KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Das „heiße Eisen“ ELGA: Elektronische Gesundheitsakte

Von Dr. Rudolf Gabriel (15.11.2012)

In den letzten 30 Jahren ist es im Gesundheitssystem zu einer sprunghaften Vermehrung von Datenspeicherung und Datenversand im Gesundheitssystem gekommen.

Ausgehen von Vorgaben auf europäischer Ebene wurde in Österreich zirka seit dem Jahr 2000 an rechtlichen Grundlagen und dem Aufbau tauglicher technischer Hilfsmittel zur Verwendung personenbezogener Gesundheitsdaten im Informatikbereich gearbeitet.

Zunächst war hauptsächlich die gesicherte Befundübermittlung im Zentrum der Planungen, mit der Zeit weiteten die Verantwortlichen die Konzeptionen bis zum Projekt eines umfassenden Elektronischen Gesundheitsakts (ELGA) aus.

2005 trat das Gesundheits-Telematikgesetz in Kraft um der (gesicherten) Befundübermittlung von medizinischen Daten eine rechtliche Grundlage zu geben, dessen konsequente Umsetzung jedoch wurde auf Grund zahlreicher Verordnungen mehrerer Minister immer wieder verhindert beziehungsweise ignoriert.

Die im Gesundheitsmi­nisterium angesiedelte Bundesgesundhe­itskommission, in der VertreterInnen von Bund, Ländern und Gemeinden, der Sozialversiche­rungen, konfessioneller Krankenanstalten, PatientInnenver­tretungen und der Ärztekammer sitzen, gründete im September 2006 die „ARGE ELGA“ mit dem Zweck „im Rahmen eines Multiprojektma­nagements die Entwicklung und Vernetzung bestehender und zukünftiger elektronischer Informations- und Dokumentation­ssysteme im Österreichischen Gesundheitswesen voranzutreiben.“ Zudem wurden Machbarkeitsstudien beauftragt, daneben arbeitete sich die österreichische Datenschutzkom­mission am Thema ab und erstellte Berichte.

Die ARGE ELGA wurde dann 2009 in eine ELGA GmbH umgewandelt und mit einen Kapital von 600.000 Euro ausgestattet. Nebenbei wurde jedoch – auch wegen dem immer prominenter vorgetragenen Einwände von Ärztekammer und Datenschutzor­ganisationen – 2010 die vollständige Umsetzung der Sicherheitsmaßnah­men bezüglich Datenverkehr im Gesundheitsbereich per Initiativantrag der Regierungsparteien auf unbestimmte Zeit – bis zum Inkrafttreten eines ELGA-Gesetzes – verschoben. Rührige Ministerialbeamte arbeiteten unermüdlich weiter und ermöglichten dem Gesundheitsmi­nisterium nunmehr einen Gesetzesentwurf zum ELGA Gesetz, das nunmehr im Parlament beschlossen wurde.

Was steht nun im Gesetzentwurf?

Es besteht – über die bisherige allgemeine Dokumentation­spflichten hinaus – mit dem Wirksamwerden des ELGA-Gesetzes die Pflicht, dass von im Gesetz definierten ELGA-Gesundheitsdi­enstanbietern von jedem Menschen ab 14 Jahre, der mittels seiner e-card, einer Bürgerkarte oder im Rahmen eines Spitalsaufenthaltes über das Krankenhausver­waltungssystem eindeutig identifiziert werden kann, standardisierte Befunde im Sinne der Verwendbarkeit im ELGA-System abgespeichert werden.

Wichtig ist, dass keine Verpflichtung bestehen wird, diese generierten Daten in verschlüsselter Form abzuspeichern, sondern Datenverweisre­gistersysteme errichtet werden, die nach entsprechendem Authentifizie­rungsprocedere ausgelesen werden und den Befundermittler zu den dezentral abgelegten Daten führt. Medikationsdaten werden zentral gespeichert und entsprechende elektronische Verweise angelegt. Diese gespeicherten ELGA Daten sind für einen definierten Personenkreis technisch einsehbar, wobei dem/der ELGA TeilnehmerIn (BürgerIn) Rechte einzuräumen sind, in einem Gewissen Rahmen seine/ihre Daten (über online Portal oder über einzurichtende ELGA Ombudsstellen per Post) zu verwalten.

