KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Was alle brauchen, muss allen gehören

Von Christiane Maringer (10.7.2011)

… oder: Wie kommt die KPÖ auf die Forderung nach »Freifahrt« mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Die soziale und ökologische Entwicklung unseres Planeten ist an einem Punkt angelangt, an dem weiteres Zögern statt entschiedenem Handeln zu seiner Zerstörung führen wird – auch aufgrund menschengemachter Emissionen. Die Entwicklung unserer Gesellschaften unter neoliberalen Vorzeichen stößt an die Grenzen des Kapitalismus. Diesen zu überwinden kann aber nur gelingen, wenn wir in ihm Wege einschlagen, die eine Perspektive eröffnen für ein solidarisches, demokratisches, für alle lebenswertes und zugängliches Gesellschaftssys­tem. Wir müssen also Elemente gesellschaftlichen Handelns finden, die den Menschen heute Nutzen bringen, aber auch jenen Freiraum schaffen, der erforderlich ist, um sich für ein anderes, egalitäres Miteinander einsetzen zu können. Darüber hinaus wird diese Gesellschaftsform jenseits des neoliberalen Konkurrenzprinzips nötig sein, um den ökologischen Kollaps zu verhindern.

Was alle brauchen …

Ein Schritt in diese Richtung wäre, existenzielle Bereiche des Lebens dem privatwirtschaf­tlichen Profitsystem zu entziehen: Etwa Wasser, Nahrung, Wohnen, Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit auch im Alter und bei Pflegebedürftigkeit bis hin zu Medien, Kultur und Energie. Mobilität und damit der öffentliche Verkehr sind wesentliche Elemente auf dieser Liste.

Die Verkehrspolitik, insbesondere der Umgang mit Auto und Transportwegen, muss radikal verändert werden. Wollen wir den motorisierten Individualverkehr (MIV) in dem Maße eindämmen, in dem das ökologisch notwendig ist, sind entschiedene Maßnahmen nötig.

Der MIV, wie wir ihn heute zulassen, erzeugt jede Menge schädlicher Nebenwirkungen: Lärm, Gesundheitsschäden durch CO2-Ausstoß und Feinstaubbelastung, Stress, er verbraucht Raum, er frisst Zeit und nicht zuletzt schließt er über die hohen Betriebskosten viele Menschen aus den sozialen Zusammenhängen aus. Und: Er ist ein wesentlicher Faktor im Ungleichgewicht der Belastung des Globus zwischen Nord und Süd. Europa hat einen ökologischen Fußabdruck von fast fünf Hektar pro Person, Indien von 0,7. Hätten alle Menschen den gleichen ökologischen Fußabdruck wie in den USA, wären 4,39 blaue Planeten notwendig.

60 Prozent des globalen Energieverbrauchs gehen in den Verkehr und in die gebaute Umwelt. Vor allem in den Industrieländern müssen nicht nur die Verkehrswege effektiver werden, sondern es muss um Suffizienz gekämpft werden, also um einen geringeren Energieverbrauch: Es wird nicht ausreichen, dass wir technisch effizienter werden, um das so eingesparte Energiepotential anderweitig zu verbrauchen. Wir müssen lernen, weniger zu verbrauchen und sinnvoll mit den Ressourcen umzugehen.

An den Öffis führt kein Weg vorbei

Zur Lösung dieser Probleme ist es notwendig, dem öffentlichen Verkehr (ÖV) den absoluten Vorrang einzuräumen. Dazu gehören auch strukturelle Entscheidungen, wie etwa, dass dieser in gemeinschaftlichem Eigentum verbleibt oder in dieses zurückgeführt wird, bei raschem und umfassenden Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Die gleichzeitige Einführung der Freifahrt auf Öffis wäre dazu eine gesellschaftspo­litisch sinnvolle Maßnahme, zumal es für immer mehr Menschen auch ein finanzielles Problem wird, sich eine Fahrkarte leisten zu können – obwohl der Verkauf der Karten ohnehin mehr mit Disziplinierung zu tun hat als mit der Finanzierung der entsprechenden Verkehrsmittel.

Erst Freifahrt ermöglicht Menschen mit geringerem oder keinem Einkommen Mobilität, sie ist damit ein Beitrag zur Umverteilung von oben nach unten.

Es muss aber auch möglich werden, möglichst viele Wege zu Fuß, mit dem Rad und den Öffis zurückzulegen. Das wiederum erfordert kleinräumige Strukturen. Wesentliche Lebenszusammenhänge wie Arbeitsplätze, Einkaufsmöglichke­iten, die Schule, Wohnungen, soziale und kulturelle Orte müssen sich in erreichbaren Distanzen zueinander befinden.

