KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Eine avantgardistische Bewegung



"Porto Alegre kommuniziert sich auch deswegen, weil dort derart viele Menschen die Erfahrung gemacht haben, dass es Sinn macht, über eine andere Welt zu diskutieren und man sich sogar auf gemeinsame Aktionen einigen kann, mit denen sie angestrebt werden soll." KPÖ-Vorsitzender Walter Baier im Interview.

Du warst in Porto Alegre. Wie würdest du die "globalisierungskritische" Bewegung allgemein und das World Social Forum im Speziellen charakterisieren?

Es gibt mehrere Annäherungen an Porto Alegre. Zum einen war es die zweite Konferenz dieser Art. Im Vorjahr nahmen daran etwa 10.000 Personen teil, die ein pluralistisches Spektrum der verschiedensten linken und Kapitalismus-kritischen und antikapitalistischen Strömungen repräsentierten. Dieses Jahr fanden sich gezählte 51.300 Menschen zum WSF ein, die u.a. 4.900 Organisationen vertraten. Dabei ist aber Porto Alegre kein "Anti-Ereignis", sondern dient — entsprechend dem Slogan "eine andere Welt ist möglich" — dazu, Ansätze für eine andere Welt herauszuarbeiten. Politisch gesprochen geht es darum, der Agenda der transnationalen Konzerne und ihrer Institutionen eine Agenda der unterdrückten, ausgebeuteten, entrechteten und entwürdigten Menschen entgegen zu setzen. Das Denken in Alternativen, die aus ganz unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Zusammenhängen entwickelt werden, soll vor allem eines deutlich zu machen: Es gibt auch etwas anderes als das neoliberale Diktat!
Das kristallisiert in konkreten Forderungen wie jener nach der Streichung der Außenschulden der so genannten Entwicklungsländer oder in der Forderung nach einer Besteuerung der spekulativen Kapitaltransfers; im Anspruch, repräsentative durch partizipative Demokratie zu erweitern, wie es etwa in der Kommune von Porto Alegre selbst sehr anschaulich geschieht; in den Forderungen, die auf die Aufhebung der Unterdrückung von Frauen in allen Aspekten zielen.
Dieses Denken in Alternativen zum weltweiten neoliberalen "Terror der Ökonomie" muss notwendigerweise ein pluralistisches Denken sein. Am WSF nahmen ja z.B. hunderte linke Parteien teil, die sich dort mit Organisationen wie Via Campesina ausgetauscht haben. Entsprechend reichte das Spektrum der in Porto Alegre in mehreren Tausend Veranstaltungen zur Diskussion gestellten Alternativen von katholisch inspirierten Produktiv- und Konsumgenossenschaften bis zur Solidarisierung mit dem bewaffneten Kampf von Organisationen wie der FARC Kolumbiens. Ein sehr breites Spektrum also, das in der Idee konvergiert, dass es um einen gemeinsamen Widerstand gegen die transnationalen Konzerne und die von ihnen ausgehenden Strukturen geht. Diese Pluralität ist die Voraussetzung dafür, der neoliberalen Hegemonie eine Alternative gegenüber zu stellen.
Faszinierend war, wie sich im Laufe der unzähligen Debatten die Grundstimmung der Konferenz radikalisiert hat. Der Ausgangspunkt war die "andere Welt", die einmal als Möglichkeit gedacht wurde, und am Ende stand der Slogan "Globalisieren wir den Kampf, globalisieren wir die Hoffnung", in dem ausgedrückt ist, dass das bloße Denken in Alternativen nicht ausreicht, sondern, dass sich diese globale Bewegung antikapitalistischen Typs zu einer globalen Aktion befähigen muss. Und in diesem Sinne wurden die gemeinsamen Ziele festgelegt, wie etwa Aktionen zum EU-Gipfel im Juni, zum G8-Gipfel in Toronto oder auch eine Kampagne gegen den Coca Cola-Konzern.

Bisher setzte die globalisierungskritische Bewegung ja vor allem auf die öffentliche Aufmerksamkeit, die ihr anlässlich von Protesten gegen Gipfeltreffen der neoliberalen Globalisierungseliten zuteil wurde. Inwiefern macht Porto Alegre 2002 diesbezüglich einen Unterschied?

