POSITIONEN & THEMEN
Warum wird über ein Grundeinkommen diskutiert?
Mit dem Übergang vom fordistischen zum neoliberalen Kapitalismus
sind ein hohes Niveau von Massenarbeitslosigkeit und gleichzeitig eine wachsende
Prekarisierung zum Normalzustand geworden. Der klassische „Normalarbeiter“
ist immer weniger typisch und daher kein ausreichender Maßstab für
linke Politik.
Auch Vollbeschäftigung im Sinne von Vollzeitarbeit mit entsprechendem
Verdienst und sozialer Absicherung – die es unter Berücksichtigung
der fast ausschließlich von Frauen geleisteten unbezahlten Hausarbeit,
Pflege, Kinderbetreuung etc. genau genommen nie wirklich gegeben hat –
wird immer weniger, weil neben der Verlagerung arbeitsintensiver Bereiche
in Billiglohnländer immer mehr Menschen von Teilzeitarbeit, geringfügiger
Beschäftigung, Werkverträgen, Beschäftigung als freie DienstnehmerInnen,
Scheinselbständige usw. leben müssen oder wollen. Deutlich wird
dies etwa auch dadurch, dass bereits mehr als die Hälfte der Selbständigen
in Ein-Personen-Unternehmen tätig sind.
Das alles passiert vor dem Hintergrund einer enorm wachsenden Produktivität,
weil immer mehr menschliche Arbeit durch Maschinen ersetzt wird. Die durch
Rationalisierung gewonnene Zeit kommt den Menschen aber nicht durch mehr Freizeit
und kürzere Arbeitszeit zugute, sondern schlägt sich in Form einer
Massenarbeitslosigkeit nieder. Auch schafft diese Verteilung der Produktivitätsgewinne
eine immer ungerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen.
Während Löhne, Gehälter und Pensionen stagnieren und die Schere
zwischen Männer- und Frauenverdiensten weit auseinanderklafft, explodieren
Profite, Dividenden und Vermögen. Während die Lohnquote seit gut
zwei Jahrzehnten laufend sinkt, steigt der Anteil von Kapital und Vermögen
am Volkseinkommen. Während ein Teil der Beschäftigten ständig
Überstunden leisten muss - mit dem Ergebnis dass Österreich die
höchste reale Wochenarbeitszeit der EU aufweist – ist die Zahl
der Erwerbsarbeitslosen enorm gestiegen. Immer mehr lohnarbeitende Prekarisierte
– betroffen sind vor allem Frauen – müssen mehr als einen
Job ausüben, um genug zum Leben zu haben oder wursteln sich von einem
zeitlich begrenzten Projekt zum nächsten.
Die Folge dieser Entwicklung ist eine wachsende Prekarisierung verbunden mit
steigender Armut, von welcher immer mehr Menschen betroffen sind. Gearbeitet
wird aber unabhängig von Lohnarbeit, die eigentlich nur das Mittel zum
Zweck darstellt. Vorrangig brauchen die Menschen nämlich nicht Arbeit,
sondern Geld zum Leben, das ihnen durch Lohnarbeit immer weniger ermöglicht
wird. Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren die Diskussion um
ein Grundeinkommen in den sozialen Bewegungen neuerlich aufgegriffen.
Was kann ein Grundeinkommen bringen?
Das wesentliche Motiv für ein Grundeinkommen ist, allen Menschen die
Chance auf ein menschenwürdiges Leben unabhängig vom eventuellen
Verlust der traditionellen Einkommensquelle durch Lohnarbeit zu verschaffen.
Damit stellt ein Grundeinkommen eine Maßnahme gegen die zunehmende Armut
dar und ist eine adäquate Antwort auf die wachsende Prekarisierung.
Gleichzeitig soll ein Grundeinkommen gewisse Zwänge wie etwa Auflagen
des AMS, Rückzahlungspflichten bei Sozialhilfe etc. aufheben, durch welche
die Empfänger unweigerlich in die Rolle von BittstellerInnen gezwungen
werden. In diesem Sinne würde ein Grundeinkommen das Selbstwertgefühl
der Menschen heben und auch mehr Freiraum zur Mitgestaltung des demokratischen
Gemeinwesens schaffen.
Durch ein bedingungsloses und existenzsicherndes Grundeinkommen würde
die Möglichkeit geschaffen, die Annahme schlecht bezahlter, krankmachender
Arbeiten oder unzumutbarer Arbeitsbedingungen zu verweigern. Dadurch wurde
auch ein Druck für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen
entstehen, weil sonst niemand diese Arbeiten machen würde. Somit würde
die permanente kapitalistische Rationalisierung etwas von ihrem Schrecken
in Form von Arbeitsplatzverlust usw. verlieren und damit auch die Lohnabhängigen
und im weiteren Sinne die Gewerkschaften stärken.
