskonttankstelle als Tankwart auf Stimmenfang.

Parteienübergre­ifend herrscht in Österreich auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene eine bestürzende Verantwortungslo­sigkeit und Feigheit der Entscheidungsträger, die dringend notwendigen und von unabhängigen Fachleuten einhellig empfohlenen Schritte zu einer klimaverträgliche­ren Verkehrspolitik in Angriff zu nehmen. Auf die Frage, warum die heimische Politik ihre Augen vor der Klimakatastrophe faktisch verschließe, meinte die renommierte österreichische Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb jüngst, dass die Regierung nur jene Maßnahmen zu ergreifen bereit sei, die ihrer Meinung nach von der Bevölkerung und den Medien mitgetragen werden. Und das in Zeiten einer großen Koalition mit einer abgesicherten Mehrheit im Parlament! Besonders fatal aus Sicht der Raumplanung ist daran, dass viele planerische Maßnahmen für eine nachhaltigere Entwicklung ohne die entsprechenden verkehrspolitischen Weichenstellungen von vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

Umweltkontrapro­duktive Förderungen

Dieser Wirkungszusam­menhang gilt aber auch umgekehrt: Nach Berechnungen des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ) könnten allein mit raumordnungspo­litischen Maßnahmen und innerhalb eines kurzen, auch polit-ökonomisch überblickbaren Zeitraums von vier Jahren rund 2,7 Milliarden Pkw-Kilometer respektive 580.000 Tonnen CO2-Emissionen eingespart werden. Eine vorrangige Aufgabe wäre dabei die deutlich stärkere Ausrichtung der Wohnbauförderung nach raumplanerischen Kriterien – sprich nach der Nähe zu bestehender Infrastruktur und öffentlichen Verkehrsmitteln, nach Bebauungsform und Bodenverbrauch. In ihrer jetzigen Form wird diese Subvention von jährlich 2,5 Milliarden Euro auch in einer vom Lebensministerium finanzierten Studie des Instituts für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research Graz als »umweltkontra­produktiv« klassifiziert, zumal sie kaum Anreize zur Vermeidung der Zersiedlung und weiterer Flächenversiegelung setze – und somit motorisierten Individualverkehr verursache.

In Wien, Oberösterreich und Kärnten erhält ein abgelegenes Einfamilienhaus mit 1.000 Quadratmetern Garten nach wie vor dieselbe Förderung wie ein Reihenhaus in Bahnhofsnähe. In den anderen Bundesländern wurden mittlerweile zumindest erste Schritte zu einer flächenverbrauchs- und standortbezogenen Gewichtung der Wohnbauförderung unternommen, wobei Vorarlberg bisher am weitesten gegangen ist: Die Nachverdichtung auf bebauten Grundstücken beziehungsweise im Ortskern, Car-Sharing-Plätze bei Mehrwohnungsbauten sowie die fußläufige Erreichbarkeit von Kindergarten, Schule, Nahversorgern, Bus oder Bahn bringen Zuschläge zur Basisförderung. Niederösterreich räumt der Lagequalität eines Wohnbaus bis zu 10 Punkte in seinem neuen, auf dem »100 Punkte-Haus« beruhenden Fördermodell ein. Die burgenländische Wohnbauförderung kennt inzwischen einen Ortskernzuschlag – und Salzburg, Tirol und die Steiermark gewähren bei verdichteter Bebauung höhere Subventionen. Doch sind diese Ansätze offenkundig noch zu wenig, um eine relevante Lenkungswirkung zu erzielen, da allein die niedrigeren Grundstückskosten an peripheren, schlecht erschlossenen Standorten das Weniger an Wohnbauförderung mehr als kompensieren.

