POSITIONEN & THEMEN
Der
hartnäckige Glaube an Wachstum, Wettbewerb und die Heilsversprechen der
Technik wird zu einer existenziellen Gefahr für uns alle.
In den vergangenen Wochen ist in die Debatte um Klimaschutz endlich Bewegung
gekommen, nachdem Klimaforscher jahrelang erfolglos vor der weiteren Aufheizung
der Atmosphäre durch zunehmende CO2-Emissionen gewarnt haben. Die Brisanz
des Themas wird nun auch von Politik und Wirtschaft wahrgenommen. Nun soll
viel Geld eingesetzt werden, um die Folgen des Klimawandels auszugleichen.
Gleichzeitig werden andere Belastungen verdrängt: Das rapide wachsende
Müll-Problem (zum Beispiel Chemieabfälle und Elektronikschrott),
die ständig neu in die Welt gesetzten chemisch-pharmazeutischen Produkte
und deren systemische Wirkung auf Mensch und Natur, das Trinkwasser-Problem
in den südlichen Ländern. Es wird zudem ignoriert, dass Geld wenig
ausrichten kann, wenn die örtlichen (natürlichen und gesellschaftlichen)
Ressourcen erschöpft, zerstört oder vergiftet sind.
Bei den öffentlich diskutierten Vorschlägen, zur Lösung des
Energie- und Klima-Problems dominieren technische Konzepte: Sofortige Umstellung
auf erneuerbare Energiequellen, CO2-Abscheidung, Atom- und Kernfusion (EU-Projekt
ITER). Versprochen wird quasi das perpetuum mobile - wie schon einmal in den
fünfziger Jahren: Im Jahr 2000, so versprachen es Wissenschaft und Technik,
sollten 4.000 bis 5.000 Atomkraftwerke weltweit Stromzähler überflüssig
machen, und Carl-Friedrich von Weizsäcker erklärte, Atommüll
sei kein Problem: Er werde in einem Würfel von 100 Metern Kantenlänge
unterzubringen sein. Heute haben wir 437 Reaktoren, Tschernobyl, kürzlich
Forsmark, und immer noch das Entsorgungs-Problem.
Trotz der schlechten Erfahrungen mit diesen Heilsversprechen werden technische
Lösungen (Gen-, Bio-, Nanotechnik etc.) mit inzwischen gefährlicher
Verbissenheit propagiert. Gefährlich, weil die Natur nicht mit sich verhandeln
und sich nicht auf Dauer überlisten lässt; verbissen, weil Wachstum,
Markt und Wettbewerb trotz ihrer sozial und ökologisch verheerenden Wirkung
als allein selig machend gelten - auch bei den Grünen übrigens,
wie das Fraktionspapier zur „grünen Marktwirtschaft“ zeigt.
Die frohe Botschaft: Jetzt kann man mit Klimaschutz Geld verdienen - nachdem
man das Klima jahrzehntelang ruiniert hat, wittert man bei den Reparaturversuchen
neue Profite. Technisch kommt ohnehin eher Flickschusterei heraus, wo die
neoliberale Betriebswirtschaft dominiert. Deren Kostensenkungs-Wahn hat selbst
Paradetechnologien der globalisierten Wirtschaft geschädigt, wie Rückrufaktionen
von Automobilen, Toll-Collect, A 380 usw. zeigen. Für die Probleme, die
wir mit Technik zu lösen haben, ist aber internationale Kooperation statt
Konkurrenz angesagt.
Im expansiven Kapitalismus ist die Gier nach Geld einziger Antrieb, gleichzeitig
lebt dieses Wirtschaftssystem vom Verschleiß von Mensch und Natur -
leider auch in der keynesianisch abgemilderten Form der „sozialen Marktwirtschaft“.
Auch die dreht sich im sinn- und hirnlosen Hamsterrad von „Arbeiten,
um mehr zu konsumieren - konsumieren, um mehr Arbeit zu haben“. Für
Phantasie, realistisches und gemeinsames Handeln ist da kein Raum mehr - der
wäre aber nötig, um die nötigen, wirklich neuen technischen
und gesellschaftlichen Konzepte zu entwickeln.
