POSITIONEN & THEMEN
Von: Didi Zach (10.3.2016)
Gestern hetzte das Boulevardblatt „Österreich“ mit dem Thema „sexuelle Übergriffe durch Ausländer“, heute legt das Blatt nach mit „Algerier mit meisten Straftaten. Jeder 2. Asylwerber wird wegen Straftat angezeigt“ (siehe Foto).
Ein angeblicher Experte, so erfahren die LeserInnen auf Seite 12 von
„Österreich“, hätte die Zahlen des Sicherheitsberichts 2014 und die Zahl
der Asylwerber, die Grundversorgung erhalten, ausgewertet und festgestellt,
„dass von 2003 bis 2014 gegen jeden zweiten Asylwerber wegen einer Straftat
ermittelt wurde“.
Dem staunenden Publikum wird mittels Aufstellung dargelegt, dass Algerier pro
100 Asylanträgen für 155 Straftaten verantwortlich sind – wobei immerhin
dargestellt wird, dass die Quote für 100 syrische Asylanträge (laut der
„SCHOCKSTUDIE“) nur 7,6 betrage.
Vorab ist festzuhalten, dass der Österreich-Bericht offensichtlich auf einen Presse-Artikel, der am 8.3. veröffentlicht wurde,
basiert – auch dort wird zwar von der „Detailrecherche“ gesprochen, doch
ob der Autor der Presse damit sein „eigenes Werk“ meint oder ob der Autor
sich auf eine Untersuchung bezieht ist nicht ersichtlich – jedenfalls gibt es
keinen Link zu einer Detail-Studie.
Ich mache mich also auf die Suche nach Zahlen. Laut Bundesministerium für Inneres haben 2014 563 Algerier einen Asylantrag in Österreich gestellt. D.h. also (selbst gemäß der Logik der „SCHOCKSTUDIE“ und weil wir kulant sind): 600 algerische Asylanträge x 155 Straftaten pro 100 Anträge ergibt 930 Strafanzeigen im Jahr 2014. Insgesamt gab es aber (siehe unten) 527.692 Strafanzeigen – d.h. jetzt wiederum „zurück gerechnet“, dass die „verbrecherischen Algerier“ für 0,17 Prozent aller in Österreich (laut „SCHOCKSTUDIE“) begangenen Strafanzeigen verantwortlich waren. Aber so eine Headline wäre ja ziemlich nichtssagend.
Über Strafanzeigen und Verurteilungen
In der Tageszeitung „Die Presse“ wird im Artikel mit ziemlich vielen
Grafiken (die aber keine einzige Fallzahl enthält) ziemlich am Anfang
klargestellt: „Der Anteil angezeigter Delikte (von Asylwerbern) an der
Gesamtkriminalität ist insgesamt gering.“
Zwei Zeilen weiter muss sich der aufmerksame Leser jedoch dann trotzdem
verwundert die Augen reiben: „Von 2003 bis 2014 wurden in Österreich
zwischen 40 und 45 Prozent aller Straftaten geklärt. Geklärt
bedeutet, dass Opfer und/oder Täter der Polizei bekannt sind – unabhängig
davon, ob es danach ein Gerichtsverfahren gibt oder nicht.
(Hervorhebung D.Z.) Asylwerber werden – je nach Jahr – bei drei
bis fünf Prozent dieser Anzeigen als Täter geführt. Dabei beträgt ihr Anteil
an der Bevölkerung nur zwischen 0,1 und 0,3 Prozent.“
Geklärt ist also eine Strafanzeige, laut Schockstudien-„Untersuchung“, wenn
Opfer und/oder Täter einer ausgesprochenen Anzeige der Polizei bekannt
sind – unabhängig davon ob es ein Gerichtsverfahren gibt oder nicht und
unabhängig davon, was das Resultat des Gerichtsverfahrens ist.
Willkommen in der schönen neuen Welt, in der wissenschaftliche Mindeststandards
und journalistisches Berufsethos und der Grundsatz „als unschuldig gilt, bis
das Gegenteil durch Gerichte erwiesen ist“ entsorgt wurden.
Zur Klarstellung: In Österreich gab es 2014 – laut offiziellen
Zahlen des BMI – 527.692 Anzeigen wegen strafbarer Handlungen. Gleichzeitig
haben die Gerichte 32.980 rechtskräftige Verurteilungen
ausgesprochen. – hier ist noch zusätzlich zu erwähnen, dass rund
9.400 Geldstrafen ausgesprochen wurden und dass es 1985 noch 84.096 Verurteilungen gab und die Tendenz der
Verurteilungen seitdem kontinuierlich rückläufig ist – soviel zum Thema
„nackte Fakten“ und „subjektives Sicherheitsempfinden“.
