POSITIONEN & THEMEN
Von: Manfred Mugrauer (19.12.2017)
Die Wiener Kultusgemeinde als Politikfeld der KPÖ nach 1945
Artikel zuerst erschienen in der Dezember-Ausgabe der Volksstimme
1938 lebten in Wien rund 180.000 Jüdinnen und Juden, womit die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) der Bundeshauptstadt die größte im deutschsprachigen Raum darstellte. 1945 wurde die Gemeinde von Überlebenden der Konzentrationslager, RemigrantInnen und jenen, welche die NS-Zeit als »U-Boote« oder in Mischehen überlebt hatten, wieder aufgebaut. Infolge von Vertreibung und Vernichtung in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur gehörten ihr im November 1945 nur noch ca. 4.800 Mitglieder an. Kommunistische FunktionärInnen nahmen nach der Befreiung Österreichs einige Jahre lang eine dominierende Stellung in der IKG ein.
In der Ersten Republik war die IKG kein Politikfeld für die KPÖ. Die
Hinwendung zum Kommunismus war in der Regel mit einer Abwendung von der
jüdischen Religion verbunden, weshalb die meisten Parteimitglieder in den
1920er-Jahren aus der IKG austraten. Das starke Engagement von KommunistInnen in
der Kultusgemeinde in der unmittelbaren Nachkriegszeit war Ausdruck eines
gewandelten Selbst- und Politikverständnisses: Als verantwortungsbewusste
Staatspartei – die KPÖ zählte neben SPÖ und ÖVP zu den Gründerparteien
der Zweiten Republik – fungierte sie in allen Bereichen des
gesellschaftlichen Lebens als maßgebliche Kraft des demokratischen
Wiederaufbaus.
Begünstigt wurde die starke Stellung der KommunistInnen innerhalb der IKG durch
die Tatsache, dass mit Ernst Fischer ein der KPÖ angehörender Staatssekretär
für das Kultuswesen zuständig war. Am 24. September 1945 setzte Fischer den
Kommunisten David Brill als provisorischen Leiter der IKG ein. Brill hatte die
NS-Zeit aufgrund seiner Ehe mit einer Nichtjüdin als Zwangsarbeiter in Wien
überlebt. Er gehörte der KPÖ seit 1923 an, war Redakteur der Parteizeitung
Rote Fahne und arbeitete 1945 als Sekretär des KPÖ-Vorsitzenden Johann
Koplenig in der Staatskanzlei. Brill blieb bis 1948 Präsident der IKG.
Bis etwa 1947/48 sympathisierte die überwiegende Mehrheit der Wiener Jüdinnen
und Juden mit der KPÖ, was neben weltpolitischen Veränderungen und der
Befreiungstat der Roten Armee auch mit der führenden Rolle der Partei im
antifaschistischen Widerstand und ihrer Politik in den westlichen Exilländern
zu tun hatte. Ein wesentlicher Faktor für das kommunistische Übergewicht
innerhalb der IKG war die Tatsache, dass vertriebene Mitglieder und
SympathisantInnen der KPÖ aufgrund ihres politischen Selbstverständnisses um
eine baldige Rückkehr nach Österreich bemüht waren, um am Wiederaufbau
teilnehmen zu können. Darüber hinaus war es der Politik des Free Austrian
Movement im englischen Exil zu verdanken, dass sich eine große Zahl der
»unpolitischen« Jüdinnen und Juden, die bis dahin mit der KPÖ nicht in
Berührung gekommen waren, im Umfeld der kommunistischen Exilorganisationen
verortete. 1943 wurde vom FAM die Parole »Österreichische Juden, geht nach
Österreich zurück!« als Perspektive für die Zeit nach der Niederlage des
Faschismus ausgegeben.
»Massenarbeit« und Interessenpolitik
In ihrer überwiegenden Mehrzahl verstanden sich die KPÖ-Mitglieder mit
jüdischem Hintergrund nicht als Jüdinnen und Juden, sondern als
österreichisch-patriotische KommunistInnen, die trotz Shoah um eine
Assimilation bemüht waren. Dem entsprach die Ablehnung einer Unterscheidung
zwischen Juden und Nichtjuden innerhalb der Parteistrukturen. Jüdische
RemigrantInnen waren hier auf allen Ebenen – auch in der Führung der
Partei – prominent vertreten, ohne dass eine solche Selbst- oder
Fremdwahrnehmung eine Rolle gespielt hätte.
