KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Der überschätzte Kanzler

Von Lutz Holzinger (26.1.2011)

Zu Bruno Kreisky fällt jedem etwas ein. Mir bescherten die März-Wahlen 1970 im Herbst vorher eine Wehrdienstunter­brechung im Österreichischen Bundesheer. Im aktuellen Dienst des ORF-Hörfunks glaubte man, im Gedränge der Vorwahlzeit ohne mich nicht auskommen zu können. Das ersparte mir die drohende Verpflanzung an die „Ostfront“. Der relativen Mehrheit der SPÖ und der 1971 folgenden Absoluten verdanke ich das Recht auf Verweigerung des Wehrdienstes mit der Waffe, ohne deswegen gleich im Häfen zu landen.

In dieser grauen Vorzeit sind von der Politik noch positive Wirkungen ausgegangen. Was in der Ära Kreisky geschah – darin sind alle Analytiker einig – war allerdings eine überfällige nachholende Modernisierung Österreichs. Dass mit der ÖVP kein moderner Staat zu machen war, hat spätestens die Regierung Klaus zwischen 1966 und 1970 bewiesen. Im gerade aufkommenden Fernsehen war klar zu erkennen, dass die Schwarzen durchwegs „Hüfler“ waren.

Damals begannen die Wahlergebnisse, sich nach den sozialstatistischen Tatsachen statt nach liebgewordenen Traditionen zu richten: Der massive Rückgang der Bauern und der kleinen Selbständigen einerseits und das enorme Anwachsen der ArbeiterInnen und Angestellten andererseits brachten die Sozialdemokraten ans Ruder. Die Regierung Kreisky startete – insbesondere nach der Erringung der absoluten Mehrheit 1971 – ein sanftes Modernisierungswerk vor allem im gesellschaftspo­litischen und im Kulturbereich.

Ihre Rolle in der Wirtschaft wurde und wird stark überschätzt. Dass es in der Zeit zwischen 1970 und 1975 drei Jahre tatsächlich Vollbeschäftigung (mit mehr offenen Stellen als vorgemerkten Arbeitslosen) gegeben hat, war der konjunkturellen Entwicklung, aber nicht dem Handeln der Regierung zu verdanken. Der Effekt von Regierungspro­grammen zur Ankurbelung der Konjunktur ist erfahrungsgemäß höchst bescheiden. Wenn die wirtschaftliche Lage nicht von Faktoren wie ausreichender Massenkaufkraft und Exporttätigkeit bestimmt wird, nützen sie gar nichts.

Die Behauptung, unter Kreisky sei Geld wie Heu ausgegeben worden, stimmt nur höchst bedingt. Beispielsweise hat die berühmte Edelstahl-Milliarde, die anlässlich des Zusammenschlusses der Edelstahlwerke in Niederösterreich und der Steiermark zu den Vereinigten Edelstahlwerken (VEW) versprochen wurde, die Betriebe nie erreicht. Ein Faktor der, in der europäischen Stahlkrise zu Beginn der 1980er Jahre, zum Niedergang der Verstaatlichten wesentlich beitrug. Die Enttäuschung der Industriearbe­iterschaft über das Zurückbleiben der SPÖ-Alleinregierung hinter ihren Erwartungen schlug sich bald in markanten Stimmgewinnen des KPÖ nahen Gewerkschaftlichen Linksblock in einer Serie von Betriebsratswahlen nieder.

Ausschlaggebend für den Drive der heimischen Wirtschaft Anfang der 1970er Jahre war vor allem die durch die Vollbeschäftigung und individuellen Lohnverhandlungen der Beschäftigten erzwungene Öffnung der jahrelang angezogenen Lohnbremse. Gleichzeitig schritt die Modernisierung der gesamten Gesellschaft zügig voran. Der Einzug der Markenartikel­werbung in größerem Umfang, der übrigens Medien wie das Magazin „profil“ erst möglich gemacht hat, und die ORF-Reform, sorgten für eine Durchlüftung und Durchleuchtung des öffentlichen Lebens.

