KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Rosmarie Thüminger mit Grünmandl-Literaturpreis ausgezeichnet

LRin Beate Palfrader mit Preisträgerin Rosmarie Thüminger (Foto: Land Tirol/Pidner)

(1.10.2014)

Die Tiroler Schriftstellerin und langjährige KPÖ-Aktivistin Rosmarie Thüminger erhielt am Montag, 29.9.2014, als Anerkennung für ihr literarisches Gesamtwerk den Otto-Grünmandl-Literaturpreis 2014 des Landes Tirol. Die Laudatio, gehalten von Mag. Irmgard Bibermann, dokumentieren wir untenstehend. (red.)

Laudatio für Rosmarie Thüminger zur Verleihung des Otto Grünmandl-Literaturprei­ses 2014


Guten Abend sehr geehrte Damen und Herrn, sehr geehrte Frau Landesrätin, verehrte Frau Thüminger,

eigentlich müsste hier Annemarie Regensburger, eine Schriftsteller­kollegin von Ihnen, stehen. Aber weil sie aus gesundheitlichen Gründen verhindert ist, habe ich die ehrenvolle Aufgabe übernommen anlässlich der Verleihung des Grünmandlpreises die Laudatio für Sie zu halten. Ich habe mich ihren Werken nicht als eine, die selbst schreibt, sondern als eine begeisterte Leserin und als Lehrerin für Geschichte und Politische Bildung genähert.

Rosmarie Thüminger und ich haben außerdem beide Wurzeln in Südtirol und im Zillertal.Die Autorin ist 1939 in Laas in Südtirol geboren, hat aber ihre Kindheit im Zillertal verbracht, weil ihre Eltern sich bei der Option für das Weggehen entschieden haben, aus Angst der Vater könnte in eine Schule nach Süditalien versetzt werden. So bekam er eine Stelle als Dorfschullehrer am Gerlosberg. Rosmarie Thüminger hat in dieser Zeit ihre Lust am Schreiben entdeckt: sie verfasste schon als kleines Mädchen Gedichte, führte später ein Tagebuch. Aufsätze-Schreiben gehörte zu ihrer Lieblingsbeschäfti­gung im Schulalltag.

Zunächst schlug sie jedoch einen anderen beruflichen Weg ein: sie machte die Ausbildung zur Kinderkranken­schwester in Innsbruck, ging dann als Erzieherin für längere Zeit nach Rom und verwirklichte sich damit einen Kindheitstraum.

1963 heiratete sie, bekam drei Kinder und war von nun an Hausfrau und Mutter. Obwohl ihre Beziehung partnerschaftlich war und sie sich über ihre Kinder sehr freute, empfand sie ihr Leben reduziert auf die häusliche Rolle auf die Dauer als anstrengend und unbefriedigend. In ihren Beruf als Krankenschwester konnte sie nicht zurück, dafür fehlten die Betreuungsein­richtungen für Kleinkinder.

„Das kann doch nicht alles gewesen sein“, dachte sie sich beim Putzen, Kochen, Kinderversorgen. In dieser Zeit beginnt sie sich politisch zu betätigen. Sie verfolgt die Berichte über den Vietnamkrieg im Radio und der Gedanke lässt sie nicht los: „Wenn das bei uns wäre, wenn meine Kinder davon betroffen wären!“ So wird sie Mitglied der Anti-Vietnamkriegsbe­wegung in Innsbruck. Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist noch sehr lebendig: ihr Vater musste im letzten Kriegsjahr noch einrücken und ihr Mann als 17jähriger Bursch in den letzten Kriegsmonaten an die Front. Beide waren aus dieser Erfahrung heraus zu entschiedenen Kriegsgegnern geworden. In der Gruppe der Anti-Vietnamkriegsbe­wegung lernt sie auch Frauen kennen, die sich als Feministinnen für Frauenrechte engagierten und sie trifft auf Mitglieder der kommunistischen Partei. Nachdem sich sie sich intensiv mit der Parteiengeschichte und der marxistischen Ideologie auseinandergesetzt hatte, wird sie selbst Kommunistin. Ihr politisches Engagement und die Teilnahme an Friedensdemon­strationen hat zur Folge, dass ihr Mann, der als Diplomingenieur bei der ÖBB arbeitet, zum Chef zitiert wird, der ihn darauf aufmerksam macht, dass das Verhalten seiner Gattin für ihn „karriereschädi­gend“ sei und er dafür sorgen solle, dass sie sich „anständig benimmt“. Walter Thüminger hält zu seiner Frau und weist seinen Vorgesetzten darauf hin, dass deren politisches Engagement, nichts mit der Qualität seiner Arbeit zu tun habe.

