KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Wisconsin – the home of the brave

Von Thomas Schmidinger (1.3.2011)

In Schottenrock mit Helm und roter Weste reckt er die linke Faust hoch während er lauthals mit Zehntausenden ArbeiterInnen singt: „O'er the land of the free, and the home of the brave!“ Aus den Kehlen tausender ArbeitInnen aus Wisconsin, die dieser Tage das Kapitol der Hauptstadt Madison belagern, klingt die Hymne der Vereinigten Staaten nicht wie die Hymne einer militärischen und ökonomischen Weltmacht.

Man hört hier viel eher das trotzige Beharren auf der eigenen Freiheit, die demokratische Gesinnung jener Zeit als Francis Scott Key 1814 aus Freude über den Sieg über die Briten den Text zu The Star-Spangled Banner schrieb und damit jenes Lied schuf, das 1931 zur offiziellen Nationalhymne der Vereinigten Staaten und damit auch zum ‚Soundtrack‘ des amerikanischen Kampfes gegen Nazideutschland werden sollte.

Für europäische Linke mag dies befremdlich wirken, aber amerikanische ArbeiterInnen­proteste sind durchaus patriotisch. Man sieht hier amerikanische Fahnen oder Transparente auf denen zu lesen ist, dass es „unamerikanisch“ wäre Gewerkschaften verbieten zu wollen. Dazwischen sind jedoch ganz selbstverständlich Transparente auf Spanisch oder für die Rechte von Immigranten zu finden. Dieser Patriotismus unterscheidet sich allerdings fundamental von jenem der Tea Party. Dieser Patriotismus inkludiert auch MigrantInnen, bezieht sich auf ein Land in dem man AmerikanerIn werden kann, wenn man an dessen Aufbau mitwirkt. Hier beharren ArbeiterInnen und Angestellte des öffentlichen Dienstes trotzig darauf, dass sie Amerika aufgebaut haben und nicht die Konzerne, die sich nun Politiker wie den Gouverneur Scott Walker kaufen können.

Der erst im Herbst 2010 gewählte republikanische Gouverneur von Wisconsin, der der Tea Party nahesteht, hatte als einer seiner ersten Amtshandlungen eine massive Kürzung der Steuern für Unternehmen durchgesetzt um, wie er behauptete, im internen „Standortwettbe­werb“ mit anderen US-Bundesstaaten, Unternehmen in das bis auf die Stadt Milwaukee weitgehend landwirtschaftlich geprägte Wisconsin zu locken. Bis dahin hatte Wisconsin keine größeren Budgetprobleme als viele andere Bundesstaaten in der Wirtschaftskrise auch. Mit dieser Begünstigung von Unternehmen schlitterte Wisconsin allerdings in eine akute Budgetkrise, die nun nicht nur zu großen Budgetkürzungen im Bildungs- und Sozialbereich führen sollen, sondern auch zu einer massiven Einschränkung von Gewerkschaftsrechten genutzt werden sollen. Neben Kürzungen von Pensionsansprüchen und höheren Krankenversiche­rungsbeiträgen für öffentlich Bedienstete, erhitzt vor allem der Angriff auf die Kollektivvertrag­sfähigkeit der Gewerkschaften die Gemüter. Geht es nach dem Gesetzesvorschlag der Republikaner, sollen Gewerkschaften in Zukunft nur noch den Lohn verhandeln dürfen, aber bei allen Zusatzleistungen –etwa Pensions- oder Urlaubsansprüchen – nicht mehr an Verhandlungen beteiligt werden. De facto kommt dies aus Sicht der Gewerkschaften einem Ausschalten der Gewerkschaftsrechte im öffentlichen Sektor gleich. Für die Feuerwehren, Polizei und die Gefängniswärte­rInnen, würden die Pläne Walkers einem völligen Gewerkschaftsverbot gleichkommen. Die Gefängniswärte­rInnen fühlen sich zudem von den Privatisierun­gsplänen für die verbliebenen staatlichen Gefängnisse bedroht. LehrerInnen und Universitätspro­fessorInnen sehen nicht nur ihre eigenen Rechte als Angestellte, sondern auch die Zukunft der Bildungseinrichtun­gen bedroht.

Damit hatte Walker die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die im Gegensatz zu den Privatangestellten immer noch über einen relativ hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad verfügen, durchgehend gegen sich aufgebracht. Nach jüngsten Umfragen wird der Gesetzesvorschlag des Gouverneurs von 7 von 10 BürgerInnen Wisconsins abgelehnt. Seit er am 11. Februar seine Pläne verkündete kommt Wisconsin nicht mehr zur Ruhe. Bereits am 15. Februar ginge tausende DemonstrantInnen in der Hauptstadt Madison auf die Straße. Seit dem 17. Februar halten DemonstrantInnen das Kapitol besetzt. Täglich kommt es zu Demonstrationen mit Zehntausenden ArbeiterInnen und Angestellten. Seit Ende Februar greifen die Proteste auch auf andere Bundesstaaten über, wo sich ArbeiterInnen und Angestellte mit ihren KollegInnen in Wisconsin solidarisieren.

Aber auch internationale Solidarität erreicht die DemonstrantInnen in Midwest: In den letzten Wochen trafen Solidaritätste­legramme aus Europa, Ägypten oder Indien ein. Ein Foto eines Demonstranten am Midan Tahrir in Kairo, der ein Plakat in Solidarität mit den DemonstrantInnen in Wisconsin in die Höhe hielt, wurde nicht nur begeistert zur Kenntnis genommen, vielmehr beziehen sich in Wisconsin DemonstrantInnen zunehmend auf Ägypten. Gouverneur Walker wird mit Mubarak gleichgesetzt. „Ägypten wird eine Demokratie, wir bekommen einen Diktator!“ heißt es auf einem Transparent.