Für Krankenanstalten ist dies ab 1. 1. 2015, für niedergelassene Kassen-VertragsärztInnen und Apotheken ab Mitte 2016 vorgesehen, weitere Zeitpläne für den Ausbau sind im Gesetz festgeschrieben.

Nach zähen Verhandlungen zwischen VertreterInnen der Ärzteschaft und dem Gesundheitsminister kam es doch zum Handshake zwischen Minister Stöger und Nationalrats Abgeordnetem Rasinger, weil von einer Verpflichtung zur Verwendung und Ermittlung von Gesundheitsdaten Abstand genommen und somit die Verpflichtung zur Mitarbeit der Ärzteschaft aufgeweicht wurde. Wobei allerdings von Patientenanwalt Bachinger die Verschuldensfrage bei Schadensfällen durch Fehlbehandlungen aufgeworfen wurde, die durch das „Ignorieren und nicht einsehen“ von, für den Fall relevanten Gesundheitsdaten, verursacht wurden.

Eindeutig ist im ELGA Gesetz festgehalten, dass bei Gefahr in Verzug keinerlei Verpflichtung besteht auf das Informationssystem ELGA zuzugreifen. Somit kann sich der/die PatientIn darauf verlassen, dass durch das Unterlassen von Kramen im elektronischen Befundkasten ELGA wichtige Sofortmassnahmen im Bezug auf Akut- Diagnostik und Behandlung nicht verzögert sondern rechtzeitig durchgeführt werden.

Opt Out-Regelung

Im ELGA-Gesetz ist ein Opt-Out vorgesehen, PatientInnen können also ab 1. 1. 2014 bestimmen ob sie überhaupt oder nur teilweise, etwa nur für e-Medikation, an ELGA teilnehmen wollen. Ein solcher Widerspruch kann elektronisch über das ELGA-Portal <http://www.gesundheit.gv.at _blank> www.gesundheit.gv.at, per Bürgerkarte oder Handysignatur oder schriftlich bei einer der mindestens neun Widerspruchsstellen abgegeben werden. Vom Ministerium ursprünglich geplante Sanktionen gegen einen solchen Widerspruch mussten zurückgezogen werden.

Wer vom generellen Widerspruchsrecht nicht Gebrauch macht, kann über das elektronische Zugangsportal (direkt online) oder von der ELGA-Ombudsstelle (schriftlich) Auskunft über die persönlichen Gesundheitsdaten sowie über die abgespeicherten Protokolldaten erhalten und individuelle Zugriffsberechti­gungen festlegen. Dabei können Verweise zu Gesundheits- und Medikationsdaten im Verweisregister ein- oder ausgeblendet und auch – unter bestimmten Vorraussetzungen – gelöscht werden. Weiters können BürgerInnen die Aufnahme von Medikationsdaten verlangen oder der Aufnahme von Verweisen auf Gesundheits- oder Medikationsdaten für einen speziellen Behandlungsfall oder Betreuungsfall widersprechen. Gesundheitsdi­enstanbieter des besonderen Vertrauens können benannt werden, ein selektiver Ausschluss von einzelnen Gesundheitsdi­enstanbietern (z.B. psychiatrische Gesundheitsdi­enstanbeiter) ist nicht vorgesehen.

Umstrittene e-Medikation

Umstritten war die e-Medikation, zumal die ELGA-BefürworterInnen die Verbesserung der PatientInnensicher­heit in Aussicht gestellt haben, wenn durch den Betrieb einer zentralen Medikationsda­tenspeicherung aller Medikamente, die von Krankenanstalten, Ärztinnen und Apotheken an PatientInnen ausgegeben werden, vom ELGA-System auch die möglichen Wechselwirkungen analysiert beziehungsweise aufgedeckt werden könnten.

