KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Tankmale auf der Wiener Ringstaße

Im niederösterreichischen Ölrevier (Foto, Archiv)

Von Benjamin Steininger (10.7.2011)

Dass der globale, für die Mobilität wie für die Krisen des Jahrhunderts prägende Rohstoff Erdöl hierzulande auch eine lokale Geschichte hat, und dass die nationale Geschichte auch an diesem ambivalenten Rohstoff hängt, ist fast vergessen.

Neben dem Burgtheater, hinter dem Rathaus und eingebaut in das Börsengebäude am Wiener Schottenring stehen sie herum und warten auf Kundschaft: winzige Tankstellen, einige öffentlich, die am Rathaus nur für Angehörige der Wiener Verwaltung. Bis vor kurzem hatten auch noch weitere prominente Bauwerke in Ringnähe einen eigenen Benzinanschluss: die Votivkirche und das Palais Schwarzenberg. Mit großem Getöse wurden dort vor ein paar Jahren die Benzintanks aus der barocken Umgebung entfernt.

In einer Zeit, in der Tankstellen andernorts längst zu Konsumtempeln der Mobilität ausgebaut wurden, in der Tankstellen zu mikrourbanen Zentren mindestens des nächtlichen Lebens mutieren, wird am Ring nüchtern getankt, liefern an der Wiener Prachtmeile zweckdienliche, ebenso moderne wie im Grunde anachronistische Zapfsäulen Treibstoff, Schmiermittel und allenfalls Luftdruck.

Der Flaneur an der Tanke

Wie kommt es eigentlich, dass ein Gemeinwesen mitten in seinem repräsentativen Zentrum ausgerechnet Zapfsäulen nicht vermissen will, wo man doch leicht ein paar hundert Meter entfernt von Burgtheater, Volksgarten und Parlament bequem tanken könnte? So fragt sich der aufmerksame Flaneur in der österreichischen Bundeshauptstadt und die meisten alteingesessenen Wiener haben wenig darauf zu antworten.

Mit Sicherheit gibt es für jeden der prominenten Standorte eine einleuchtende Erklärung. In der Summe und als fast unbewusste Zeichen im Stadtraum scheinen die Wiener Miniaturtankstellen aber doch auf mehr zu verweisen als auf stadtplanungshis­torische Zufälle. Denn tatsächlich hat ja Österreich hinter der perückenverzierten Fassade des Rings mit dem Öl weit mehr zu schaffen als nur den gemeinsamen Anfangsbuchstaben. Die OPEC im ersten Bezirk und die sonnenbebrillten Scheichs mit ihren elegant verschleierten Cousinen im Schlosspark Schönbrunn stehen nur für die internationale, globalisierte Seite einer langen Liaison des Alpenlands mit dem Treibstoff des dauermobilen 20. Jahrhunderts.

Galizisches Erdölzeitalter

Es war immerhin ein habsburgisch-österreichischer Staatsbürger, der mit der Petroleumlampe schon lange vor dem Verbrennungsmotor einen ersten, wahrhaft globalen Großabnehmer für das in seiner galizischen Heimat geförderte Erdöl erfand: der Apotheker Ignazy ?ukasiewicz. Noch bevor 1858 im fernen Amerika mit Colonel Drakes Bohrung in Titusville das Erdölzeitalter publikumswirksam eingeläutet war, hatte es in Alt-Österreich schon begonnen. Und um die Jahrhundertwende war das Habsburgerreich via Galizien sogar der drittgrößte Produzent an Rohöl weltweit, gleich hinter den USA und dem zaristischen Russland mit seinen schon in der Antike bekannten Ölquellen am Kaspischen Meer.

Österreichische Geologen wie Hans Höffer-Heimhalt waren führend auch in der Erforschung der Entstehung des Öls. Von ihnen stammen Nachweise seiner organischen, maritimen Genese. Am ganzen Balkan, auch in Rumänien waren die habsburgischen Geologen und Petrolchemiker erfolgreich aktiv. Trotzdem fatal untermotorisiert und schon in der ersten Kriegsphase vom galizischen Erdöl getrennt, ging der Erste Weltkrieg für die Donaumonarchie verloren.

Lautstarkes Zeichen

Dass auch in Restösterreich Erdöl vorhanden sein musste, war den Wiener Geologen um Karl Friedl zwar bekannt, hatte doch im Jahr 1913 im nur knapp slowakischen Egbell Ján Medlen, ein findiger, eben aus den pennsylvanischen Ölrevieren zurückgekehrter Bauer beim Bau eines Drainagesystem für selbst aufgefundenes Erdgas seinen Hof in die Luft gesprengt: lautstarkes Zeichen für Kohlenwasserstoffe im Untergrund. Dass im Wiener Becken aber nicht nachhaltiger nach Erdöl und Erdgas geforscht werden konnte, lag am Fehlen einer nationalen Ölindustrie in der Ersten Republik und an den internationalen Verflechtungen der aktiven Ölförderfirmen. Um die Rendite etwa der rumänischen Bohrungen nicht zu gefährden, lagen die vermuteten Bestände im Wiener Becken lieber brach.