Den Willen nicht schon für das Werk nehmen

Dass die ungeordnete Wohnbauentwicklung als Verkehrserreger in der heimischen Klimaschutzpolitik noch viel zu wenig Berücksichtigung findet, zeigt auch das an sich löbliche Programm »klima:aktiv haus« zur Förderung der Verbreitung von energieeffizienten und ökologischen Wohnbauten zwecks Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Zur Beurteilung eines Neubaus wurde im Auftrag des Lebensministeriums ein Punktesystem mit einer Höchstzahl von 1.000 Punkten entwickelt. Lediglich 20 Punkte hängen von der Standortwahl ab (Kriterium »Infrastruktur« – sprich Nähe zum öffentlichen Verkehr, sozialen Einrichtungen etc.), für einen Fahrradabstellplatz gibt es dagegen 30 Punkte. Dabei liegt es auf der Hand, dass jegliche bauliche Energieeinsparung, etwa durch Passivhaustechno­logien, wieder zunichte gemacht wird, wenn ein Gebäude nur per Pkw erreichbar ist. Der VCÖ hat errechnet, dass ein Energiesparhaus mit Auto im Haushalt in Summe mehr Energie verbraucht (109 Gigajoule/Jah­r) als ein herkömmliches Haus ohne Auto im Haushalt (99 Gigajoule/Jah­r).

Es wird freilich nicht gelingen, allein durch die Reform der Wohnbauförderung eine Trendwende in der heimischen Raum- und Verkehrsentwicklung und somit auch im Klimaschutz herbeizuführen. Doch böten sich der öffentlichen Hand noch zahlreiche weitere Steuerungsmöglichke­iten, um eine nachhaltigere Siedlungsstruktur zu erzielen: sei es eine Differenzierung der Grundsteuer oder eine Reform der Pendlerpauschale, die derzeit jene belohnt, die sich dort ansiedeln, wohin man nur mit dem Auto gelangt – sei es eine Verlagerung der Kosten für die Siedlungsinfras­truktur vom Bund und den Ländern, die knapp die Hälfte der Ausgaben für die Errichtung und Erhaltung von Straßen, Wasserversorgung und Kanalisation decken, hin zu den Verursachern: Das sind die Gemeinden, die mit ihrer Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung aber auch mit ihrer Gebühren- und Abgabenpolitik die Grundlage für die Zersiedelung schaffen. Und das sind die privaten Haushalte, die nach wie vor einen kommunalen Durchschnittssatz anstatt der tatsächlichen individuellen Aufschließungskos­ten zahlen.

Vorbild Vorarlberg

Eine dadurch forcierbare kompaktere Bebauung würde zum einen den enormen Siedlungsflächen­bedarf von – laut einer Expertise der TU Wien – bundesweit täglich 21 Hektar reduzieren, sowie zum anderen in hohem Maß verkehrs- und klimawirksam sein: Gelänge es beispielsweise, die durchschnittliche Siedlungsdichte in ganz Österreich auf jene des Bundeslandes Vorarlberg zu erhöhen, wäre – gemäß einer Studie des VCÖ – der CO2-Ausstoß des Straßenverkehrs um zwölf Prozent geringer. Höhere Dichten bedeuten auch kürzere Wege – was vermutlich dazu beiträgt, dass das Ländle auch im Radverkehr Spitzenreiter ist. Würde im gesamten Bundesgebiet der Vorarlberger Radverkehrsanteil von 13 Prozent erreicht werden (zum Vergleich: Wien hält bei fünf Prozent), könnten jährlich knapp 87.000 Tonnen Treibstoff eingespart beziehungsweise rund 273.000 Tonnen CO2 vermieden werden.

Dazu bräuchte es allerdings nicht nur kompaktere Wohnbauformen, es müssten auch die alltäglichen Ziele – insbesondere die Arbeits- und Handelsstätten – wieder in die Zentren zurückkehren beziehungsweise stärker mit der Wohnfunktion vermischt werden. Die Entwicklung des Einzelhandels in den letzten drei Jahrzehnten steht indes – genehmigt und gefördert durch die Politik – in klarem Widerspruch dazu. Trotz einer im EU-Vergleich längst rekordverdächtigen Dichte an peripheren Shopping Malls werden in Österreich nach wie vor 51 Prozent der neu geschaffenen Einkaufszentren­fläche außerhalb des bestehenden Siedlungsgebiets, in Randlagen und bei Autobahnanschlus­sstellen, angesiedelt. Dem VCÖ zufolge werden in der Alpenrepublik jährlich 5,4 Milliarden Pkw-Kilometer zu den 2,8 Millionen Stellplätzen von Einkaufszentren, Fachmärkten und Supermärkten zurückgelegt, was einen CO2-Ausstoß von 865.000 Tonnen nach sich zieht. Und solange EKZ-Betreiber weder etwas für die eigens geschaffenen Autobahnabfahrten und Aufschließungsstraßen zahlen müssen, noch eine Stellplatzabgabe zu entrichten haben, wird sich daran kaum etwas ändern.