Die 1970er Jahre, sind auch die Zeit, in der Rosmarie Thüminger zu schreiben beginnt. 1981 nimmt sie dann an einem von Johanna Dohnal ausgeschriebenen Kinderbuchwet­tbewerb teil. Das Frauenstaatsse­kretariat suchte zusammen mit dem Verlag Jugend und Volk Kurzgeschichten, in denen die herkömmlichen Rollenbilder in Frage gestellt werden. Ergebnis war das Buch: „Mädchen dürfen pfeifen, Buben dürfen weinen". Rosmarie Thümingers Kurzgeschichte über ein Mädchen, das Lokführerin werden will, wird in die Kurzgeschichten­sammlung aufgenommen. Sie hatte in diesem Text ihre Empörung darüber verarbeitet, dass die Bewerbung einer jungen Frau für die Ausbildung zur Lokführerin bei der ÖBB kategorisch abgelehnt worden war.

Ermutigt durch diesen Erfolg schreibt sie nun Jugendbücher. Ihr Mut verlässt sich jedoch beinahe, als sie für einen Jugendroman über die Zeit des Nationalsozialismus zwei Jahre lang keinen Verlag findet. Als sie schon aufgeben will, tritt der Dachs-Verlag an sie heran und publiziert anlässlich des Gedenkjahres 1988 „10 Tage im Winter“. Damit gelingt ihr der Durchbruch als freie Schriftstellerin: sie startet ihre Karriere als erfolgreiche Verfasserin von fast zwei Dutzend Kinder- und Jugendbüchern und als Autorin von Beiträgen für Kultur- und Literaturzeit­schriften.

Für „10 Tage im Winter“ erhält Rosmarie Thüminger 1988 den Kinderbuchpreis der Stadt Wien und 1989 den Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis.

Der Roman erzählt von Maria, einem Volkschulkind, das in einem abgelegenen Bergdorf im Zillertal trotz des Zweiten Weltkrieges eine scheinbar ruhige Kindheit verbringt. Sie mag ihre junge Lehrerin, und nimmt begeistert deren Hitler- und Durchhalteparolen auf. Eines Tages entdeckt sie, dass ihre Mutter am Dachboden einen verletzten russischen Kriegsgefangenen versteckt. Die Angst vor dem Entdeckt-Werden hält die Familie in Bann. Maria wird in Gesprächen mit dem Kriegsgefangenen klar, dass die Ausführungen der Lehrerin zu Über- und Untermenschen, bloßes Gerede sind und dass es auf beiden Seiten nur Menschen gibt, die unter dem Krieg schwer zu leiden haben. Maria ist völlig verwirrt und geschockt, als sie ein Gespräch von ihrem Lieblingsonkel Hermann, einem Mitglied der SS, mit ihrer Mutter und der Großmutter mithört, in dem er unter Alkoholeinfluss zugibt, an der Erschießung von russischen Frauen und Kindern beteiligt gewesen zu sein.

Dieses Buch ist meiner Meinung nach typisch für die Arbeit von Rosmarie Thüminger. Sie schreibt immer darüber, was sie selbst berührt und bewegt. Als kleines Kind im Zillertal hat sie die ausgemergelten Gestalten der Zwangsarbeiter gesehen, die beim Bau des Gerlos-Kraftwerks eingesetzt waren. Mitte der 1980er Jahre verfolgt sie aufmerksam die hitzigen Debatten, als auch das offizielle Österreich über seine Mittäterschaft an den Verbrechen des Nationalsozialismus nachzudenken beginnt. Rosmarie Thüminger reflektiert die eigenen Erfahrungen, ist eine wache Beobachterin des aktuellen Zeitgeschehens, informiert sich über die historische Faktenlage, ärgert sich, wundert sich und dann entstehen in ihrem Kopf Geschichten, wie die von Maria in „10 Tage im Winter“. Die Protagonistin ist neugierig, geht mit offenen Augen und Ohren durch die Welt, ist begeisterungsfähig, traurig, verwirrt, verletzt, sprachlos, weiß nicht mehr weiter, versteht die Erwachsenenwelt manchmal überhaupt nicht, geht den Dingen auf den Grund, fasst nach Niederlagen neuen Mut. Damit schafft die Autorin Identifikation­smöglichkeiten für ihre Leserinnen und Leser. Sie regt diese auch zur differenzierten Wahrnehmung von Menschen an. Die Figuren in Rosmarie Thümingers Kinder- und Jugendbüchern sind nicht eindimensional, lassen sich nicht in bestimmte Schubladen stecken, sie sind nicht einfach gut oder böse, sie haben Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen, sind vielschichtig, lebendig, menschlich.

Ihre Geschichten lassen viel Raum zum Selber-Denken, sie laden dazu ein, einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Sie sind so geschrieben, dass sie die jungen Leserinnen und Leser nicht in eine Richtung lenken oder auf eine Seite ziehen. Die Autorin überlässt es ihrer Leserschaft sich selbst eine Meinung über die Protagonistinnen zu bilden. Das gelingt ihr durch eine sorgfältige Figurengestaltung und dadurch, dass sie keine Bewertungen von deren Handlungs- und Verhaltensweisen anbietet.

Welche Wirkung Sätze oder auch Haltungen von Erwachsenen auf junge Menschen im positiven und negativen Sinne haben können, das macht sie jedoch schon immer wieder deutlich. Der Ausgang ihrer Geschichten ist meist offen. Der offene Schluss öffnet den Raum der Phantasie, schafft Platz für eigene Gedanken, fordert zum Weiterdenken auf.

