KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Prekäre Arbeitsverhältnisse – ein Frauenproblem?

Von Heidi Ambrosch (22.2.2007)

5 thesenhafte Anmerkungen und die Frage was tun?

Der VEREIN ÖSTERREICHISCHER JURISTINNEN lud ein zur Informations- und Diskussionsve­ranstaltung. Heidi Ambrosch hielt einen Beitrag, in dem sie einlud, gemeinsam neue Orte des Austauschs und Handelns zu schaffen.

1. These

Prekäre Arbeitsverhältnisse sind ein globales Problem. Sie treffen Frauen quantitativ und qualitativ anders als Männer in einer patriarchalen Welt, die Frauen zwei Drittel der gesellschaftlich notwendigen Arbeit aufbürdet, ihnen aber weltweit nur 10% der Einkommen zugesteht. In unserer Diskussion müssen wir im Hinterkopf haben, dass unsere sogenannten Wohlstandsjahre international gesehen eher die Ausnahme als die Regel waren. Zukunftsweisende Fragen wie der nach einer Neuauf- und Umverteilung von Arbeit und Reichtum müssen grenzüberschreitend gedacht werden, gerade auch im Hinblick auf die Migration.

2.These

Prekäre Arbeitsverhältnisse waren ein nicht beachtetes Frauenproblem – auch eines von Kunst- und Kulturschaffenden in der ganzen Nachkriegszeit – denn prekäre Arbeitsverhältnisse hatten viele Frauen auch in Wohlstandszeiten – hin- und hergeschoben als industrielle Reservearmee, durch die unbezahlte aufgebürdete Haus- und Familienarbeit, im Kreislauf der Windeln von der Säuglings- bis zur Altenpflege – durch die dadurch erzwungene, aber aufgrund der Doppel- und Dreifachbelastungen auch erwünschte Teilzeitarbeit verbunden mit einer sich über ein ganzes Jahrhundert haltenden Lohn- und Einkommensschere und vielfacher Altersarmut. Arbeit auf Abruf war für Frauen schon Realität, als von Prekarisierung noch keine Rede war. Zum Thema ist es geworden, weil es längst auch die Männerarbeitswelt betrifft bzw. weit in die Mittelschichten reicht.

3. These

Sowohl die Gewerkschaftsbe­wegung als auch die Sozialdemokratie und die „Linke“ setzt zum großen Teil bis in die Gegenwart an einem überholten Arbeitsbegriff an, samt der dazugehörenden Arbeitenden und ignoriert weitgehend die Erschütterungen, die das dazugehörende Ernährermodell der bürgerlichen Familie betrifft ebenso, wie die sich rasant ändernden Arbeitsinhalte und -felder.

Nicht entlohnte – gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten zur Reproduktion der individuellen menschlichen Persönlichkeit und Arbeitskraft – Hausarbeit und Kinderbetreuung, kulturelle und künstlerische Betätigung aller Art, Tätigkeiten zur geistigen Aneignung der Welt, Tätigkeiten zur Veränderung menschlicher Beziehungen und schließlich auch Tätigkeiten zur Selbstfindung werden nicht als Arbeit begriffen. Die Konsequenzen sind weitreichend:

Es kann so der Eindruck vermittelt werden, die Arbeit gehe uns aus; es kann so relativ reibungslos soziale Verantwortung reprivatisiert werden, indem man entweder in die alte Kiste “Hoch lebe die Familie” greift oder auch neue Slogans kreiert, wie Elternschaftsver­träge a la sozialdemokra­tischer Neoliberalismus.

Und immer insbesondere in Vorwahlzeiten die wiederholte Leier von der Vereinbarkeit von Berufs- und Familienarbeit, die ermöglicht werden soll? Wo als Forderungen noch mehr Teilzeitarbeit und Kinderbetreuun­gsplätze übrig bleiben, während materiell gesehen kaum mehr ein Vollzeiteinkommen reicht, um eine Familie zu ernähren, jede 2. Ehe geschieden wird. Während Sozial- und Bildungsausgaben gekürzt werden und noch mehr unbezahlte Arbeit privatisiert wird.

4. und Kern-These

Prekarisierung ist ein wesentlicher Teil neoliberaler Politik und konzerngesteuerter Strategie.

Prekarisierung ist die Zurichtung von Märkten und Menschen für den globalisierten Kapitalismus.

Das Ziel sind deregulierte Erwerbsmärkte mit flexibilisierter verbilligter Lohnarbeit und die Entkoppelung von sozialer Sicherheit von Lohnarbeit. Damit geht einher der Abbau und die Privatisierung wohlfahrtssta­atlicher Leistungen. Jedes Lebensrisiko wird individualisiert und privatisiert, von der Zusatzversicherung im Krankheitsfall, zur Pensionsvorsorge, zur Pflegevorsorge.

Prekarisierung und Individualisierung gehören zusammen: jeder und jede einzelne ist ihres Glückes Schmiedin. Diese Gleichzeitigkeit von ungeschützter, kurzfristiger, nicht-existenzsichernder Beschäftigung oder temporärer Erwerbslosigkeit und die Segmentierung oder der Zerfall sozialer Rückfallpositionen, Auffangnetze und öffentlicher Güter erzeugen Verunsicherung und Vereinzelung und genau das wird als dritte Komponente gewünscht. die Disziplinierung der Menschen hin zur „Ich-AG“-Stichworte „Eigenverantwor­tung“ und Selbstmanagement.