Ein wichtiger Erfolg des Forums war, dass die Bewegung auch in Hinblick auf ihre Kommunikation eine kritische Masse überschritten hat. Man muss sich z.B. vergegenwärtigen, dass etwa 40.000 der Teilnehmenden aus dem lateinamerikanischen Raum kamen, und die strahlen die Erfahrungen der Debatten in ihre Bewegungen und Zusammenhänge aus, und in diesem Sinne entsteht natürlich auch ein anderer Diskurs.
Porto Alegre kommuniziert sich auch deswegen, weil dort derart viele Menschen die Erfahrung gemacht haben, dass es Sinn macht, über eine andere Welt zu diskutieren, und man sich sogar auf gemeinsame Aktionen einigen kann, mit denen sie angestrebt werden soll. Und in einem solchen Moment, in dem die Bewegung eine solche Breite erreicht hat, wo sie selbst schon einen kommunikativen Faktor darstellt, konnten auch die großen Medien nicht an ihr vorbeischauen.
Lehrreich ist auch der Umgang der Bewegung mit neuen Kommunikations- und Organisationsmodellen. Auf der Auftaktkundgebung von 100.000 Menschen in Porto Alegre wurde die parallele Demonstration in New York gegen das Weltwirtschaftsforum live übertragen und umgekehrt. Die jeweiligen RednerInnen haben sich auf einander bezogen, eigentlich war es eine gemeinsame Demonstration des Nordens und des Südens. Das macht sichtbar, dass die globalisierungskritische Bewegung nicht gegen oder neben modernen Kommunikationstechnologien agiert, sondern diese Technologien aufgreift, sie mit ihrer Kultur und ihren politischen Zielen verbindet. Sie stellt damit nicht nur in ihren Inhalten, sondern auch in ihren Formen eine avantgardistische Bewegung dar.

Das von dir beschriebene breite Spektrum an thematischen und organisatorischen Zugängen ist zwar für die globalisierungskritische Bewegung konstitutiv, stellt aber andererseits für die traditionelle Linke eine Herausforderung, wenn nicht gar eine Provokation dar.

Ich sehe das als dialektisches Problem: Die inhaltliche Hauptfrage in Porto Alegre war: Wie geht die globale antikapitalistische Bewegung mit dem 11. September und dem US-Krieg um? Gibt es eine gemeinsame Formel, auf die sich die unterschiedlichen Zugänge verständigen können? Und diese Formel wurde gefunden in der Formulierung, dass wir uns gerade weil wir den Terrorismus ablehnen dem Krieg der USA widersetzen. Eine neue Lage entsteht dadurch, dass es nicht mehr nur um einzelne Kriege der reichen mächtigen Staaten gegen den Süden geht, sondern um einen permanenten Krieg der "niedrigen Intensität", einen andauernden Weltbürgerkrieg. Deshalb lässt sich der Kampf um weltweite soziale Gerechtigkeit nicht vom Kampf um Frieden und gemeinsame Sicherheit abtrennen. Einigen TeilnehmerInnen des ParlarmentarierInnen-Forums war diese Stoßrichtung zu radikal, aber trotzdem wurde sie in der Schlusserklärung des WSF deutlich gemacht. Denn in diesem entscheidenden Punkt fokussierten sich dann tatsächlich die unterschiedlichsten politischen Ansätze. Die Dialektik besteht darin, dass solche als Fokus dienenden klaren Positionsbestimmungen nicht ausschließen, dass eine ungeheure Bandbreite an Auffassungen und Analysen nebeneinander existiert.
Was wir in Porto Alegre erlebt haben, war möglicherweise ein Schritt in Richtung der Konstituierung eines revolutionären Subjekts des 21. Jahrhunderts. Eines globalen Subjekts, das gleichzeitig proletarisch ist, weil es sich aus den unterdrücktesten Schichten der Weltgesellschaft zusammensetzt, sich in ihm Frauen und Männer, Repräsentanten aus Gewerkschaften, der Landlosenbewegungen, der indigenen Völker, AnhängerInnen der politischen Linken und sozial engagierter Strömungen der verschiedenen Kirchen zusammenfinden. Nur so kann ein revolutionäres Subjekt entstehen, erfordert doch jeder Schritt des Widerstands und erst recht jede Revolution Zusammenwirken und Allianzen verschiedener Interessen und Ideologien. Zum Subjekt wird diese Allianz aber vor allem durch die Fähigkeit, gemeinsame Aktionen zu organisieren, z.B. am 23. Juni in Barcelona aus Anlass des EU-Gipfels zu demonstrieren, oder im November in Florenz das European Social Forum zu gründen.

