Offener Brief
Von Agenda Asyl (2.4.2011)
an die Mitglieder des Ausschusses für innere Angelegenheiten zum
geplanten Fremdenrechtspaket, Wien, am 31. März 2011
Sehr geehrte Mitglieder des Ausschusses für innere Angelegenheiten,
Die geplanten Änderungen im Asyl- und Fremdenrecht erscheinen uns in
mehrfacher Hinsicht problematisch und kontraproduktiv. Als Organisationen, die
aus der täglichen Praxis wissen, wie fremdenrechtliche Bestimmungen auf die
Betroffenen und auf unsere Gesellschaft als Ganzes wirken, ist es uns daher
wichtig, Sie darauf hinzuweisen, dass einige der geplante Änderungen
schwerwiegende soziale und menschrechtliche Probleme mit sich bringen
werden.
Das Fremdenrechtspaket in seiner derzeit vorgesehenen Form wird noch viel
stärker als die bisher gültigen gesetzlichen Regelungen dazu beitragen, dass
fremdenrechtliche Härtefälle zum Regelfall werden. Während es nur einige
wenige Verbesserungen gibt, werden viele der geplanten Bestimmungen im
Asylbereich europa- und menschenrechtlichen Standards nicht gerecht. Im
folgenden eine Auflistung jener Punkte, die uns am gravierendsten
erscheinen:
- Die geplanten 5 bis 7 Tage Lagerhaft für neu ankommende Flüchtlinge
wären ein markanter menschenrechtlicher Rückschritt, weil das Recht auf
Freiheit und Menschenwürde ohne erkennbare Notwendigkeit oder individuelle
Prüfung eingeschränkt würden. Zudem würden die Betroffenen durch die
Internierungssituation einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt und könnten
Rechte wie beispielsweise Kontakt mit Familienangehörigen oder
Rechtsbeiständen nicht wahrnehmen oder eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Wer
die Erstaufnahmestelle verlässt, kommt in Schubhaft, wodurch deutlich wird,
dass die Mitwirkungspflicht nichts anderes als Freiheitsentzug ist.
- Die Regierungsvorlage beinhaltet unverständlicherweise eine Ausweitung
der Schubhaftzeiten. Es ist vorgesehen, dass die Regelschubhaftdauer von 2 auf
4 Monate verdoppelt wird und Menschen maximal 10 Monate innerhalb von 18
(statt bisher 24) Monaten eingesperrt werden können (selbst wenn sie das Fehlen
der Ausreisepapiere nicht zu verantworten haben). Kinder, insbesondere
Jugendliche, werden trotz zahlreicher Empfehlungen internationaler Gremien nicht
ausreichend von Haft verschont. Andere europäische Länder (z.B. Frankreich,
Niederlande, Spanien) machen hingegen vor, dass es mit viel weniger Schubhaft
geht. Und der österreichische Menschenrechtsbeirat hat erst kürzlich wieder
die Tatsache angeprangert, dass Schubhaft weit schwierigere Haftbedingungen mit
sich bringt als reguläre Strafhaft. Für die Betroffenen, insbesondere für
Minderjährige, bedeutet das enormen Stress und psychische Belastung. Mit der
geplanten Ausweitung der Schubhaft würde vermeidbares psychisches und
physisches Leid produziert werden.
- Die Sprachkenntnisse von Menschen sollen gefördert werden, aber die nun
vorgesehenen verschärften Sprach-Knock-out-Kriterien sind höchst
kontraproduktiv. Denn wenn durch harte Knock-out-Bestimmungen
Familienzusammenführungen erschwert oder gar gänzlich blockiert werden und
die Aufenthaltssicherheit von zugewanderten Menschen verringert wird, dann
beeinträchtigt das die gesellschaftliche Integration. Darüber hinaus ist durch
die geplanten Hürden, an denen nach Ansicht von Sprachwissenschafter/innen
und Praktiker/innen viele Menschen auch bei größter Anstrengung scheitern
werden, eine hohe Anzahl an Härtefällen vorprogrammiert.
