KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

ÖsterARM – ÖsterREICH

Von Harald Luiki (30.7.2008)

Gedanken zur gegenwärtigen sozialen Lage in Österreich.

Auch in Österreich – nach Irland, Luxemburg und den Niederlanden der viert reichste Staat in der EU – zählt zunehmende Verarmung zu einem der grundlegenden Probleme der Gesellschaft.

Armut ist mittlerweile nicht mehr ausschließlich unteren Einkommensschichten vorbehalten, sondern in zunehmenden Ausmaß auch ein Problem der so genannten „Mittelschicht“. Vergleichswerte aus Deutschland belegen diese bedenkliche Tendenz. Eine Studie der Unternehmungsbe­ratung McKinsey aus dem Jahr 2005 stellt fest dass „ohne gewaltige wirtschaftliche und soziale Anstrengungen der Mittelschicht in Deutschland ein empfindlicher Wohlstandsverlust droht“ (1) – dies trotz wachsender Wirtschaft.

Christoph Butterwege, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln, beschreibt mit drastischen Worten, was Sache ist: „Langfristig führt das zu einer Spaltung der Gesellschaft. Parallelgesellschaf­ten entstehen, die man in Bezug auf MigrantInnen häufig beklagt. Die Reichen leben hinter hohen Mauern, bewacht von privaten Sicherheitsdi­ensten, die Armen beziehen ihre Kleidung von den Kleiderkammern der Wohlfahrtsverbände und essen in der Suppenküche. Wenn die einen nichts mehr von den anderen wissen und auch nichts mehr wissen wollen, ist der soziale Friede gefährdet“ (2).

Auch in Österreich stellt sich – auch angesichts der in allen Bereichen spürbaren Teuerungswelle in den Bereichen Energie, Grundnahrungsmit­tel, Treibstoff und Mieten– die Frage, ob man sich das Leben noch leisten kann. Die Teuerungsspirale betrifft uns alle, es bestätigt, dass Armut ein gesellschaftliches Problem mit unterschiedlichsten Gesichtern ist: Die Betroffenen sind Frauen, Männer, Pensionisten/innen, Migranten/innen und in zunehmenden Ausmaß auch Jugendliche.

Laut Statistik Austria erreichte die Inflation mit 3,9% im Juni den höchsten Stand seit 1993. Die Kosten für Grundnahrungsmittel stiegen im Durchschnitt innerhalb eines Jahres um beinahe 8%. Der Mietenindex ist seit 2000 um 27,6% gestiegen. Seit 2000 sind die Energiekosten um mehr als 20% gestiegen, bei Haushalten mit weniger als 900 Euro Einkommen machen die Wohn- und Heizkosten bereits 37% des monatlichen Gesamtbudgets aus. Der Preis für Normalbenzin ist seit Anfang 2004 um 41%, der Preis für Diesel um 61%, für Gas um 22% und für Strom um 13% gestiegen. Die Bevölkerung wird’s schon zahlen, Hauptsache die Unternehmen schreiben Gewinne.

Am Beispiel etwa des Treibstoffsektors entlarvt sich das wahre Antlitz neoliberaler Wirtschaftspolitik. Während Österreichs Bevölkerung unter einer noch nie da gewesen Teuerungswelle stöhnt und sich viele den Betrieb ihres Autos nicht mehr leisten können, jubelt die OMV in der Person ihres Generaldirektors und ehemaligen sozialdemokra­tischen Finanzstaatsse­kretärs Ruttenstorfer über eine Verdoppelung des Gewinns und der Dividende: „Wir haben unser für 2008 gestecktes Wachstumsziel bereits 2005 übertroffen und werden unsere Strategie des profitablen Wachstums konsequent fortsetzen“ (3).

Eine Erhebung der Arbeiterkammer zeigt auf, dass es vor allem bei Billiglebensmittel im Zeitraum von Dezember 2006 bis Dezember 2007 zu einer Preiserhöhung von durchschnittlich 20% gekommen ist.