Ein Grundeinkommen würde auch zur Sicherung der Kaufkraft für die
gesamte Bevölkerung beitragen und damit die seit Jahren durch stagnierende
oder sogar sinkende Löhne, Gehälter und Pensionen zurückbleibende
Binnennachfrage beleben. Ähnlich dem Fordismus, der darauf beruhte, dass
die hergestellten Produkte auch gekauft werden müssen und dafür
entsprechende Einkommen notwendig sind würde ein Grundeinkommen somit
auch zur Wirtschaftsentwicklung beitragen. Auch würde ein Grundeinkommen
mehr Entfaltungsmöglichkeiten für Bildung, Eigeninitiative, Kreativität
und Spontaneität bringen. Viele Menschen könnten sich damit auch
Tätigkeiten unabhängig von kapitalistischen Zwängen im Sinne
einer solidarischen Ökonomie widmen.
Was muss ein Grundeinkommen erfüllen?
Seine Funktion erfüllt ein Grundeinkommen nur dann, wenn es bedingungslos
und existenzsichernd ist. Es muss für alle im Land lebenden Menschen
gleich und ausreichend zur Befriedigung wesentlicher Lebensbedürfnisse
sein und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sichern. Ein ganz wesentlicher
Punkt ist, dass ein solches Grundeinkommen ohne Bedingungen und Auflagen erfolgt.
Daher weist ein Grundeinkommen über andere aktuell diskutierte Modelle
wie einer bedarfsorientierten Grundsicherung etc. hinaus, weil diese Maßnahmen
stets auf bestimmten Auflagen und damit Zwängen einer repressiven Bürokratie
basieren.
Ein Grundeinkommen ist eine Gegenposition zur Politik von Sozialabbau, Privatisierung
und dem Dogma der Regelung durch den Markt, die durch fiskalische Maßnahmen
wie die Maastricht-Kriterien für eine nachhaltige Budgetpolitik und den
Euro-Stabilitätspakt erzwungen werden. Ein Grundeinkommen stellt auch
eine Gegenposition zur laufenden Entsolidarisierung und dem neoliberalen Credo
einer Ellbogengesellschaft der Konkurrenz aller gegen alle und dem Marktdogma
dar, welches behauptet, nur ein Billiglohnsektor könne die Arbeitslosigkeit
verringern.
Worauf ist bei einem Grundeinkommen zu achten?
Ausgehend vom Leitsatz „Von Arbeit muss man leben können –
und ohne Arbeit auch“ können Maßnahmen wie Arbeitszeitverkürzung,
Mindestlöhne, Anhebung von Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld auf die
offizielle Armutsgrenze, ja sogar bedarfsorientierte Grundsicherung (allerdings
ohne ihre repressiven Begleitmaßnahmen wie derzeit von SPÖ und
ÖVP geplant) Schritte zu einem Grundeinkommen darstellen. Auch wenn ein
Grundeinkommen als Ziel verfolgt wird, bedeutet dies nicht, dass wir nach
dem Motto „Alles oder nichts“ andere Maßnahmen deswegen
ablehnen.
Die Finanzierung eines Grundeinkommens muss durch eine entsprechende Steuerpolitik
erfolgen, die wiederum auf der enorm steigenden Produktivität basieren
muss. Die Steuerleistung des Kapitals muss so hoch sein, dass daraus ein Grundeinkommen
für alle Menschen finanziert werden kann und somit ein menschenwürdiges
Leben möglich ist. Darüber hinaus finden weiterhin der Kampf um
entsprechende Löhne, Gehälter oder Pensionen entsprechend Qualifikation,
Versicherungszeiten etc. sowie der Kampf für Arbeitszeitverkürzung
bei vollem Lohnausgleich statt.
Die Höhe eines Grundeinkommen als Maßstab für ein menschenwürdiges
Leben ist auch insofern wichtig, als es auch neoliberale Modelle von Kapitalseite
gibt, welche mit einem Grundeinkommen darüber hinausgehende Sozialtransfers
(Gesundheit, Pension, Unfall, Arbeitslosigkeit, Kindergeld etc.) ersetzen
oder Lohndumping betreiben wollen.
Welche Einwände gibt es gegen ein Grundeinkommen?
Der Haupteinwand gegen ein Grundeinkommen lautet, dass damit niemand mehr
arbeiten will und das „Sozialschmarotzertum“ unterstützt
wurde. Damit wird gezielt verdrängt, dass derzeit die Besitzer großer
Vermögen meistens nicht selber arbeiten sondern ihren Müßiggang
als Lifestyle rechtfertigen und zudem immer weniger Steuern zahlen. Hinter
dieser Befürchtung steht ein von Kirche und Kapital propagiertes und
historisch überwiegend mit Zwang durchgesetztes Arbeitsethos nach dem
biblischen Motto „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“,
das leider auch vielfach von der ArbeiterInnenbewegung kritiklos übernommen
wurde.
Arbeit ist nicht grundsätzlich und ausschließlich mit Lohnarbeit
gleichzusetzen. Ein großer Teil der Arbeit erfolgte immer schon unbezahlt
durch Frauen (Hausarbeit, Pflege, Ehrenamt, Kinderbetreuung...), gehört
aber mit zum Grundbedürfnis nach Gestaltung des eigenen Lebens und der
Welt. Die Gleichsetzung von Grundeinkommen mit „Nichtarbeit“ wird
deshalb auch der Wirklichkeit nicht standhalten. Arbeit ist auch nicht generell
sinnvoll und nützlich, sie kann auch destruktiv sein, wie etwa in der
Rüstungsindustrie.