Kannst du die Pläne für Florenz etwas präziser erläutern?

Unter anderem haben wir in einer Konferenz der EuropäerInnen beschlossen, im November in Florenz das European Social Forum als Teil des globalen Netzwerkes zu gründen. Im März wird in Brüssel und im April in Wien ein Vorbereitungstreffen stattfinden.
Das European Social Forum wird wie die anderen regionalen Foren durch eine spezifische Form der Zusammenarbeit von politischen Parteien und Nicht-Regierungs-Organisationen gekennzeichnet sein. Die Netzwerke der NGOs, Parteien und Gruppen werden durch die beteiligten Personen konstituiert und bestimmt werden. Politische Parteien können und sollen diesen Prozess unterstützen.

Ein wichtiges Moment, das die globalisierungskritische Bewegung von anderen — auch von transnationalen — Bewegungen unterscheidet, ist die Tatsache, dass nicht ein Prozess der Formierung von oben stattfindet, sondern dass sich die Bewegung — aber auch ihre "Ideologie" — von der Basis her durch einen permanenten Vernetzungsprozess entwickelt.

Vor allem darf man nicht übersehen, dass auch das WSF ein widersprüchlicher und konfliktreicher Prozess ist. So hat sich etwa die Sozialistische Internationale sehr angestrengt, Porto Alegre in ihrem Sinn zu beeinflussen. Der Prozess zeichnet sich dadurch aus, dass die politischen Ziele der Bewegung tatsächlich von unten nach oben bestimmt werden. Es bildet sich dabei nicht eine Ideologie der Bewegung, sondern weit eher ein gemeinsamer Diskurs heraus, an dem unterschiedliche Ideologien teilnehmen und auf ihn einwirken. Die andere Seite ergibt sich dadurch, dass die verschiedenen politischen Gruppierungen sich in die Debatte einbringen und dabei ihre eigene Konzeption zur Diskussion stellen. Die Bewegung eignet sich ja auch inhaltliche und kulturelle Formen der bestehenden politischen Formationen an. Faszinierend war, wie die Kultur der kommunistischen Arbeiterbewegung, die Rhetorik eines proletarischen Internationalismus von der Bewegung aufgenommen wurde, etwa der Erste Mai mit großer Selbstverständlichkeit in den globalen Aktionskalender aufgenommen wurde.
Die Bewegung bildet sich also einerseits von der Basis ausgehend "nach oben" aus, gleichzeitig wirken auf sie aber auch, und zwar auf allen Ebenen, die bestehenden politischen Strukturen ein. So haben auch einige Kommunistische Parteien zum Erfolg von Porto Alegre beigetragen Vor allem ist die Kommunistische Partei Cubas ein Fixpunkt für die verschiedenen politischen Bewegungen Lateinamerikas, die Kuba — auch trotz einiger Kritiken — als ihre "homebase" betrachten. Der europäische Marxismus hat sich im Rahmen der "Transform"-Konferenz, einem neu gegründeten Netzwerk der Forschungs-Bildungsinstitutionen linker europäischer Parteien, in Porto Alegre einer großen lateinamerikanischen Öffentlichkeit präsentieren können. Und der dritte herausragende Beitrag, den ich erwähnen möchte, ist der der der Rifondazione Comunista Italiens, die mit über 200 Delgierten anwesend und beispielsweise wesentlich daran beteiligt war, dass im ParlamentarierInnenforum eine konsequente Antikriegsposition formuliert werden konnte.
Vor allem auch angesichts dieser Erfahrungen halte ich den Prozess, der in Porto Alegre angestoßen wurde, für eine große Herausforderung und Chance für unsere Bewegung. Vor allem deshalb, weil aus der Perspektive eines kleinen reichen Landes des Nordens der Zusammenhang der eigenen Kämpfe mit den globalen Strukturen des Kapitalismus nicht sofort klar ersichtlich ist. Aber wir müssen uns bewusst sein, wenn es etwa um die Privatisierung der Sozialversicherungen oder der öffentlichen Dienste in den Kommunen geht, konfrontiert uns das nicht nur mit den Herren Schüssel, Haupt und Bartenstein, sondern vor allem mit den großen transnationalen Konzernen, der EU und den Think Tanks des Großkapitals. So hat jeder dieser Kämpfe eine globale Dimension. Und nur in dieser globalen Dimension wird eine andere Welt möglich.


Interview: Günther Hopfgartner

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