- Dass bereits für geringe Verwaltungsübertretungen mehrjährige
Aufenthalts- und Rückkehrverbote erlassen werden sollen, steht im krassen
Widerspruch zum Prinzip der rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeit. Erst
kürzlich hat der Verfassungsgerichtshof dazu ein richtungsweisendes
Erkenntnis erlassen. Rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit muss gewahrt
bleiben und es muss verhindert werden, dass Menschen wegen kleiner Delikte und
Verwaltungsübertretungen (etwa der Verletzung der Gebietsbeschränkung) mit
für sie katastrophalen Konsequenzen bedroht werden.
- Ein automatisches Einreiseverbot bei Ausweisung/Rückkehrentscheidung ist
nicht EU-rechtskonform. Für alle Fälle einer Rückkehrentscheidung soll in
Österreich künftig ein Verbot der Wiedereinreise für mindestens 18 Monate
gelten. Die EU-Rückführungs-Richtlinie sieht hingegen vor, dass bei
Rückkehrentscheidungen eine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird
nur in speziellen Fällen, wo die unverzügliche Ausreise als erforderlich
angesehen wird oder die Frist zur freiwilligen Ausreise ungenutzt blieb, soll
eine Wiedereinreise nach einer individuellen Prüfung für eine bestimmte Dauer
unterbunden werden. Durch die in der Regierungsvorlage vorgesehenen restriktiven
Regelungen könnten Betroffene von ihnen zustehenden Rechten ausgeschlossen
werden. Subsidiär Schutzberechtigte werden künftig auf unbestimmte Dauer die
Folgen eines Rückkehrverbots zu tragen haben, da die gesetzten Fristen erst mit
der Ausreise zu laufen beginnen (und zu einer solchen Ausreise sind subsidiär
Schutzberechtigte in der Regel nicht in der Lage). Auch die Möglichkeit der
Aufhebung wegen Entfall der Gründe, die zur Erlassung geführt haben, kann in
der Praxis kaum Relevanz entfalten, well bei den vorgesehenen
Verwaltungsübertretungen (Straßenverkehrsordnung, Meldegesetz,
Grenzkontrollgesetz, Gebietsbeschränkung, etc.) keine Tilgung erfolgt.
Diese Sanktionen dürften sich daher als unverhältnismäßig erweisen.
- Für einen Antrag auf Verlängerung der Ausreisefrist nach negativem
Abschluss des Asylverfahrens wird eine unangemessen kurze Frist von nur drei
Tagen nach der Entscheidung eingeräumt, sodass Betroffene kaum von dieser
Fristerstreckung werden profitieren können. Zusätzliche Hürden sind das
persönliche Einbringen bei der Behörde, der Nachweis der besonderen Umstände
sowie die Bekanntgabe des Ausreisetermins.
- Weiters sieht die Regierungsvorlage vor, dass die Polizei ohne
Durchsuchungsbefehl Gebäude, Fahrzeuge, Wohnungen betreten und neuerdings auch
durchsuchen darf, wenn der Verdacht besteht, dass sich eine einzige (!) nicht
legal aufhältige Person dort aufhält. Bis jetzt lag die gesetzliche
Mindestzahl bei 5 Personen. Mit der nun geplanten Regelung wird der Schutz des
Privatleben de facto ausgehebelt und willkürlichem Behördenhandeln im wahrsten
Sinne des Wortes Tür und Tor geöffnet.
- Das neue, grundsätzlich als positiv zu begrüßende System der
Rechtsberatung wird durch einige Unklarheiten und Einschränkungen relativiert.
