KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Heidi Ambrosch: Bildung braucht Demokratie

(16.10.2012)

Input für den Workshop "Bildung und Demokratie" [Download als pdf: hier]

Bildung braucht Demokratie – Demokratie braucht Bildung

(Meine einleitenden thesenartigen Gedanken speisen sich aus einem längeren Beitrag der Soziologin Kornelia Hauser, gehalten im Oktober 2009 beim Momentum-Kongress und den Marxschen Thesen über Feuerbach.)

[Karl Marx: Theses on… Thèses sur… Thesen über Feuerbach

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1. Bildung ist zweierlei: sie ist zugleich Hoffnungsträgerin für emanzipatorische Veränderungen als auch ein Herrschaftsin­strument zur De- bzw. Regulierung neokapitalistischer Verhältnisse. Ausschluss oder Vorenthaltung von Bildung und/oder Halbbildung wie es Adorno beschreibt, ist eine Herrschaftsstra­tegie. Um Bildung in seiner Bedeutung für das Verhältnis von Selbst- und Gesellschaftsverände­rung zu begreifen, braucht es die kritische Reflexion des historisch aufgeladenen Bildungsbegriffes.

2. Die Verallgemeinerung von Bildung, ihre Institutionali­sierung ist an die Entwicklung der Produktivkräfte, des Handels und des Verkehrs gekoppelt, die die Voraussetzung bzw. die Notwendigkeit dieser Prozesse im 18.Jahrhundert erzeugten. (Wie auch die Öffnung der Universitäten in den 70er Jahren des 20.Jahrhunderts nicht nur Resultat der studentischen Kämpfe war, sondern auch Kapitalinteressen entsprach.) Der aufklärerische Staat hatte die gesellschaftlichen Bedürfniszusam­menhänge zu organisieren und nur so wurde es erst möglich, dass Bildung sowohl zu Herrschaftszwecken in dienst genommen werden konnte und kann wie auch als Beweggrund zur systematischen Veränderung der Verhältnisse. (Kant 1784: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.“

3. Die Geschichte der bürgerlichen Bildungstheorie lässt sich als ein Auseinanderfallen von Bildung und Arbeit beschreiben. Auf der Seite der Arbeit findet sich viel Erziehung und die Aneignung von Kompetenzen, auf der Seite der Bildung ein sich mit Kulturelementen füllender Geist, der darin die Fähigkeit zur Leitung erwirbt. Die Bildungsinsti­tutionen im dreigliedrigen Bildungssystem bilden diesen Zustand deutlich ab. Diese „geistig“ verstandene Bildung priviligierte das Bürgertum, indem in dieser Bildung Wirtschaft, Verwaltung und Emanzipation wie auch Kompetenz und Selbstzweck aufgehoben war, während für die arbeitenden Klassen nur die moralische Zurichtung blieb.

4. Dem gegenüber entfaltet Marx einen Bildungsbegriff, der in den Feuerbachthesen ausgezeichnet beschrieben ist. These 3: „Die materialistische Lehre, dass die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergisst, dass die Umstände eben von den Menschen verändert werden und dass der Erzieher selbst erzogen werden muss.“ Und in der 6.Feuerbachthese kommt Marx daher zum Kern eines emanzipatorischen Bildungsbegriffes: „Aber das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse.“ Oder wie es 120 Jahre später Heydorn beschreibt: „Die Natur des Menschen ist jedoch seine Geschichte, es ist kein Rückgriff auf eine andere Natur möglich; innerhalb dieser Geschichte kann er sich als Vernunft auf sich beziehen.“ Marx greift es in den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie wie folgt auf: „So scheint die alte Anschauung, wo der Mensch, in welcher bornierten nationalen, religiösen, politischen Bestimmung auch immer als Zweck der Produktion erscheint, sehr erhaben zu sein gegen die moderne Welt, wo die Produktion als Zweck des Menschen und der Reichtum als Zweck der Produktion erscheint. In fact aber, wenn die bornierte bürgerliche Form abgestreift wird, was ist der Reichtum anderes, als die im universellen Austausch erzeugte Universalität der Bedürfnisse, Fähigkeiten, Genüsse, Produktivkräfte etc. der Individuen? Die volle Entwicklung der Menschen Herrschaft über die Naturkräfte, die der sogenannten Natur sowohl, wie seiner eigenen Natur? Das absolute Herausarbeiten seiner schöpferischen Anlagen, ohne andre Voraussetzung als die vorhergegangene historische Entwicklung, die diese Totalität der Entwicklung, d.h. der Entwicklung aller menschlichen Kräfte als solcher, nicht gemessen an einem vorgegebenen Maßstab, zum Selbstzweck macht? Wo er sich nicht reproduziert in einer Bestimmtheit, sondern seine Totalität produziert? Nicht irgendetwas Gewordenes zu bleiben sucht, sondern in der absoluten Bewegung des Werdens ist?“

5. Im aufgeklärten Bildungsbegriff werden also die Gestaltungs- und Selbstbestimmun­gsmöglichkeiten ebenso gefasst wie die durch Bildungsstrukturen reproduzierte gesellschaftliche Arbeitsteilung, die „Führen und Geführt werden“ vermittelt. Es geht in ihn die Geschichtlichkeit des Menschen als sein einziger Bezugspunkt als auch die durch Bildung verunmöglichte Erkenntnis eben dieses Bezugspunktes mit ein. An der Organisation, an Form und Inhalt, von Bildung lässt sich der Stand einer Gesellschaft fassen, die den Auftrag der Aufklärung zu realisieren hat, dass der Mensch „verdammt“ ist seine Geschichte selbst zu machen, wenn auch nicht aus freien Stücken. Denn, „wenn wir uns nicht selbst befreien, bleibt es für uns ohne folgen“ schrieb Peter Weiss so treffend.