Die Demonstrationen und die Besetzung des Kapitols haben den Charakter eines bunten Happenings. Hier DemonstrantInnen in Verkleidungen, die sich über Walker lustig machen, selbst gebastelte Transparente unterschiedlichsten Inhalts, Trommlergruppen oder ein ‚Chor der wütenden Großmütter‘ versuchen dem Gouverneur klar zu machen, dass auch in Wisconsin der Widerstand gegen eine neoliberale Umverteilung von Unten nach Oben wächst. Neben Gouverneur Walker ist sein Wahlkampfinanzier David Koch zum Hauptfeind der DemonstrantInnen avanciert. Koch, der 1980 Vizepräsi­dentschaftskan­didat der Libertarian Party war und mit seinem Bruder das weitreichende Firmenkonglomerat der Koch Industries besitzt, gilt als der zweitreichste Bürger New York Cities. Das teilweise noch aus den Geschäften der Familie mit den Nazis stammende Geld der Erdöldynastie, wurde u.a. als Wahlkampfhilfe für Walker verwendet. Zwischen 1997 und 2008 gab Koch 17 Millionen U$ an rechte Lobby-Gruppen, die gegen Gewerkschaften mobilisierten. Sein Einfluss auf Walker wird von den DemonstrantInnen als wesentlich für die strikte Weigerung des Gouverneurs gesehen, zumindest die Zerschlagung der Gewerkschaften zurückzunehmen.

Die 14 demokratischen SenatorInnen flohen mittlerweile nach Illinois. Damit verhinderten sie, dass im Senat das notwendige Quorum für die Gesetzesänderung erreicht werden konnte. Nach der 1848 geschriebenen Verfassung von Wisconsin dürfte der Sheriff ausgeschickt werden um abwesende Senatoren, die auf die Sitzung vergessen hatten, zu holen. Diese Regelung wurde nun benutzt um nächtliche Hausdurchsuchungen bei den demokratischen Senatoren durchzuführen. Alle 14 befanden sich allerdings tatsächlich im Nachbarbundessstaat und so weit reicht die Amtsgewalt des Sheriff nicht. Die demokratischen SenatorInnen wurden damit für viele zu HeldInnen.

Linke Gruppen führen die Reaktion der demokratischen SenatorInnen hingegen auf den Druck der Straße zurück und halten wenig vom opportunistischen Verhalten der DemokratInnen, die erst auf den Zug aufgesprungen wären, als die Basis schon längst damit abgefahren wäre. Einige linke Gruppen verkaufen ihre eigenen Zeitschriften und verteilen Flugblätter um auf die jeweils eigenen Ziele aufmerksam zu machen. Die trotzkistische Socialist Alternative‘ versucht auf eine eigene Arbeiterpartei hinzuarbeiten, die Gewerkschaften der AFL-CIO wollen hingegen mit Hilfe der Demokratischen Partei möglichst viele Rechte verteidigen. Die überwiegende Mehrheit der DemonstrantInnen hier sind einfache Gewerkschaftsmit­glieder und dazu zählen neben LehrerInnen, Krankenschwestern oder Feuerwehrmännern auch Polizisten und Gefängniswärte­rInnen. Eine junge Anarchistin meint: „Es ist schon etwas seltsam mit den Gefängniswärtern zu demonstrieren. Normalerweise stehe ich auf Seiten der Gefangenen und nicht auf der der Wächter. Aber wenn sie die Gefängnisse privatisieren wird es für die Gefangenen auch noch schlimmer. Wir müssen deshalb mit diesen Widersprüchen umgehen lernen.“

Die politischen Positionen innerhalb der Protestbewegung liegen gelinde gesagt sehr weit auseinander. Eine Protestbewegung in der vom Bischof der Episcopal Church bis zu den anarchistischen Wobblies, von den verschiedensten trotzkistischen Gruppen bis zu den Polizei- und Gefängniswächter­gewerkschaften, alles teilnimmt, was eben nicht mit der gewerkschaftsfe­indlichen Linie des Gouverneurs einverstanden ist, kann auch gar nicht anders, als mit Widersprüchen innerhalb der Bewegung umzugehen. „Wir sind uns derzeit nur einig darin, dass wir diesen Gesetzesentwurf weg haben wollen. Was wir stattdessen wollen, müssen wir erst diskutieren.“ bringt es James Oberley, Professor für Geschichte an der University of Wisconsin auf den Punkt. Er ist mit einem Bus der großen Gewerkschaftsföde­ration ALF-CIO von Eau Claire im Nordwesten Wisconsins vier Stunden durch das Schneetreiben nach Madison gefahren um an der Demonstration teilzunehmen.

Wie er kommen ständig DemonstrantInnen aus dem ganzen Land in die Hauptstadt. Aber auch in anderen Bundesstaaten wird die Entwicklung in Wisconsin genau beobachtet. Die größte soziale Bewegung seit Jahrzehnten macht Linken und GewerkschafterInnen Hoffnung und Republikanern und Tea Party Aktivisten Angst. Ein Kompromiss ist in Wisconsin kaum mehr möglich. Walker will mit den DemonstrantInnen und Gewerkschaften nicht sprechen. Im Falle eines Generalstreiks droht er die ‚National Guard‘ also der Streitkräfte des Bundesstaates zur Bewachung der Gefängnisse und Aufrecherhaltung der öffentlichen Ordnung einzusetzen. Die DemonstrantInnen fordern hingegen offen Walkers Rücktritt. Der Ausgang dieser Machtprobe wird über Wisconsin hinaus von Bedeutung sein.

Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und Ersatzmitglied des Betriebsrats des wissenschaftlichen Personals der Uni Wien. Derzeit ist er als Research Fellow an der University of Minnesota in den USA tätig.

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