Geht es den Handelsunternehmen wirtschaftlich so schlecht, dass wir Kunden/innen die Zeche zahlen müssen? Mitnichten: Was die Statistik Austria mit der Headline „Konjunkturau­fschwung im österreichischen Einzelhandel gefestigt: Umsatzplus von 3,1% für das 1. Quartal 2007“, liest sich im Detail folgend: „Der Einzelhandel mit Nahrungsmitteln, Getränken und Tabakwaren setzte im Berichtszeitraum nominell um 3,9% und real um 1,4% mehr um als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Auch im Einzelhandel mit Nichtnahrungsmit­teln waren die Umsätze im 1. Quartal 2007 nominell (+ 2,8%) und real (+ 2,8%) höher als im Vorjahreszeitraum. Arbeitstätig bereinigt stieg der Umsatz im Einzelhandel im Vergleich zum März 2006 nach vorläufigen Berechnungen um 3,3% nominell und 1,9% real“ (4).

Wer der Meinung ist, die gegenwärtige Teuerungslawine sei nicht vorhersehbar gewesen, irrt. Bereits 2005 belegte eine Studie des Wirtschaftsmi­nisteriums, dass „es in Österreich praktisch keinen Spielraum mehr für eine Senkung der Treibstoffpreise gibt. Im Gegenteil, tendenziell werden Benzin und Diesel in Österreich in nächster Zeit noch teurer werden“. SP-Wirtschaftssprecher Johann Moser damals in einer Reaktion: „Die Regierung Schüssel schaut tatenlos zu, wie die Energie und Treibstoffpreise steigen. Dadurch werden die Wirtschaft und letztlich auch die Konsumenten geschröpft. Die Preise müssen runter. Es geht nicht an, dass sich ein paar Benzinfirmen und Ölmultis sowie Finanzminister Grasser gesund stoßen. Von Regierungsseite könnten durchaus Maßnahmen gesetzt werden, die die Unternehmen und private Haushalte entlasten“ (5).

Es stellt sich nun die Frage, warum die SPÖ in der Zeit ihrer Regierungsveran­twortung seit 2007 der politischen Verantwortung nicht nachgekommen ist und effiziente Maßnahmen gegen die offensichtlich bereits seit 2005 bekannte Problematik unternommen hat? Kniefall vor der ÖVP, Benzin- und Ölfirmen, Finanzminister Molterer? Warum der Widerstand gegen eine dringend notwendige Energiegrundsiche­rung und einer staatlichen Preisregulierung, wie übrigens in Slowenien und Luxemburg vorhanden? Oder doch nicht ins eigene politische Kalkül passend, weil neoliberale (Wirtschafts)Po­litik Vorrang vor Vertretung der begründeten Interessen, Anliegen, Probleme und Ängste der Bevölkerung hat?

ÖVP-Millionär und Arbeits-(!) und Wirtschaftsminister Bartenstein gibt die Antwort auf all diese Fragen. Eine staatliche Preisregulierung wäre „Unfug, damit würde man einen Schuss ins eigene Knie riskieren. Eine Preisregelung könne es nur geben, wenn in Österreich die Preise über dem internationalen Durchschnitt lägen“ (6).

Offensichtlich leben Österreichs Regierungsveran­twortliche in einer Parallelwelt und nehmen einen Kollaps des sozialen Friedens bewusst in Kauf, verkennen bewusst die bereits vorhandenen Tatsachen und das Problem, dass das Modell der Preisregulierung über den freien Markt an die Grenzen des Zu- und Verträglichen gestoßen ist, die Idee der Liberalisierung am Wirtschaftssektor ausschließlich zu steigenden Preisen und immer mehr Menschen an die Grenzen der Existenzfähig­keit führt.