Bremskraftver­stärker

Obwohl der Klimawandel in aller Munde ist, steht eine wirksame verkehrspolitische Kurskorrektur derzeit nicht auf der Tagesordnung. Die mächtigen Wirtschaftsverbände und die Autolobby stehen ebenso auf der Bremse wie deren Anhänger, die etablierten Parteien. Erstaunlicherweise stoßen die Forderungen nach Freifahrt ebenso wie die nach einer Energiegrundsiche­rung auch bei den Armutsnetzwerken und vielen linken Gruppierungen auf taube Ohren. Wenn ausgerechnet die Grünen der Freifahrt eine Abfuhr erteilen – mit dem Argument, dass was nichts kostet, nichts wert sei1) –, ist das schon weniger verwunderlich. Dem könnte man mit Wolfgang Ambros entgegenhalten: »Net alles, was an Wert hat, muass a an Preis ham, aber mach des amal wem klar «

Ich möchte dem aber noch eine andere Beobachtung hinzufügen: Was mir nicht gehört, worüber ich nicht bestimmen und verfügen kann, das kann ich leichter geringschätzen, bis hin zur Zerstörung. Die politische Enthaltsamkeit einer ganzen Generation hat genauso wie Vandalismus damit zu tun, dass vor allem Jugendlichen deutlich vor Augen geführt wird, dass sie, außer alle paar Jahre ein Kreuzerl zu machen, nichts mitzubestimmen haben, und der öffentliche Raum ihnen – bis auf ein paar Drahtkäfige – schon gar nicht gehört.

Die Rückeroberung der Lebensräume

Wo Öffis vorhanden sind, da werden diese auch genutzt. Das lässt sich an zahlreichen Erhebungen, unter anderem an den Zahlen zur Motorisierung ablesen2). Wo kein attraktives Angebot an Öffis vorhanden ist, schaut es düster aus. Durch das Auto verändern sich nämlich auch die Lebensstrukturen. Die Kaufkraft verlagert sich in Supermärkte am Stadtrand3), der Arbeitsplatz wandert ins Umland oder in die nächste Stadt. Wohnen, Arbeiten, Kinderbetreuung, Freizeit driften auseinander. Mit steigender Geschwindigkeit der Fortbewegung im Auto nehmen die Distanzen zu. Was wir uns dabei nicht ersparen, ist Zeit.

Der Werbeslogan der Wiener Linien »Die Stadt gehört Dir« stimmt auch nur, wenn man wohlgesonnen ist und über ein eingeschränktes Gesichtsfeld verfügt. Auch in Wien, wo Öffis in einem relativ dichten Netz und in akzeptablen Intervallen fahren, gehört die Stadt vor allem den Autos: Das für sozialen und kulturellen Austausch notwendige Umfeld ist von ihnen besetzt: Pro Auto sind heute circa 300 bis 400 Quadratmeter Fläche versiegelt – die zudem kostenaufwändigst gepflegt werden müssen. Wiener Kindern bleiben dagegen oft weniger als fünf Quadratmeter zum Spielen.

Sobald man die Ballungszentren verlässt, fehlt ohnedies weitgehend die Freiheit der Wahl. Selbst Hauptverkehrslinien sind heute stark ausgedünnt oder wurden überhaupt aufgegeben (siehe Verbindung Linz–Graz). Nebenbahnen wurden eingestellt oder sind von der Einstellung bedroht, der Bus ist eine ungenügende, oft nicht angenommene Alternative4).

Ein Investitionspaket für die ÖBB und andere Öffis mit Verdichtung des Netzes und der Intervalle wäre, meint die KPÖ, nicht nur wünschenswert, sondern angesichts der Lage dringend erforderlich; weiters der Ausbau des Radwegenetzes samt zugehöriger Abstellanlagen, die gesetzlich verbindliche Anbindung aller Siedlungsräume5) und die Erarbeitung einer neuen Raumordnung. Darüber hinaus kostenlose Nutzungsmöglichkeit des Angebots für alle. Es geht letztendlich darum, dass wir uns unser Lebensumfeld zurückerobern und dieses nicht der »strukturellen Gewalt von Blech und PS« überlassen.

Wer soll das bezahlen?

Fakt ist, dass bereits jetzt 70 Prozent der Kosten des öffentlichen Verkehrs von der Bevölkerung getragen werden. Wie die E-control6) in einer Studie errechnete, zahlt jedeR ÖsterreicherIn zum Beispiel 700 Euro jährlich für die ÖBB, auch wenn er/sie nie einen Fuß in den Zug setzt.

Den Löwenanteil am ÖV haben damit wir alle bezahlt, also wäre der freie Zugang zu den öffentlichen Verkehrsmitteln auch aus monetärer Sicht in höchstem Maße legitim.