Getrieben durch die Initiativen der neuen Linken jenseits jeder parteipolitischen Zuordenbarkeit waren Gesellschaftsre­formen im Familienrecht, Justizwesen, Geschlechterver­hältnis usw. unerlässlich. Die Regierung realisierte, was unaufschiebbar war – und erhielt in rund 95 Prozent der Gesetzesbeschlüsse die Zustimmung der Opposition im Nationalrat. Es geschah im Wesentlichen, was quasi unter westlichen Standards geschehen musste.

Allerdings war der Preis hoch, den der habituell großbürgerliche Kreisky für die Durchsetzung seiner Machtpolitik zu zahlen bereit war. Sein größtes Ziel war eine wirkungsvolle Spaltung des bürgerlichen Lagers. Am liebsten wäre ihm die Auflösung der ÖVP in ihre Bestandteile (sprich: Bünde) gewesen. Um zunächst überhaupt eine Minderheitsre­geierung bilden zu können, musste er sich auf die FPÖ stützen. Sie verdankt ihre Existenz dem ersten groß angelegten strategischen Versuch der SPÖ, einen Keil in das reaktionäre Wählerpotenzial zu treiben.

Ohne die schützende Hand von Innenminister Oskar Helmer hätte der Wahlverein der Unabhängigen als Vorläufer der FPÖ 1949 nicht das Licht der Welt erblickt. Und ohne einen von Präsident Franz Olah flüssig gemachten Zuschuss von einer Million Schilling aus der Kasse des ÖGB hätten die Freiheitlichen in den 1960er Jahren nicht überlebt. Kreisky erntete mit der Duldung seiner Minderheitsre­gierung durch die FPÖ lediglich, was andere gesät hatten. Allerdings legte er mit der Wahlrechtsreform, die sich als Rettungsanker für die parlamentarische Präsenz der Freiheitlichen spätestens im Jahr 1983 erwies, selbst ein Schäuferl nach.

Nimmt man alles in allem – Eisenstädter Erklärung zur Ausgrenzung der KPÖ und Abdichtung der SPÖ nach links, Aufwertung der FPÖ, Verteidigung von SS-Mitglied Friedrich Peter und Angriffe auf Nazi-Jäger Simon Wiesenthal – hat Kreisky die Sozialdemokratie weit nach rechts geöffnet. Zu weit, wie die Rückkehr neutralisierter – sagen wir – Deutschnationaler und das Abdriften sozialdemokra­tischer Stammwählerschichten zur FPÖ beweist. Allerdings ist dieser Prozess von Kreisky lediglich auf den Weg gebracht worden. Zur vollen Entfaltung bedurfte es Ereignisse wie der Waldheim-Affäre, der Besoffenheit der Medien von Jörg Haider, usw.

In bürgerlichen Kreisen wird gemutmaßt, Kreisky sei die – an sich weltweit praktizierte – Schuldenorien­tierung im Staatshaushalt zu verdanken. Darüber hinaus wird er als Übergangsphänomen von der Vor- zur Postmoderne betrachtet. Demnach hätte in Österreich lediglich ein schmales Fenster von 15 Jahren für aufgeklärte politische Praxis existiert. Falls das zutrifft, ist der vermeintliche Sonnenkanzler für dieses Dilemma mit verantwortlich.

Die Aufwertung des „dritten Lagers“ bedeutet, dass eine Schlange an der Brust der repräsentativen Demokratie gezüchtet wurde. Jene ist bestrebt dieser den Garaus zu machen. Die FPÖ blockiert jedenfalls die überfällige Modernisierung der Gesellschaft in Richtung Verteilungsge­rechtigkeit, Internationali­sierung und Anerkennung der Migration als Tatsache, der längst das Alltagsleben zumindest in den großen Städten des Landes prägt. Ohne Kreisky wäre dieser Spuk längst in der Versenkung verschwunden!

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