Einwände die unter „sozialistischen“ Vorzeichen gemacht werden,
dass auch eine sozialistische Gesellschaft sich nur mittels Arbeit reproduzieren
und sich deshalb kein Grundeinkommen leisten könne, weshalb es auch unter
kapitalistischen Bedingungen abgelehnt werden müsse, hängen der
Vorstellung nach, Sozialismus bedürfe des Arbeitszwangs. Sozialismus
beseitigt aber zunächst das Privileg, auf Grund des Besitzes von Nichtarbeit
leben zu können.
Was gilt grundsätzlich zur Debatte über ein Grundeinkommen?
Im Artikel 25, Absatz 1 der UNO-Menschenrechtsdeklaration heißt es:
„Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner
Familie, Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich Nahrung, Kleidung,
Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen
Fürsorge gewährleistet; er hat das Recht auf Sicherheit im Falle
von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder
von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.“
Davon abgeleitet gibt es ein
elementares Recht auf Arbeit und Einkommen für alle Menschen das keineswegs
an Pflichten gebunden ist.
Demzufolge ist ein menschenwürdiges Leben und die Teilhabe am gesellschaftlichen
Reichtum ein elementares Menschenrecht. Wenn von Gegenleistung und Pflichten
die Rede ist, sind das unter kapitalistischen Bedingungen immer Pflichten
gegenüber dem Kapital als Eigentümer der Produktionsmittel, dem
die Lohnabhängigen nur ihre Arbeitskraft als Ware entgegenhalten können.
Die Lohnarbeit als solche schafft aber keine soziale Sicherheit, diese wurde
stets nur durch politische Kämpfe erreicht und wird jetzt unter neoliberalen
Bedingungen sukzessive wieder abgebaut.
Wie ein Grundeinkommen durchsetzen?
Das „Kerngeschäft“ der Gewerkschaften ist der Kampf um höhere
Löhne. Daher will das Kapital unter den Bedingungen des neoliberalen
Kapitalismus zur Profitmaximierung den über hundert Jahren erkämpften
Einfluss der Gewerkschaften zurückdrängen. Die Forderung nach einem
Grundeinkommen stärkt dagegen die Gewerkschaften, deren Verhandlungsmacht
durch wachsende Arbeitslosigkeit und Prekarisierung geschwächt wird.
Ein Grundeinkommen ist kein fertiges Rezept, sondern eine Orientierung, zu
welcher ein entsprechender Diskussionsprozess, verbunden mit einer ideologischen
Auseinandersetzung mit der neoliberalen Marktlogik, notwendig ist. Bislang
ist das Wissen über die Bedeutung jedoch viel zuwenig verankert und daher
noch nicht mehrheitsfähig. Dieser Prozess beginnt mit einer entschiedenen
Zurückweisung von Lohndruck, Sozialabbau und Privatisierung der öffentlichen
Daseinsvorsorge und der Erhaltung und des Ausbaus sozialer Rechte und der
öffentlichen Grundversorgung.
In einer von einem gnadenlosen Standortwettbewerb des Kapitals bestimmten
globalisierten Welt werden einzelstaatliche Lösungen immer weniger möglich.
So wie die Abwehr der Angriffe auf soziale Errungenschaften zunehmend eine
verstärkte internationale Kooperation von Gewerkschaften, Sozialbewegungen
und Linksparteien erfordert, ist auch die Durchsetzung sozialer Rechte wie
eines Grundeinkommens in wachsendem Maße nur als internationale Bewegung
möglich. Die Debatte über ein bedingungsloses und existenzsicherndes
Grundeinkommen ist daher als Teil einer nationalen wie internationalen Bewegung
zu verstehen.
Was kann ein Grundeinkommen nicht leisten?
Das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem basiert auf dem Verhältnis
zwischen Lohnarbeit und Kapital. Ein Grundeinkommen hebt die kapitalistischen
Eigentumsverhältnisse und das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital
nicht auf. Es stellt nur eine modifizierte und den heutigen Entwicklungen
angepasste Form der Umverteilung des in der Produktion geschaffenen Mehrwerts
dar.
Somit handelt es sich dabei um eine soziale Reform, ein Grundeinkommen allein
bedeutet noch keine revolutionäre Veränderung. Es gilt, was für
jede soziale Verbesserung gilt: In der Auseinandersetzung mit dem kapitalistischen
System können die Kräfte zu seiner Überwindung wachsen. Die
grundsätzliche Infragestellung des kapitalistischen Systems und das Ziel
seiner Überwindung in Richtung einer gerechteren Gesellschaft bleiben
für die KPÖ unabhängig von einem auch unter kapitalistischen
Verhältnissen möglichen Grundeinkommen aufrecht. Die Utopie einer
anderen, sozial gerechteren Gesellschaft würde jedoch durch ein Grundeinkommen
einen wichtigen Impuls erhalten.
KPÖ-Bundesausschuss, 7. Dezember 2006