Dazu wurden zwei Projekte zur Evaluierung innerhalb von ELGA gestartet. Das „Pilotprojekt e-Medikation“ beinhaltete eine Wechselwirkun­gsprüfsoftware, die jedoch bei 18.310 Verordnungen 15.570 Warnmel­dungen feststellte, sodass die in die ELGA-Verhandlungen einbezogenen ÄrztInnen diese e-Medikation als untauglich für den Praxisbetrieb ablehnten.

Somit wurde die Wechselwirkun­gsprüfung nicht übernommen und im Gesetzesentwurf steht lapidar: „Die Prüfung von Wechselwirkungen erfolgt in der Eigenverantwortung der ELGA Gesundheitsanbieter und ist nicht Gegenstand des Informationssys­tems.“ In Zukunft werden zwar alle Medikationsdaten zentral gespeichert. Der in Aussicht gestellte große Benefit, die Steigerung der PatientInnensicher­heit durch zentrale Wechselwirkun­gsprüfung, wurde jedoch von den BetreiberInnen von ELGA fallen gelassen.

Umstrittene Kostenfrage

Gerade die Kostenfrage hat bis zuletzt zu großen Auseinanderset­zungen zwischen BetreiberInnen und GegnerInnen von ELGA geführt. Die Ärztekammer hat eigene Zahlenwerke publiziert, welche die Schätzungen des Gesundheitsmi­nisteriums um ein vielfaches übertreffen und immer wieder darauf hingewiesen, dass in anderen Ländern (Großbritannien, Deutschland, Tschechien, Niederlande) die Umsetzung solcher Projekte wegen explodierender Kosten gestoppt wurden.

Die vom Ministerium berechneten Einsparungspo­tenziale sind selbst für ExpertInnen nicht nachvollziehbar – nicht zuletzt deshalb, weil wegen der Opt-Out Regelung nicht mit einer fixen TeilnehmerInnen­größe gerechnet werden kann. Die KritikerInnen der Kosten befürchten, dass der Kostenfaktor ELGA das ohnehin angespannte Gesundheitsbudget und die Budgets der umlagefinanzierten Krankenkassen weiter unter Druck setzen wird und dem im Gesetz genannten Zweck (Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit) entgegenwirken wir­d.

Wenn jetzt von Minister Stöger eine Anschubfinanzierung von 40 Millionen Euro in Aussicht gestellt wurde, wobei 15 Milionen Euro allein für Hard- und Software Komponenten für ELGA/e-Medikations-Tools an die Gesundheitsdi­enstanbieterIn­nen bereitgestellt werden, so ist an dieser Stelle eindeutig festzuhalten, dass mit der Etablierung von ELGA weit über notwendige Modernisierun­gsschritte, im Sinne eines gesicherten Datentransfers im Gesundheitssystem, hinausgegangen wird. Es gibt bereits jetzt in einzelnen Bereichen gesicherten und verschlüsselten Datentransfer und die Verrechnungsdaten der einzelnen Gesundheitsdi­enstanbieter, Krankenanstalten und Institute mit den Kassen werden durchaus einer permanenten ökonomischen Analyse unterzogen.

Die konsequente Umsetzung des Gesundheits-Telematikgesetzes im Sinne der PatientInnen-Datensicherheit erfordert definitiv nicht den jetzt angestrebten Vollausbau von ELGA in der geplanten Form, zu enormen Kosten.

Resumee oder Wem nutzt ELGA?

Im Gesetzesentwurf wird immer wieder auf ein massives öffentliches Interesse an der Nutzung von ELGA hingewiesen, dabei wird mit der „Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen Gesundheitsver­sorgung“ argumentiert. Es wurden in den letzten Jahren immer wieder Untersuchungen präsentiert, die Österreich ein hochwertiges Gesundheitssystem attestierten. Da fragt sich schon, wie war dies bis jetzt ohne ELGA möglich?

