POSITIONEN & THEMEN
8.000 Jahre lang galt das Klimasystem als relativ stabil, bis der
Mensch es quasi in einem Wimpernschlag aus dem Gleichgewicht gebracht hat.
In der kurzen
Phase der Industriellen Revolution - etwa seit 1750 - ist mit dem entfesselten
Raubbau an den fossilen Erdlagern für Kohle, Gas und Öl und ihrer
Verbrennung die atmosphärische Konzentration der Treibhausgase deutlich
angestiegen. Dies führte zum Treibhauseffekt: Die globale Mitteltemperatur
hat sich im letzten Jahrhundert um ca. 0,6°C erhöht. Für den
Zeitraum 1990 bis 2100 wird ein weiterer Anstieg zwischen 1,4 und 5,8°C
vorausgesagt.
Dadurch kommt es zum Klimawandel, der als das dramatischste globale Umweltproblem
der Menschheit im 21. Jahrhundert bezeichnet wird: Pazifikinseln verschwinden
durch den Anstieg des Meeresspiegels von der Landkarte, Gletscher schmelzen,
extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen, Dürreperioden und
Hitzewellen häufen sich und Tropenkrankheiten nehmen zu. Arme Bevölkerungsgruppen
in den so genannten Entwicklungsländern sind - obgleich sie kaum zum
Treibhauseffekt beitragen - besonders von den Klimafolgen betroffen.
Bei der Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro/Brasilien
wurde von 155 Regierungen die Klimarahmenkonvention der UN verabschiedet (UNFCCC).
Auf der Vertragsstaatenkonferenz 1997 in Kyoto/Japan verständigten sich
die Industrieländer in einem Protokoll darauf, bis 2012 ihre Emissionen
im Durchschnitt um 5,2% gegenüber 1990 zu verringern. Das Protokoll trat
acht Jahre später, am 16. Februar 2005, in Kraft. Schon 2001 hatten sich
die USA unter der Regierung George W. Bush aus dem Kyoto-Prozess zurückgezogen.
Die tragenden Säulen des Protokolls sind die so genannten flexiblen Mechanismen:
der Emissionshandel, der Mechanismus für saubere Entwicklung und der
Mechanismus für gemeinsame Klimaschutzprojekte. Sie werden auch als »Schlupflöcher«
bezeichnet. Die Industrieländer können Emissionsreduktionen, die
in anderen Ländern erzielt werden, in die nationale Emissionsbilanz einrechnen.
Weltweit führt der steigende Verbrauch an fossilen Brennstoffen zu einer
Zunahme der Treibhausgasemissionen. Es bleibt daher auch höchst fraglich,
ob die westlichen Industrieländer ihre Reduktionsziele werden einhalten
können.
Kritikerinnen sehen im Kyoto-Protokoll vier Konstruktionsfehler: Erstens seien
die Reduktionsziele viel zu gering. Zweitens seien die Instrumente unzureichend.
Alternativen wie Erneuerbare Energien oder ein Wirtschaftssystem jenseits
fossil istischer Wachstumsstrategien würden nicht oder nur unzulänglich
berücksichtigt werden. Drittens würden die Emissionen der Entwicklungsländer
darin nicht erfasst. Und viertens sei unklar, wie es im Jahr 2013 weitergehen
soll. Das Kyoto-Protokoll sei von der Vorstellung geprägt, dass ein so
komplexes Problem wie der Klimawandel und die damit verknüpften Verursacher-
und Betroffeneninteressen quasi »von oben« gelöst werden
könnte.
Schwierigkeiten bereitet die Umsetzung der global verhandelten Steuerungsinstrumente
vor Ort. In den indigenen Bevölkerungsgruppen in den Entwicklungsländern
wächst der Protest gegen Aufforstungsprojekte (so genannte Senken), durch
die Kohlendioxid gebunden wird. Die Durchführungsbestimmungen erlauben
Monokulturen, die Pflanzung standortfremder Baumarten und den Einsatz gentechnisch
veränderter Organismen. In den europäischen Industrieländern
stößt die Einführung des Emissionshandels auf Widerstand einiger
Industrieverbände. Sie sehen im Emissionshandel eine Bedrohung ihrer
Wettbewerbsfähigkeit.
Mit Klimapolitik wird ein stark von unterschiedlichen Interessen geprägtes
Konfliktfeld bezeichnet, in dem lokale, nationale, regionale und globale Handlungsebenen
eng miteinander verknüpft sind. Die Wirtschafts-, Verkehrs-, Finanz-
oder Arbeitsmarktpolitik hat in diesem Konfliktfeld meist Vorrang vor Klimaschutzzielen.
Durch die Festlegung auf wenige ökonomische Instrumente werden Klimaschutzmaßnahmen
in das herrschende neoliberale Wirtschaftssystem so integriert, dass ein »Weiter
so« nicht ernsthaft in Frage gestellt wird.
Achim Brunnengräber
Zum Weiterlesen
Brunnengräber, Achim (2002): Umwelt- oder Gesellschaftskrise? Zur politischen
Ökonomie des Klimas, in: Görg, Christoph/Brand, Ulrich (Hrsg.):
Mythen globalen Umweltmanagments: »Rio + 10« und die Sackgassen
nachhaltiger Entwicklung, Münster, S. 192-215.
IPCC, Intergovernmental Panel on Climate Change (2001): Climate Change 2001.
Impacts, Adaptation and Vulnerability. Contribution of Working Group II to
the Third Assessment Report of the IPCC, Cambridge.
Missbach, Andreas (1999): Das Klima zwischen Nord und Süd. Eine regulationstheoretische
Untersuchung des Nord-Süd-Konflikts in der Klimapolitik der Vereinten
Nationen, Münster.
Ott, Hermann/Oberthür, Sebastian (2000): Das Kyoto-Protokoll. Internationale
Klimapolitik für das 21. Jahrhundert, Opladen.
Walk, Heike/Brunnengräber, Achim (2000): Die Globalisierungswächter.
NGOs und ihre transnationalen Netze im Konfliktfeld Klima, Münster.
Quelle: Beitrag aus: ABC der Globalisierung, Von
„Alterssicherung“ bis „Zivilgesellschaft“, Herausgegeben
vom Wissenschaftlichen Beirat von attac, VSA-Verlag, Hamburg, 2005