Während rund 1% der Österreicher über 34% des Gesamtvermögens verfügen, wandten sich 2005 knapp 20.000 Menschen an hoffnungslos überlastete Schuldberatun­gsstellen. Mittlerweile sind geschätzte 300.000 Haushalte überschuldet oder haben gewaltige Schuldenprobleme (7). Laut Kreditschutzverband wurden allein im ersten Halbjahr 2007 über 4300 Privatkonkurse verzeichnet, davon allein 1363 Fälle in Wien. Fakt ist, dass es dringend einer Novellierung des gerichtlichen Schuldenreguli­erungsverfahrens bedarf. Es muss ein leichterer Zugang zur Möglichkeit des Privatkonkurses, etwa dem Wegfall der Mindestquote von 10%, die im Abschöpfungsver­fahren zurückgezahlt werden müssen, kommen. Schenkt man einer Studie des Sozialministeriums Glauben, scheitern immerhin 13% der Schuldner an genau jener Hürde. Diesbezügliche Bemühungen der SP/VP-Koalition wurden auf die lange Bank geschoben und es steht zu befürchten, dass diese ebenso wie die Regierung bald Geschichte sind.

Immer mehr Menschen in unserem Land sind auf Sozialhilfe angewiesen, um ihren Lebensunterhalt mit Ach und Krach bestreiten zu können. Allein von 2003 bis 2006 stieg die Zahl der Empfänger von 102.920 auf 131.318 (8). Dies entspricht einer Steigerung von 27,6%. Die von der SP/VP-Regierung ausverhandelte „bedarfsorientierte Mindestsicherung“ ist wohl nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein, behandelt sie doch bloß in Minimalausführung die Symptome und nicht die Ursachen der Armutsfalle, das Versagen neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspo­litik mit der Konsequenz einer nicht mehr hinzunehmenden Aushöhlung des Sozialstaates mit dem einzigen Ziel von Profitmaximierung auf Kosten der Erwerbstätigen aber auch der nicht erwerbstätigen Bevölkerungsschichten.

Bernhard Felderer vom IHS: „Eine Sozialpolitik der Zukunft sollte sich auch nicht nur als Feuerwehr verstehen, die aktuellen sozialen Probleme durch finanzielle Zuwendungen heilen will, sondern sie wird versuchen, die Ursachen der Probleme aufzuspüren und durch Bekämpfung der Ursachen vorbeugen und motivieren, vielmehr als nur ex post zu heilen“ (9).

Sparpakete und Teuerungswellen sind mit Sicherheit keine probaten Mittel, den zunehmenden Problemen unserer Gesellschaft zu begegnen. Es bedarf einer grundlegenden politischen Neuorientierung, deren wesentlicher Punkt eine konsequente Umverteilung vorhandener Ressourcen zu sein hat, etwa durch eine höhere Besteuerung von Kapital und Vermögen.

Franz Nuscheler, emeritierter Professor der Universität Duisburg bringt es in einem Interview über „global governance“ und Wege aus der weltweiten Armut auf den wesentlichen Punkt: „Wichtig ist, dass sich die Menschen wehren. In Simbabwe sind die Menschen wählen gegangen, obwohl sie wussten, dass sie ihr Leben riskieren. Diese konterhegemoniale Stoßkraft ist wichtig – in allen Bereichen. Denn ohne Druck von unten ändert sich auch oben nichts. Die Eliten horchen erst dann auf, wenn von der Basis Druck und Widerstand kommt“ (10).