Es ist jedenfalls zu kritisieren, dass in der öffentlichen Diskussion die Interessen der betreibenden Systempartner (Bund, Länder, öffentliche Krankenversiche­rungen) an ELGA nicht wirklich transparent und klar ausgesprochen wurden und werden.

Die ELGA-SystempartnerInnen werden über Pseudo-Anonymisierun­gsschritte sämtliche vorliegenden Daten für eine ökonomische Analyse aufbereiten. Dies ist grundsätzlich begrüßenswert; es wird spannend werden, ob das gewonnene Wissen eher zu Leistungseinschränkun­gen führen wird oder ob durch ELGA fundiert erhobene Daten zur Absicherung und zum strukturellen Ausbau einer allgemein zugänglichen und Umlage-finanzierten Gesundheitsver­sorgung dienen werden.

Zur Stärkung der PatientInnenrechte, insbesondere der Informationsrechte und dem Rechtsschutz bei Verwendung personenbezogener Daten, sind die speziellen Anmerkungen zu ELGA von Hans Zeger (ARGE Daten) bemerkenswert.

Es wird von den BefürworterInnen von ELGA erhofft, dass durch die lückenlose Dokumentation, insbesondere von Röntgenbefunden, unnötige – für Patienten durchaus belastende – Mehrfach-Befunde reduziert werden könnten. Es ist zu bezweifeln, dass die zuweisenden ÄrztInnen maßgeblich dahingehend beeinflusst werden von der derzeitigen Praxis abzugehen, vor allem, wenn nun die Einsichtnahme in die ELGA-Daten nicht verpflichtend geregelt ist. Sowohl im Krankenhaus als auch in den Ordinationen werden die ÄrztInnen weiterhin jene Befunde neu erheben, welche sie für den jeweiligen Fall für sinnvoll erachten, ohne vorher zeitraubend in einem elektronischen Befundkasten zu kramen.

Papierbefunde, den Patienten persönlich ausgehändigt, werden nach wie vor im Bedarfsfall die schnell einsehbaren Informationsträger sein, die von den PatientInnen durchaus gut und verantwortungsvoll in eigener Regie verwaltet werden.

Ausblick – Start von ELGA in der Praxis

Aus der Sicht des Arztes, der laut Gesetzesentwurf die Verpflichtung hat PatientInnen über ihre Rechte im Zusammenhang mit ELGA zu beraten, ist folgendes zu erwarten: Wenn bis Ende 2013 keine breit angelegte Informationskam­pagne über das Widerspruchsrecht bei ELGA erfolgt, wird das bei vielen BürgerInnen zu einer Verunsicherung führen und vor allem in den Hausarztordina­tionen viele Fragen an die ÄrztInnen aufwerfen. Derzeit sind bezüglich der Widerspruchsrechte nur gesetzliche Rahmenbedingungen vorgesehen. So wird vom Gesetzgeber lediglich verlangt ein formloses Aufklärungsblatt über das Widerspruchsrecht in den Ordinationen leserlich zugänglich zu machen. Da stellt sich die Frage, wie weit von den Gesundheitsdi­enstanbietern – unter Zeitdruck – dann tatsächlich eine persönliche Aufklärung durchgeführt werden wird. Die tatsächliche Umsetzung beziehungsweise Programmierung der Portale steht noch aus und muss bis 31. 12. 2013 erfolgen.

Eine generelle Empfehlung für ein absolutes Opt-Out ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll und es steht zu hoffen, dass für BürgerInnen, die eine intelligente Form des selektiven Opt-Out wünschen, diese auch umsetzbar wird.

Es werden jedoch schlecht aufgeklärte und verunsicherte Menschen zunächst eher ein generelles Opt-Out in Anspruch nehmen und die Entwicklung weiter beobachten. Es besteht ja jederzeit die Möglichkeit das Opt-Out rückgängig zu machen, um dann an ELGA teilzunehmen.

Der Autor, Dr. Gabriel Rudolf, ist Arzt in Eisenstadt

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