Klimaschädigende Steuern und Gesetze

Die gesetzliche Verpflichtung durch die Bauordnungen beziehungsweise Garagenordnungen der Länder zur Errichtung einer (im internationalen Vergleich großzügig bemessenen) Mindestzahl von Pkw-Stellplätzen stellt für das Institut für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research nur eine von mehreren »ordnungsrechtlichen Unterstützungsmaßnah­men« für den Kfz-Verkehr dar – nicht nur im Fall von Einkaufszentren, auch bei Büro- und Wohnbauten. Stellplatz-Höchstzahlen sind in den diesbezüglichen Gesetzen und Verordnungen ebenso selten zu entdecken wie Differenzierungen nach der Zentralität des Standorts oder der Erschließungsqu­alität durch den öffentlichen Verkehr. Darüber hinaus führt die Stellplatzver­pflichtung zu einer Quersubventio­nierung von Autofahrern, zumal sie beispielsweise Wohnbaufördermittel bindet: Allein in Wien werden jedes Jahr mehr als 36 Millionen Euro aus der Wohnbauförderung für die Errichtung neuer Garagen aufgewendet.

Neben solchen rechtlichen wirken laut Joanneum Research auch mehrere »fiskalische Unterstützungsmaßnah­men« stark autoverkehrsin­duzierend: von der steuerlichen Begünstigung von Firmenautos und dem amtlichen Kilometergeld, die den Gebrauch des Pkws gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem Fahrrad bevorteilen, über die Grundsteuerbe­freiung für Verkehrsflächen bis hin zur öffentlichen Finanzierung der Straßeninfras­truktur. Entgegen anders lautenden Behauptungen der Autolobby kommt der Straßenverkehr nämlich keineswegs für die von ihm verursachten Kosten auf. Allein die Infrastrukturkosten werden vom motorisierten Individualverkehr nur zu 94 Prozent gedeckt. Bezieht man aber auch alle externen Kosten des Autoverkehrs mit ein – also Lärmkosten, Schadstoffkosten an Gebäuden, sonstige Schadstoffkosten, Klimakosten, sonstige externe Umweltkosten, Gesundheitskosten und Unfallkosten – so ergibt sich gemäß den Berechnungen des Verkehrsstatis­tikers Max Herry ein Kostendeckungsgrad von lediglich 32 Prozent. Das heißt nicht weniger, als dass mit einer 68-prozentigen Subventionierung des Kfz-Verkehrs auch die davon abhängige Zersiedelung und Suburbanisierung sowie der Boom an peripheren Einkaufszentren oder dezentralen Büroflächen öffentlich gefördert werden.

Fehlende Kostenwahrheit

Das Institut für Technologie- und Regionalpolitik der Joanneum Research quantifiziert sämtliche ordnungsrechtlichen Unterstützungsmaßnah­men für den motorisierten Individualverkehr mit mindestens 445 Millionen Euro pro Jahr – und die fiskalischen Unterstützungsmaßnah­men mit jährlich mindestens 9,86 Milliarden Euro. Wenn die heimische Politik schon nicht dem Gebot ökologischer Nachhaltigkeit folgen will, so wäre es zumindest hoch an der Zeit, die Planungs- und Verkehrspolitik endlich volkswirtschaftlich effizient und sozial gerecht zu gestalten.

Dr. Reinhard Seiß ist Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

Volksstimme, Juli/August 2011 – Schwerpunkt, Freie Fahrt für freie BürgerInnen. Aber anders.

Aktuelles:


KPÖ Oberösterreich: Jetzt Unterstützungserklärung unterschreiben!
(14.7.2021)

...mehr


Die Europäische Linke fordert einmal mehr das Ende der Blockade gegen Kuba
(13.7.2021)

...mehr


Die neue Juli Volksstimme 2021 ist da!
(13.7.2021)

...mehr


KPÖ Graz: Unsere Kandidatinnen und Kandidaten für Graz
(10.7.2021)

...mehr


38. Parteitag der KPÖ: In der ältesten Partei Österreichs übernehmen Junge das Ruder
(21.6.2021)

...mehr

Volksstimme - Politik & Kultur - Zwischenrufe links