Das materielle Wachstum hat die Grenze der Tragfähigkeit und Reproduktionskraft
der Biosphäre um 25 Prozent überschritten (Living Planet Report
2006, WWF). Das Ende der Fahnenstange ist also erreicht. Es ist nicht einfach,
dies den Menschen in den Industrienationen zu vermitteln, die sich an die
waren- und verkehrsintensive Lebensweise gewöhnt haben. Noch schwieriger
ist es für die 80 Prozent der Menschheit im Süden, die sich den
gleichen „Wohlstand“ wünschen, einzusehen, dass die Ressourcen
dazu nicht reichen. Noch vor 40 Jahren begnügten sich die 20 Prozent
im Norden mit einer Technik, die mit etwa 1,5 Kilowatt Dauerleistung pro Person
auskam - das entsprach dem Lebensstandard eines Schweizers 1965. Hochgerechnet
auf die gesamte Erdbevölkerung wäre dies vom Biosystem verkraftbar.
Heute nutzt jeder Europäer aber permanent rund sechs Kilowatt, jeder
US-Amerikaner rund elf. Entsprechende Rechnungen gelten für die Nutzung
der biologisch produktiven Land- und Meerfläche.
Damit ist unser Wirtschaftssystem mit seinem Wachstums- und Wettbewerbs-Paradigma
zur existenziellen Gefahr geworden, weil es sich von den natürlichen
Bedingungen abzukoppeln versucht und mit dieser Illusion unser Denken und
Planen prägt. Das ist in der Geschichte nicht das erste Mal - bloß
heute trifft es durch die „Globalisierung“ die gesamte Menschheit
und nicht nur Teile, wie zum Beispiel die Gesellschaft der Osterinseln, die
zugrunde ging, weil ihre Eliten manisch um immer größere Statuen
konkurrierten und dabei die eigenen Lebensgrundlagen zerstörten. Diese
Manie finden wir auch heute bei Großprojekten der Technik, mit denen
sich unsere Eliten so gerne schmücken. Die vorwiegend männliche
Konkurrenz um das größte Flugzeug, das schnellste Auto, den höchsten
Wolkenkratzer, den kleinsten Chip könnte komisch sein, wenn sie nicht
so gefährlich wäre.
Als ob wir von den Gefahren und Zerstörungen nichts wüssten, legen
wir einen notorischen Optimismus an den Tag, wenn es um die Machbarkeit großtechnologischer
Träume geht. Auch wenn es Naturwissenschaftler und Ingenieure sind, die
diesen Optimismus immer wieder nähren, weil sie gut daran verdienen:
er widerspricht ihren professionellen Standards. Die fordern zunächst
eine solide Analyse der Fakten. Konstruktionen werden dann mit ausreichenden
Sicherheitsmargen ausgelegt. Kein Flugzeug würde heute ohne solche Sicherheiten
in die Luft gelassen. Beim laufenden Großexperiment mit Mensch und Natur
verzichten wir darauf, weil die herrschende Ökonomie es verlangt. Deshalb
ist der augenblickliche Hype über die prima Konjunktur und steigende
Massenkaufkraft nur verrückt: Wir beschleunigen die Fahrt an die Wand.
Was also ist zu tun? Da globales materielles Wachstum nicht mehr vertretbar
ist, müsste in den nächsten Jahrzehnten in den Industrieländern
der Energie- und Materialaufwand laut Wuppertal-Institut um 50 bis 90 Prozent
Prozent abgerüstet werden - so unrealistisch dies scheinen mag -, um
den übrigen Ländern die Chance zu geben, aus der Armut herauszukommen.
Das ist nötig unabhängig davon, ob wir erneuerbare oder fossile
Energien nutzen - denn es geht nicht nur um das CO2 -, sondern generell um
ein Mengen-Problem.