Nochmals in Kurzform: 527.692 Anzeigen, 32.980 Verurteilungen. D.h.
die Verurteilungsquote beträgt 6,24 Prozent. D.h. nun umgerechnet auf
angebliche „SCHOCKSTUDIE“ der Tageszeitung „Presse“ nichts – denn
dort ist, wie gesagt, nirgends eine Fallzahl der Anzeigen und der letztlich
„tatsächlich mit einem Urteil endenden Straftaten“ zu finden. Der grobe
Vergleich – aufgrund meiner recherchierten Zahlen – würde cirka
60 Verurteilungen von Algeriern für 2014 ergeben.
Herr Wetz, so der Name des Autors, gibt sich aber mit „drei bis fünf
Prozent“ angeblich entdeckter Asylwerber-Verbrecher nicht zufrieden. Er
schreibt: „Üblicherweise werden die Zahlen der Asylanträge als Bezugsbasis
für Vergleiche herangezogen. Diese Methode ist nicht aussagekräftig. Denn: Ein
großer Teil der Antragsteller verschwindet während der Verfahren in die
Illegalität oder ins Ausland. Für eine Analyse ist nur die Zahl jener
Asylwerber relevant, die tatsächlich legal in Österreich wohnen, weil nur
diese Personen in der Statistik als Asylwerber ausgewiesen werden.“
Nun – an dem Argument mag einerseits was dran sein. Andererseits:
AsylantragsstellerInnen, letztes Jahr immerhin rund 90.000, wohnen und leben
zumeist ja in kleinen und großen Asylquartieren irgendwo in Österreich –
mehr oder weniger lang. Aufgrund der langen Verfahren meist eher länger als
kürzer, gesetzeskonform oder auch nicht. Zudem soll es auch abgelehnte
Asylwerber geben, die nun illegal in Österreich leben und auch diese können
theoretisch und praktisch eine Straftat begehen.
Der Statistik-Experte Wetz wird aber noch mutiger: Von der Zahl der Menschen
in der Grundversorgung müssen nun, so Wetz, noch jene abgezogen werden, „die
zwar Grundversorgung erhalten, aber keine Asylwerber sind (z. B. subsidiär
Schutzberechtigte).“ Das Resultat: „Ausgehend von dieser Basis lässt sich
dann errechnen, dass pro Jahr fast jeder zweite Asylwerber strafrechtlich
tatverdächtig wird.“ Aha – strafrechtlich tatverdächtigt, nicht
gerichtlich bewiesen.
Weiters frage ich mich, Herr Wetz? Sind „subsidiär Schutzberechtigte“ nicht
auch Flüchtlinge, deren Kriminalitätsverhalten genau beobachtet werden muss?
Aber ernsthaft: 2014, für andere Jahre werden die Zahlen wohl ähnlich sein,
wurden 27.163 Asylverfahren entschieden – fast 10.000 bekamen „nur“
„subsidiären Schutz“ oder eine humanitären Aufenthaltstitel und leben wohl
hier – womit ihre gesamten Berechnungen abermals in einem ganz anderen Licht
zu betrachten sind.
Nochmals zum Anfang, zur Schlagzeile von Österreich und der Presse: „Schock-Statistik: Jeder zweite Asylwerber wird wegen Straftat angezeigt“. Ungenauigkeit oder absichtliche Lüge? Wie vom Presse-Autor dargelegt und argumentiert basieren die angeblichen Ergebnisse der „SCHOCK-STUDIE“ eben nicht auf der Zahl der grundversorgungsberechtigten AsylwerberInnen, sondern auf einen Teil jener Menschen, die tatsächlich Asyl erhalten haben. 2015 wurden 90.000 Asylanträge in Österreich gestellt, cirka 36.000 wurden bearbeitet, „nur“ 16.220 Menschen wurde auch Schutz/Asyl zugesprochen. Anders und in Zahlen ausgedrückt: 90.000 Asylwerber 2015 würden 45.000 Strafanzeigen bedeuten, während andererseits es bei 16.220 anerkannten Fällen nur um rund 8.000 Strafanzeigen gehen würde. Wird der „Berechnungstrick“ jetzt noch mit den Zahlen von elf Jahren (2003 bis 2014) durchgeführt, dann wird das Ergebnis (im Sinne des Autors?) natürlich noch imposanter.