Während Armut steigt, ist gleichzeitig ein regelrechter Boom bei der Einrichtung von Privatstiftungen zu beobachten. 1993 unter dem damaligen SP-Finanzminister Lacina eingeführt, stieg die Anzahl der „Luxusgaragen der Reichen“ von 365 Stiftungen im Jahre 1996 auf 2893 mit Stand Februar 2007 (11). Von den zur Zeit 100 größten Privatunternehmen sind 80 im Besitz von Stiftungen (12), geschätzte 50 bis 60 Milliarden Euro sind auf diese Weise steuerschonend zwischengelagert. Nicht so ernst nehmen es die Unternehmen, wenn es um Steuerleistungen geht. 2006 betrugen die Abgabensäumnisse mehr als 233 Millionen Euro. Inkludiert man die Steuerschulden aus vergangenen Jahren, ergibt sich die stattliche Summe von 1,45 Milliarden Euro Steuerschulden (13).

„Armut hat keinen Platz in einer zivilisierten Gesellschaft“ – so Friedensnobel­preisträger Muhammad Yunus. Auf Gewinnmaximierung und neoliberalen Deregulierungswahn basierende Politik erfordert Widerstand. Bekämpfung von Armut muss frühzeitig beginnen und ist nicht nur eine nationale, sondern selbstverständlich auch eine globale Herausforderung. Die EU hat scheinbar diese Notwendigkeit erkannt, das Jahr 2010 zum „Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ erklärt und Maßnahmen in der „Sozialagenda 2005–2010“ angekündigt. Als thematische Schwerpunkte schlägt die Kommission u.a. die Behandlung der Thematiken integrativer Arbeitsmarkt, eingeschränkter Zugang zur allgemeinen und beruflichen Bildung, Zugang zu Grundversorgun­gsleistungen, Überwindung von Diskriminierungen und Förderung der Integration von Zuwanderern sowie die Eingliederung ethnischer Minderheiten in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt sowie das Eingehen auf die Bedürfnisse behinderter Menschen und sonstiger gefärdeter Gruppen vor. So weit so gut. Die im gleichen Papier vorgeschlagenen Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene zur Umsetzung dieser Ziele offenbaren, dass die Kapital- und Antisozialgeme­inschaft EU nicht wirklich Interesse besitzt, das Übel ernsthaft an der Wurzel zu packen, nein, es genügen nach Ansicht der EU-Bürokraten offensichtlich Zusammenkünfte, Veranstaltungen und Seminare, Informations-, Werbe- und Aufklärungskam­pagnen, Fortbildungsan­gebote an Multiplikator/innen (Medien, NGO-Vertreter/innen, Sozialpartner etc.) sowie Umfragen und Studien (14).

Die gegenwärtige zunehmend prekäre und aussichtslose Situation abertausender Menschen fordert ein generelles Umdenken in der Politik, national und international. Nicht eine Wende, sondern vielmehr ein „Aufbruch“ scheint das Gebot der Stunde. Ein Aufbruch in eine Gesellschaft, in der eine wirkliche Sozialpolitik im Vordergrund steht, ein Aufbruch in eine Gesellschaft, die sich entschieden gegen antiemanzipato­rische und rechtsradikale Kräfte stellt, aber auch ein Aufbruch neoliberaler Gesellschafts- und Wirtschaftsden­kmuster, die sich vorrangig dem Profitgewinn widmen und dabei die alltäglichen Sorgen und Ängste der Menschen bewusst negiert.

–––––––––––––­––––––––––––––––––––––––­–––––––––––––––––

(1) stern.de, 4.5.2005

(2) zeit online, 18.6.2008

(3) Pressetext Austria, 14.3.2006

(4) Statistik Austria, 4.5.2007

(5) Vorarlberg Online, 22.7.2005

(6) Kleine Zeitung, 16.7.2008

(7) www.privatkonkurs.at

(8) Kurier, 12.6.2008

(9) Institut für Höhere Studien, Referat zu den Grundlagen des Sozialstaates

(10) derstandard.at, 12.7.2008

(11) Stiftungen in Österreich, www.ngo.at

(12) Österreich Stifungs-reich, www.die-stiftung.de

(13) Salzburger Nachrichten, Steuerschulden der Unternehmer, 15.5.2007

(14) Bundesministerium für Soziales und Konsumentenschutz

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