Jede/r Beschäftigte wird zur/m potenziellen Erwerbslosen, die/der über kurz oder lang mit massiven Einkommensein­brüchen, mit der Prekarisierung ihrer/seiner Lebensverhältnisse zu rechnen hat. Allein das Wissen um diese Perspektive löst Verunsicherung aus und verändert Lebensplanungen.

5. These

Prekarisierung bedeutet Individualisierung und Konkurrenz, mangelnde Ressourcen wie Zeit oder Geld, Scham und vor allem auch das Fehlen gemeinsamer Orte jenseits der traditionellen Räume kollektiver Interessensver­tretung. Einerseits gleicht sich die Situation der Entsicherung von Arbeit und Leben für immer mehr Menschen an. Andererseits wird sie aber von jedem und jeder anders wahrgenommen. Gefühle der Wut und der Ohnmacht ebenso wie die Bewältigungsstra­tegien verbleiben auf der individuellen Ebene. Sie werden in den Generationen anders wahrgenommen. Vielfach können und fangen Eltern und Großeltern durch Erspartes soziale Härten ihrer Kinder ab. Die jüngere Generation kennt für die eigene Perspektive nur die neue vielfach projektbezogene Arbeitswelt, die im Gegensatz zum 9 to 5 job auf lebenslang der vielleicht bereits ausgemergelten und lustlosen Elterngeneration ja auch Reize bietet. In der Arbeit am Sprung zur Karriere ist die gläserne Decke kein Thema, sofern man überhaupt davon weiß. Sofern Kinder angedacht sind, werden sie doch auf später verschoben. Und an die Pension haben wir mit 20 auch nicht gedacht gedacht.

Der konservative Ruf „Mut zur Familie“ oder „mehr Kinder, statt Partys“ (ÖVP) bleibt unerhört. Die bevölkerungspo­litische Maßnahme, das Kindergeld hat nicht zur erhöhten Geburtenrate geführt. Es kann nicht funktionieren, weil die „heilige Familie“ – alleinverdienender Ernähermann mit dazugehörender Hausfrau und 2–3 Kinder – ein Auslaufmodell ist, nicht nur in ökonomischer Hinsicht. Auch wenn junge Frauen von der Kleinfamilie träumen (sternschnuppen), suchen sie dennoch auch ihren Weg in die Berufstätigkeit. Sich für ein Kind zu entschließen, ist letztlich auch ein Lebensgefühl. Es ist heute nicht chic, mit Kindern zu leben. Die erstrebenswerten Freiheiten heißen Konsum, Mobilität, Genuss, Lifestyle, Wellness – und da stören Kinder nur.

Die Marktlücke Mutter muss erst wieder ideologisch neu belebt werden, denn Kinder sind ein Wettbewerbsnachteil in einer Konkurrenzgese­llschaft, in der Geiz geil ist. Das ist das ideologische Dilemma der Konservativen.

Die Abwehr von „Überfremdung“ und die Anrufung weiblicher Uraufgaben sind zwei Seiten einer Medaille. "Mehr Kinder statt Inder“

6. Was tun?

Elfriede Hammerl schrieb in einem „profil“-Kommentar (3.4.2006): „Den Fortbestand des sozialen Netzes sichern nicht viele Nachkommen, sondern das gemeinsam Erwirtschaftete und wie es verteilt wird. Warum debattieren wir nicht über die Möglichkeiten des Erwirtschafteten und über Verteilungsge­rechtigkeit, statt von der Wunderwirkung der Blutsbande zu fantasieren?“

Richtungen deuten sich an, aber vor allem Fragen:

Wie können wir das Soziale und die Solidarität neu erfinden und konstruieren? Wie lassen sich Arbeits- und Lebensverhältnisse demokratisieren bzw. wieder aneignen, auch jenseits des Lohnarbeitskon­zepts? Wo sind die emanzipatorischen Ansatzpunkte, dass sich Prekarität positiv als Befreiung von Arbeitszwang und fremdbestimmter Lohnarbeit wenden lässt?

Es gibt kein universelles Rezept in die richtige Richtung und kann es auch nicht geben, sondern ein je lokal spezifisch sortiertes Paket von Bauelementen, die m.E. einschließen sollten:

Umverteilung und Neubewertung von bezahlter und unbezahlter Arbeit im Rahmen geschlechtsspe­zifischer und internationaler Arbeitsteilung.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen als Voraussetzung dafür, dass Arbeit, soziale Sicherheit und Überleben jenseits des Lohnarbeitsver­hältnisses möglich werden ein bedingungsloses Recht auf Rechte jenseits von Staatsbürgerlichke­it.

Mehr denn je muss Arbeit und Leben zusammengedacht werden, um Handlungsorien­tierungen zu entwickeln, was ist für uns ein “erfülltes Leben”?

Gefragt sind neue Orte, die es zu schaffen gilt. Soziale Zentren, in den arbeitslose, prekär Beschäftigte sich austauschen und gegenseitig stärken, Kontakte vermitteln und Netzwerke aufbauen können.

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