Da Statistik und der Vergleich von Äpfeln, Birnen und Motorrädern nicht die Sache jedes Hobby-Statistikers und Journalisten ist, das ganze nochmals mit einfachen Zahlen: gibt es 527.692 Strafanzeigen bezogen auf acht Millionen ÖsterreicherInnen so ergibt dies: jeder 15. Einwohner ist kriminell. Nehmen wir nur die Verurteilungen (32.980) und konfrontieren dies mit acht Millionen ÖsterreicherInnen dann bekommen wir gleich einen ganz anderen Wert – dann ist, siehe da, nur mehr jeder 242 Einwohner kriminell. Selbiges Spiel ist natürlich auch machbar, wenn wir statt acht Millionen sechs Millionen EinwohnerInnen unterstellen. Und besonders nett wird es, wenn wir 527.692 Strafanzeigen mit drei Millionen EinwohnerInnen vergleichen.
In einem stimme ich den Analysten des Bundeskriminalamts, die Herr Wetz zitiert, jedoch zu – wer in Österreich aufgrund einer vollkommen idiotischen Integrationspolitik (Stichwort Arbeitsverbot für Asylwerber) keine Perspektive sieht und wer irgendwie überleben will (was ein menschlicher Selbsterhaltungstrieb ist), der/die wird auch „bereit sind, hohe Risiken einzugehen“ und im Fall des Falles versuchen sich mit Schwarzarbeit, Prostitution, Drogengeschäften und/oder Diebstahl über Wasser zu halten. Womit auch die Ergebnisse der „SCHOCKSTUDIE“ zu den konkreten Straftaten (korrekt müsste es heißen der angezeigten Straftaten) mich nicht wirklich verwundern würden – „Die Auswertung der Arten von Straftaten (langjähriger Schnitt von 2003 bis 2014) zeigt, dass finanzielle Motive bei Asylwerbern dominieren. Fast zwei Drittel (63,5 Prozent) fallen in die Bereiche Drogen- und Eigentumskriminalität. Sexualstraftaten machen 1,2 Prozent der Asylwerberkriminalität aus. Bei Österreichern sind es mit 1,6 Prozent mehr.“
Noch etwas: im ersten Halbjahr 2015 wurden 75.000 Inländer und
45.000 Ausländer (inkl. EU-Bürgern, TouristInnen, …) von der Polizei
angezeigt. Die Spitze der Kriminalitäts-Hitliste (der Ausländer) stellen die
Deutschen mit 4.819 Tatverdächtigen. Unter den 45.000 Verdachtsfällen
befanden sich „6546 Asylwerber. Die Statistik führen Afghanen mit
982 Fällen an, gefolgt von Tschetschenen (673), Marokkanern (532), Nigerianern
(507). Die Spitze der angelasteten Delikte bilden die fahrlässige
Körperverletzung, sowie Diebstahl, räuberischer Diebstahl, Einbruch,
Nötigung, Delikte nach dem Suchtmittelgesetz und gefährliche Drohung. Manche
waren nur frech. So wurden drei Ausländer angezeigt nach dem Titel Öffentliche
Beleidigung eines verfassungsmäßigen Vertretungskörpers, des Bundesheeres
oder einer Behörde“.
Apropos „subjektives Sicherheitsgefühl“ und Verurteilungen: Laut
Medienberichten aus 2013 hatten 99,6 Prozent der Menschen mit österreichischem Reisepass
2011 keine gerichtliche Verurteilung vorzuweisen. Und wie viele
„Ausländer“ blieben 2011 unbescholten? 99 Prozent!!! Wäre auch eine
schöne Schlagzeile!!!
Eine letzte Ergänzung zu einem verwandten Thema: Ein höherer Ausländeranteil in Gefängnissen lässt sich in fast allen europäischen Ländern nachweisen. Nicht zuletzt deshalb, weil Ausländer gegen eine größere Zahl an Delikten verstoßen können als Inländer, etwa gegen das Fremden- oder Asylrecht. Und: Ausländer landen generell schneller in Untersuchungshaft. Das liegt zum einen an der Fluchtgefahr und besonders daran, dass sie oft vorschnell der Gewerbsmäßigkeit beschuldigt werden.
Zum Thema siehe auch Flüchtlinge sind nicht krimineller als Deutsche (Zeit online vom 13.11.2015) – aus dem Artikel geht auch hervor, dass innerhalb der Straftaten Vermögens- und Fälschungsdelikte (34 Prozent), zwei Drittel dieser Delikte auf Schwarzfahren entfallen – was die Ergebnisse der „Schock-Studie“ wohl nochmals erheblich relativieren würde.