Ihre Geschichten sind spannend geschrieben, sie fesseln. Aber sie bieten keine „leichte Kost“. Rosmarie Thüminger bringt die Leserinnen und Leser dazu, sich über die Lektüre ihrer Bücher mit schwierigen Themen der Zeitgeschichte zu beschäftigen, wie z.B. mit Widerstand und Mitläufertum im Dritten Reich, mit der Kindheit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie bringt sie dazu, sich mit aktuellen gesellschaftspo­litischen Fragen und Herausforderungen auseinanderzu­setzen, wie z.B. der Migration und Integration, der Drogenproblematik oder Gewalt in der Familie.

Eines meiner Lieblingsbücher ist „Mit offenen Augen“. Es ist die 2009 erschienene literarische Annäherung an die Lebensgeschichte von Adele Stürzl, die im Widerstand gegen das Nazi-Regime ihr Leben verlor. Rosmarie Thüminger beschreibt einfühlsam, die Beweggründe, die Hoffnungen und Überzeugungen, die das mutige Handeln der Widerstandskämpfe­rin leiteten. Sie bettet deren Biografie in das geschichtliche Umfeld ein, schildert auf eindrückliche Weise die Lebensbedingungen dieser Zeit.

Adle Stürzl, die Protagonistin, erlebt mit offenen Augen die bewegte Geschichte Österreichs in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts: die Lage der sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten – der Ungebildeten, der Zugewanderten, der jüdischen Mitbürgerinnen und Bürger, der Frauen, das Erstarken der sozialdemokra­tischen Bewegung als Reaktion auf die Missstände und die Parteienkämpfe im Österreich der Zwischenkriegszeit.

Rosmarie Thüminger zeichnet Adele Stürzl als mutige Frau, die Unrecht nicht erträgt, sich auch durch Gefängnis und Folter nicht einschüchtern lässt und ihre Ideale über das private Glück stellt. Die Autorin gibt eine Lektion in Zeit- und Wirtschaftsges­chichte, Regional- und Parteiengeschichte, in die Geschichte der Frauenrechtsbe­wegung und des Widerstands gegen das NS-Regime. Vor allem aber leistet sie mit ihrem Roman historische Aufklärungsarbeit. Denn Adele Stürzls Leben und politisches Engagement ist zwar Thema einer Diplomarbeit und einiger wissenschaftlicher Aufsätze, doch der breiteren Öffentlichkeit war sie bis zum Erscheinen des Buches wenig bis gar nicht bekannt.

Die Werke der Autorin haben – wie das über Adele Stürzl – regionalgeschichtliche Hintergründe und spielen an für Tiroler LeserInnen vertrauten Schauplätzen. Als Geschichtelehrerin weiß ich: Lernen aus der Geschichte wird wesentlich erleichtert, wenn man sich mit Erzählungen von Menschen konfrontiert, die aus der eigenen Region, der eigenen Stadt stammen: man kennt die Daxgasse, kennt den Hauptbahnhof, die Höttingerau und kann so leichter Bezüge zur eigenen Lebenswelt herstellen – die Geschichte rückt näher.

Rosmarie Thüminger schafft es mit ihrer Sprache auch an die Wahrnehmungen, Erlebnisse und Erfahrungen von jungen Menschen anzuknüpfen. Über die Heldinnen ihrer Bücher erhalten schwierige gesellschaftliche und politische Themen ein Gesicht, eine Stimme und werden dadurch konkret fassbar und damit leichter nachvollziehbar.

Für die Qualität ihrer Bücher spricht, dass viele von ihnen in mehrere Sprachen übersetzt wurden, ins Dänische, Niederländische, Slowakische, Spanische, Tschechische.

Zu guter Letzt stellt sich die Frage: Was verbindet Rosmarie Thüminger mit Otto Grünmandl? Er war ein kritischer Geist, der schreibend und auch als Kabarettist auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam gemacht hat, den Mut hatte anzuecken und sich vom Main-Stream nicht vereinnahmen ließ.

Das gilt auch für die Grünmandl-Preis-Trägerin 2014: sie ist eine mutige, kritische, sozialpolitisch engagierte Autorin. Mithilfe der Literatur hat sie jungen Menschen einen Zugang zu Themen ermöglicht, die für viele von ihnen oft nur affektneutraler Stoff im Geschichteunte­rricht sind, denn sie bringt zur Sprache, was sie bewegt und bringt damit in den Köpfen und Herzen ihrer Leserinnen und Leser etwas in Bewegung.

Schreiben, was ist, verändert die Welt, sagt Hannah Ahrend. Dazu hat Rosmarie Thüminger einen beachtlichen Beitrag geleistet und dazu sei ihr herzlich gratuliert.

Laudatio von Mag. Irmgard Bibermann, gehalten bei der Verleihun des Otto-Grünmandl-Preis an Rosmarie Thüminger, 29.9.2014.

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