Österreich leistet sich zudem den Bau teurer Autobahnen, während die ÖBB nahezu wöchentlich medial hingerichtet werden: Von den »nichtshackelnden«, »überbezahlten« ÖBBlern bis zum unmöglich wirtschaftlich zu führenden Vehikel, das dringend privatisiert gehört, ist da für jeden Geschmack etwas dabei. Förderung des Autoverkehrs und privatisierte Öffis bedeuten aber, dass Mobilität zunehmend ein Privileg derer wird, die über Geld verfügen – diese Tatsache kommt in der Negativ-Berichterstattung über die ÖBB nicht vor.

Dabei gäbe es etliche unerschlossene Geldquellen für die Öffentlichen, wie etwa Leo Furtlehner, Landessprecher der KPÖ Oberösterreich, erläutert: »Würden die für steuerliche Pendlerpauschalen, Jobtickets, Pendlerbeihilfen etc. aufgewendeten Mittel – ergänzt um eine Nahverkehrsabgabe der Unternehmen nach dem Muster der Wiener U-Bahn-Steuer und einer Zweckbindung der Mineralölsteuer für den öffentlichen Verkehr – gebündelt, wäre eine Freifahrt auf Öffis leicht zu finanzieren.«

Rasches Handeln in der Verkehrspolitik könnte dem Staat Österreich zudem weitere Strafgelder ersparen, die fällig werden, wenn es seinen CO2-Ausstoß nicht auf den im Kyoto-Protokoll festgeschriebenen Level zurückfahren kann. Dasselbe gilt für hunderte Millionen Euro, die in den Emissionshandel gehen, damit auf diese Art die entsprechenden Mindestziele erreicht werden7). Weitere Finanzquellen für den forcierten Bahn-, U-Bahn- und Straßenbahn-Ausbau: Umwidmung von Geldern für geplanten Straßenbau, Umschichtung der Mineralölsteuer, Einführung flächendeckender LKW-Maut, Parkgebühren, City-Maut usw. Nicht zuletzt wäre es möglich, die enormen Gewinne der heimischen Energieunternehmen nicht an Aktionäre zu verteilen, sondern das Geld ökologisch sinnvoll zu investieren.

Einschnitte ins Profitdenken sind nötig

Melina Klaus, Bundessprecherin der KPÖ, fordert darüber hinaus, dem freiwilligen Umstieg auf Öffis gezielt nachzuhelfen – mit der Maßnahme der Freifahrt und der entsprechenden Anbindung möglichst aller Regionen als Basis.

Zwar kann sich jedeR selbst dafür entscheiden, das Auto stehen zu lassen, bzw. sich den persönlichen autofreien Tag selbst auferlegen, als bewusste politische Handlung. Nachdem der Globus aber vermutlich nicht so lange Zeit hat, bis die entsprechende Anzahl an BürgerInnen zu dieser Einsicht gelangt, »kann da in der Zwischenzeit eine zur Abwechslung sinnvolle Verordnung Abhilfe schaffen«, sozusagen zur Überbrückung, meint Melina Klaus.

Freiheit wird ja gerne mit der »freien Fahrt auf der Autobahn« verwechselt. Eine Alternative ist, den Freiheitsgrad der Gesellschaft nicht am Auto zu messen, sondern an der Möglichkeit aller, am gesellschaftlichen Reichtum und Leben teilhaben zu können. Mobilität ist da ein wichtiges Element, das durch ein gutes Angebot und die kostenlose Nutzung des öffentlichen Verkehrs gesichert werden muss.

1) Grüne Verkehrssprecherin Gabriele Moser, Die Presse: »Wir können nicht so viel Geld verschenken. Außerdem hat Mobilität ihren Wert.«

2) In Wien kommen auf 1.000 Einwohne­rInnen 392 PKW, in Salzburg 473, in Eisenstadt 633 (ORF 2009).

3) Die Shopping City Süd verbraucht täglich 40 Tonnen Erdöl, die BesucherInnen produzieren täglich 80 Tonnen CO2 (ORF, 12.12.2009).

4) Während die Autobahnen in Österreich seit 1970 um über 1.200 km gewachsen sind, ist das Schienennetz im gleichen Zeitraum um 260 km geschrumpft.

5) Die Schweiz schreibt ab einer EinwohnerInnen-Zahl von 100 Personen die Anbindung ans öffentliche Verkehrsnetz gesetzlich verpflichtend vor.

6) Die staatliche Regulationsbehörde, e-control schlug in ihren »Maßnahmen für Energieeffizienz« bereits im Sommer 2008 vor, den ÖV kostenlos zur Verfügung zu stellen.

7) Bisher hat Österreich für den Zukauf von Zertifikaten 540 Mio € reserviert. Es ist abzusehen, dass das für 2012 nicht reicht und zusätzlich 600 Mio € Strafzahlungen nötig werden. (Presse, 13. 1. 2011)

Christiane Maringer ist Referentin für Kommunikation und Information beim Bundesvorstand der KPÖ.

Volksstimme, Juli/August 2011 – Schwerpunkt, Freie Fahrt für freie BürgerInnen. Aber anders.

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