Durch bescheidene Qualifikationsansprüche an Rechtsberater/innen, die
Schwächung der Rechtsberatung im zugelassenen Verfahren (kann
eingerichtet
werden) und durch Fragen der Auswahl, Unabhängigkeit, Vertraulichkeit und
Objektivität besteht die Gefahr, dass der EU-Richtlinie nicht vollends Rechnung
getragen wird. Rechtsberater/innen sollten die Interessen ihrer KlientInnen
wahrnehmen, sind aber in der Regierungsvorlage zur Objektivität anstatt zur
Vertretung der Interessen der Asylsuchenden verpflichtet. Anstatt eine
Verschwiegenheitspflicht vorzusehen, sollen Rechtsberater/innen der
Amtsverschwiegenheit unterliegen, wodurch keine Verschwiegenheitspflicht
gegenüber den Behörden besteht.
- Die Chance, eine klare, übersichtliche und rechtsstaatliche Lösung für
Bleiberechtsfälle zu finden, bleibt in der Regierungsvorlage ungenutzt. Es
bleibt weiterhin unklar, welche Behörde in Bleiberechtsfragen das letzte Wort
hat. Des weiteren steht der Stichtag für Altfallregelung immer noch mit
2004 festgeschrieben, sodass anstatt der ursprünglich 5 Jahre ein
überwiegend rechtmäßiger Aufenthalt von derzeit 7 Jahren vorausgesetzt wird.
Das aktuelle Judikat des Verfassungsgerichtshofs zu einer rechtsstaatlich
korrekten Erledigung eines Bleiberechtsantrages wäre zudem umzusetzen. Es
zeigt einmal mehr, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlichen Bedenken
grundsätzlich mehr Beachtung schenken sollte.
- Inländerdiskriminierung gegenüber EWR-BürgerInnen bleibt unangetastet.
Der EuGH hat in einer Entscheidung vom 8.3.2011 klargestellt, dass auch
Staatsangehörige von Mitgliedsstaaten, die an sich kein
grenzüberschreitendes Moment verwirklicht bzw. von ihren Rechte auf
Freizügigkeit nicht Gebrauch gemacht haben, Unionsbürger/innen sind, und als
solche auch die Rechte von Unionsbürger/innen genießen. Konkret geht es darum,
dass Drittstaatsangehörige von Unionsbürger/innen zu Aufenthalt im Inland
berechtigt sind, und auch zum Arbeitsmarkt zugelassen werden müssten. Es bietet
sich auch hier die Gelegenheit, das Gesetz zu reparieren noch bevor es in
Kraft tritt.
Wir bitten Sie, sich mit allen von uns genannten Punkte eingehend zu befassen
und sich die Konsequenzen für die Betroffenen, aber auch für den Rechtsstaat
und unserer Gesellschaft als Ganzes vor Augen zu halten. Denn in seiner
derzeitigen Form wird das geplante Fremdenrechtspaket nicht nur zu massiven
Verschlechterungen für die unmittelbar Betroffenen führen, sondern auch
wichtige rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien beeinträchtigen,
ebenso wie das Zusammenleben der Menschen in Österreich.
Deshalb möchten wir Sie dazu aufrufen, der Regierungsvorlage in seiner
jetzigen Form nicht Ihre Zustimmung zu geben, sondern anstatt dessen auf einen
konstruktiven, stabilisierenden, fairen und menschlichen Umgang mit
Asylsuchenden und MigrantInnen hinzuarbeiten und bei der Schaffung neuer Gesetze
der Wahrung rechtsstaatlicher und menschenrechtlicher Prinzipien höchste
Priorität zu geben.
Für weitere Informationen und Gespräche stehen wir Ihnen sehr gerne zur
Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Agenda Asyl
Für Rückfragen kontaktieren Sie bitte:
Alexander Pollak, apo@sosmitmensch.at
Andrea Eraslan.Weninger, a.eraslan-weninger@integrationshaus.at
Anny Knapp, knapp@asyl.at
Christoph Riedl, christoph.riedl@diakonie.at
Verena Fabris, verena.fabris@volkshilfe.at