Mit einer ersten, auch wirtschaftlich erfolgreichen Bohrung im Weinviertel begann am Steinberg bei Neusiedl an der Zaya im Jahr 1934 aber auch auf dem Gebiet der Ersten Republik ein zweites österreichisches Erdölzeitalter. Fatalerweise war es aber erst die deutsche Kriegsmaschinerie, die ab 1938 mit Hochdruck das Weinviertel zur größten großdeutschen Erdölprovinz ausbauen konnte, weit vor den Elsässer oder norddeutschen Ölrevieren. Mit Weinviertler Öl wurde der Vormarsch auf die kaukasischen Ölquellen geführt, umgekehrt haben aber doch russische Panzer den Ostteil Österreichs befreit und damit auch das Weinviertler Öl für die sowjetische Sache gesichert.

Schmiermittel für den Staatsvertrag

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg rinnt das schwarze Gold aus der fossilen Vorzeit also in fremde Hände, kesselwagenweise wird das Rohöl aus dem Wiener Becken nach Leuna verschafft, in die größte Raffinerie in der ebenfalls sowjetisch besetzen deutschen Ostzone. Lokal sind die Russen aber nicht nur Besatzer, sondern schnell auch neue Arbeitgeber und Förderer des sozialen Lebens. Noch heute berichten selbst ÖVP-Bürgermeister aus dem Weinviertel nicht ohne Anerkennung von den russischen Klubhäusern, Bibliotheken und Werkseinrichtungen. Doch weit mehr noch ist der Bodenschatz in den 1950ern national bedeutsam. Gerade dadurch, dass das Öl als Reparation auf die sowjetische Seite des Eisernen Vorhangs fließt, wird es zum Garanten dafür, dass die Zweite Republik als neutrales Staatswesen im Westen verbleibt. Bis in den Staatsvertrag hinein ist die Ressource Öl als strategisches Pfand der kleinen Republik präsent. Aus der Sowjetischen Mineralölverwaltung (SMV) wird 1955 die ÖMV. Das schwarze Gold ist in Österreich seither ein ›roter‹ Kraftstoff, über Jahrzehnte firmiert die Österreichische Mineralölverwaltung als ›roter‹ Konzern.

Bizarre Tankmale

Seltsamerweise kündet kaum etwas im kulturellen Leben Österreichs von dieser rohstoffpolitis­chen Geschichte der Zweiten Republik. Dass die raison d’être, also der Grund dafür, dass es Österreich überhaupt als eigenständigen Staat gibt, auf besondere Weise mit dem Bodenschatz Öl und seiner Schmierwirkung zwischen den Blöcken zu tun haben könnte, ist wenig präsent. Die historischen Stätten im Weinviertel verfallen. Was für kurze Zeit eine national zentrale Industrielandschaft war, ist wieder Peripherie und Pendlerland an der neuen Autobahn. Die OMV – längst ein globaler Konzern, dem das Ö im Briefkopf absichtlich verloren ging – ist mit weitaus bedeutenderen Geschäften in Libyen, Rumänien und dem Irak beschäftigt, als dass die österreichische Tradition des Erdöls noch Thema wäre.

Dass der globale, für die Mobilität wie für die Krisen des Jahrhunderts so prägende Rohstoff Erdöl auch eine lokale Geschichte hat, und dass die nationale Geschichte auch an diesem ambivalenten Rohstoff hängt, ist damit fast vergessen. So sind es inmitten der Prachtmeile versteckte Zapfsäulen, die – wenn man sie denn als solche zu deuten vermag – als bizarre Tankmale vom strategischen Bodenschatz Österreichs berichten. Mehr als die bronzenen Komponisten und Dichter erzählen die Tankstellen am Ring von der Zweiten Republik.

Benjamin Steininger, Kulturwissenschaf­tler, Wissenschaftshis­toriker, Ausstellungsmacher, ist derzeit IFK_fellow abroad am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung (ZfL) Berlin.

Volksstimme, Juli/August 2011 – Schwerpunkt, Freie Fahrt für freie BürgerInnen. Aber anders.

Aktuelles:


KPÖ Oberösterreich: Jetzt Unterstützungserklärung unterschreiben!
(14.7.2021)

...mehr


Die Europäische Linke fordert einmal mehr das Ende der Blockade gegen Kuba
(13.7.2021)

...mehr


Die neue Juli Volksstimme 2021 ist da!
(13.7.2021)

...mehr


KPÖ Graz: Unsere Kandidatinnen und Kandidaten für Graz
(10.7.2021)

...mehr


38. Parteitag der KPÖ: In der ältesten Partei Österreichs übernehmen Junge das Ruder
(21.6.2021)

...mehr

Volksstimme - Politik & Kultur - Zwischenrufe links