Dazu brauchen wir die radikale Veränderung unserer technologischen Leitlinien:
Statt weiter menschliche Arbeitskraft als „Kosten“ zu denunzieren
und sie um jeden Preis, auch den der Zerstörung der natürlichen
Lebensgrundlagen, durch Einsatz energetischer und stofflicher Ressourcen zu
ersetzen („Raubtechnik“), sollten wir die Produktions-Technik
„abrüsten“, wo es nicht um schwere beziehungsweise gesundheitsgefährdende
körperliche Arbeiten geht. Entsprechendes gilt für Verkehr jeder
Art: LKW-, Flug-, PKW-Verkehr könnten durch den Aufbau beziehungsweise
Erhalt regionaler Ökonomien vermieden werden. Gleichzeitig sind international
strenge Verbrauchsgrenzen nötig, die dafür sorgen, dass die Nutzung
fossiler Energieträger so schnell wie möglich aufhört. Dafür
sollte Energie für Industrie und industriellen Verkehr mit wachsendem
Verbrauch verteuert, also progressiv besteuert werden (zum Beispiel durch
Emissionshandel). Basis-Verbräuche privater Haushalte für Strom
und Heizung, die durch Energie-Spar-Maßnahmen und -Techniken auf das
mögliche Minimum abgesenkt werden, bleiben davon ausgenommen.
Die dabei gewonnenen Gelder können für Renten- und Krankenversicherung,
für den beschleunigten Aufbau der regenerativen Energiewandlung und zum
Ausstieg aus den nicht zukunftsfähigen Dinosaurier-Technologien einschließlich
der Atomkraftwerke und Militärtechnik eingesetzt werden.
Dass das mit dem auf Wachstum basierenden kapitalistischen System nicht möglich
ist, liegt auf der Hand. Wir müssen also die Alternativen der „solidarischen
Ökonomie“ ausbauen: genossenschaftlich und lokal organisierte Formen
des Wirtschaftens, die sich nicht der Profitlogik unterwerfen. Auch in der
Technik existieren bereits Projekte, die statt auf Konkurrenz auf Kooperation
in Netzwerken setzen; die statt immer schnellerem Umschlag oder Verschleiß
von Gütern Verlangsamung und Langlebigkeit anstreben; die, statt globalisierte
Märkte und Strukturen zu bedienen, die Nähe zwischen Produzenten
und Nutzern suchen und schließlich: in den Vordergrund den realen Gebrauchswert
stellen statt des Tauschwertes auf einem anonymen Markt.
Zwei Beispiele dafür: „Remanufacturing“ von technischen Geräten,
zum Beispiel „ReUse-Computer“, also Wiederaufarbeitung und -verwendung
von älteren PCs und älterer Hardware, und „Micro-Energy International“,
ein Projekt, das Menschen ohne elektrische Infrastruktur im Süden kleine,
technisch hochwertige Systeme erneuerbarer Energie durch Mikro-Kredite nach
dem Modell der Grameen-Bank zur Verfügung stellt. Bleibatterien, Kerosinlampen
und Holz als Energieträger werden damit überflüssig.
Vielleicht gelingt es mit solchen Alternativen, die Macht der herrschenden
Ökonomie zu überwinden, bevor es zu spät ist. Naturwissenschaftler
und Techniker können das unterstützen, wenn sie selbstkritisch den
bisherigen Pfad der „Raubtechnik“ verlassen und ihre professionelle
Vernunft wieder einbringen. Die sagt: „Wer an fortdauerndes Wachstum
in einer endlichen Welt glaubt, ist entweder ein Verrückter oder ein
Ökonom“ (Kenneth E. Boulding). Wenn wir aber weitermachen wie bisher,
wird der „Wettbewerb“ zum Krieg, in dem wir bis an die Zähne
bewaffnet gegen andere Verrückte um die verbleibenden Ressourcen kämpfen
und alle verlieren.
Dr. Wolfgang Neef arbeitet an der TU Berlin und ist Vorsitzender der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative
für Frieden und Zukunftsfähigkeit.
Quelle: Freitag 03/2007, 19.1.2007