6. Der Umbau der europäischen Universitäten nach dem US-amerikanischen Modell, das einzigartig von Anbeginn den Zusammenhang von Bildung und industrieller Revolution zu organisieren wusste und Bildung als bewegliches Zulieferungssystem organisierte, verändert alles, was seit der Aufklärung mit Bildung in Form und Inhalt gebracht wurde. Die europäische Situation war/ist aber komplizierter: die Strukturen für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum entwickeln sich zwar rasant aber doch auch ungleichzeitig und das Entwicklungsgefälle ist außerordentlich. Die Industriegese­llschaften haben ein Bildungsbürgertum hervorgebracht, das zweckfreie Bildung und gesellschaftlichen Status zusammenband. Daher wird der Implementierung ökonomisch gesteuerter Bildungsverände­rungen, die das staatliche Versprechen unterlaufen, dass den Bildungsprozessen gesellschaftliche Belohnungen (monetär und als Position) folgen werden, mit öffentlichem Zorn begegnet (Education is not for sale). Aber der Neokapitalismus zersetzt nicht nur die wirtschaftliche Situation der Mittelklassen, es ist tatsächlich von einer Proletarisierung zu sprechen, wie heißt es schon so treffend im kommunistischen Manifest: „Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.“ Der Neokapitalismus zerschlägt auch deren Wertgefüge, in dem die Bildung eine entscheidende Relevanz besaß. Bildung wird mittlerweile ganz allgemein als ein „Mittel zum Zweck“ einer verbesserten individuellen ökonomischen Integration gehandelt. Eine Ware. Der Selbstzweck ist ausgelöscht und mehr oder minder zum Vergessen gebracht.

7. Es ist auch heute so, dass die nachwachsenden Generationen „begabter“ sind, als sie noch gestern sein durften. Die PISA-Studien treiben die Einsicht in die Notwendigkeit dieses Prozesses mit an. Jetzt hat es sich die europäische Bildungspolitik zur Aufgabe gemacht, europäisch vergleichbare Verhaltensweisen zu entwickeln, Bildung kommt wesentlich ein integratives Moment zu, das auch vergleichbare Konsumbedürfnisse, produktionskonforme Arbeitseinste­llungen, die bereits während der Schulzeit eingeübt werden sollen, einfassen. Eigeninitiative, Kreativität als Einstellung auf wechselndes (Arbeits-)„Material“ und wechselnde Situationen/Be­dingungen sollen früh entfaltet werden; Formen von Kooperation werden als „team-work“ und Projektgruppen geübt und früh eingesetzt. In Deutschland gibt es Diskussion, den Zeitpunkt der Einschulung vorzuziehen, mit 4 Jahren, die Bildungspflicht zu verkürzen auf 10 Jahre und danach eine 3-jährige Ausbildungspflicht anzuschließen und ein soziales Pflichtjahr für alle, die Schulen auf Ganztagsbetrieb umzustellen und die Schulferien zu verkürzen und die Einphasigkeit aller akademischen Ausbildungsgänge sollen gesetzlich geregelt werden. Zusammen mit zusätzlichen Pflichtinstrumenten zur Beratung, Diagnose, Lenkung und Kontrolle von Lernbiographien ergibt sich ein bisher unbekanntes Netz von Zugriffsformen auf die Individuen. Explizites Ziel ist eine konsequente Arbeits- und Berufsorientierung des Lernens. Das Konzept der Allgemeinbildung soll ersatzlos gestrichen und durch „wissensbasierte, kompetenzorien­tierte und wertverpflichtende Lebenslaufqua­lifikationen ersetzt werden.

8. Der Umbau der Bildungsinsti­tutionen geht einher mit dem Umbau gesellschaftlicher Selbstverhältnisse. Die Anrufung des unternehmerischen Selbst bündelt nicht nur einen Kanon von „Du sollst dieses – Du darfst nicht jenes“-Regeln, sondern definiert auch die Wissensformen, in denen Individuen die Wahrheit über sich erkennen, die Kontrolle und Regulationsmecha­nismen, denen sie ausgesetzt sind, sowie die Praktiken, mit denen sie auf sich selbst einwirken. Der homo oeconomicus des Neoliberalismus ist ein künstliches, behavioristisch formbares Wesen, das permanenter Konditionierung bedarf, die wiederum keine Instanz effizienter leisten können soll als der Markt selbst. Erfolg hat nur, wer sich der Dynamik des Marktes mimetisch angleicht oder sie gar zu überbieten sucht, mit anderen Worten: wer beweglich genug ist, seine Chance zu ergreifen, bevor ein anderer es tut. Die Installierung des „unternehmerischen Selbst“ finden wir heute an Schulen, an Universitäten in den Curricula vor. Sie heißen Bildungsreform oder „die neuen Herausforderungen an die Bildung“.

9. Es geht also darum gegenhegemoniale Bildungsbegriffe- konzepte und –prozesse in gang zu bringen, die der Aufklärung über die Verhältnisse und über diesen Umweg über sich selbst als geschichtliches Wesen mit nur dieser einen Natur und wie mittlerweile auch deutlich wird: dies in der drohenden Gefahr der Selbstvernichtung der Menschheit durch eine ausgebeutete und der weiteren Vernichtung preisgegebenen außermenschlichen aber menschlich bearbeiteten Natur.

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