Die IKG war für die KPÖ nach 1945 weniger als Religionsgemeinschaft von
Interesse denn als »Massenorganisation« zur politischen Arbeit unter
Jüdinnen und Juden. Das kommunistische Engagement in der Gemeinde war eine
Sonderform der im Parteijargon als »Massenarbeit« umschriebenen Politik, die
sonst im einheitlichen Gewerkschaftsbund sowie in formal überparteilichen, de
facto aber KPÖ-nahen Frauen- und Jugendorganisationen verfolgt wurde, um
über enge Parteigrenzen hinaus auf Teile der Bevölkerung auszustrahlen. Die
KPÖ begriff die IKG als eine Art »Gewerkschaft« für Jüdinnen und Juden, als
Politikfeld zur Lösung ihrer spezifischen Probleme und Aufgabenstellungen auf
breiter Grundlage. Ein solches Politikverständnis ermöglichte auch jenen
KommunistInnen ein Engagement in der IKG, die dem Judentum ambivalent gegenüber
standen bzw. am traditionellen Judentum kein Interesse zeigten.
Die kommunistische Dominanz in der IKG resultierte auch aus der konkreten
Interessenpolitik ihrer FunktionärInnen für die Verfolgten des Naziregimes.
Während die IKG vor 1938 ganz auf die religiösen Bedürfnisse ihrer
Mitglieder ausgerichtet war, brachten die politischen Besonderheiten des Jahres
1945 neue Herausforderungen mit sich. Wichtige neue Aufgabenbereiche der IKG
wurden von Kommunisten geleitet, deren Engagement das Prestige der Partei
erhöhten: Akim Lewit, der in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald
interniert gewesen war, leitete das Wiedergutmachungsreferat, dessen
Hauptaufgabe in der Teilnahme an der Opferfürsorge- und
Rückstellungsgesetzgebung bestand. Michael Kohn-Eber leitete das
Wanderungsreferat der IKG, das zunächst für die Wanderungsbewegung von
Jüdinnen und Juden innerhalb Österreichs konzipiert war. Da sich die
österreichische Regierung jedoch für die Rückholung und Betreuung
heimkehrwilliger österreichischer Jüdinnen und Juden unzuständig erklärte,
kümmerte sich das Wanderungsreferat auch um die Rückwanderung, Unterbringung
und Ausspeisung von RemigrantInnen. Kohn-Eber gehörte der KPÖ seit 1919 an
und war zu dieser Zeit führendes Mitglied im Weltverband der Poale
Zion. Nach einer KZ-Haft in Dachau und Buchenwald in den Jahren 1938/39 war
er in Frankreich im Widerstand aktiv. Der dritte kommunistische Referatsleiter
war Eduard Broczyner, der Chefarzt der Invalidenversicherungsanstalt, der
gemeinsam mit dem Sozialdemokraten Otto Wolken für das Gesundheitsreferat der
IKG zuständig war.
Die Jüdische Einigkeit im Kalten Krieg
Entsprechend ihrer allgemeinen Orientierung auf eine breite demokratische
Zusammenarbeit kandidierten die KommunistInnen bei den ersten Kultuswahlen nicht
mit einer eigenen KP-Liste, sondern im Rahmen einer Einheitsliste. Bedingt durch
die Polarisierungen des Kalten Krieges unterlag deren Charakter jedoch einem
Wandel: So handelte es sich bei der Liste der Jüdischen Einigkeit, auf
die am 7. April 1946 2.427 der 2.643 Stimmen und 33 der 36 Mandate
entfielen, um keine KPÖ-nahe Liste, sondern um eine tatsächliche
gesamtjüdische Einheitsliste. Es dürfe keine »Zersplitterung der Kräfte der
wenigen übriggebliebenen Juden Österreichs im Kampfe gegen den Faschismus und
seine Vorstufe, den Antisemitismus« geben, so die Argumentation der
Einigkeit. Im Vertreterkollegium, dem neben dem Präsidenten und den
beiden Vizepräsidenten acht weitere Mitglieder angehörten, waren zunächst
fünf bzw. ab 1947 sechs der KPÖ nahe stehende Kultusvorstände Mitglied.
Die 1948 kandidierende Jüdische Einigkeit stellte hingegen eine
KPÖ-nahe Fraktionsliste dar, nachdem im Vorfeld der Kultuswahlen eine von der
KPÖ angestrebte Einigung gescheitert war und der SPÖ-nahe Bund
werktätiger Juden sowie die zionistisch ausgerichtete Liste der
jüdischen Föderation eine eigenständige Kandidatur favorisierten. Die
von der KPÖ kritisierte Aufsplittung in Parteilisten war ein Resultat der
Zuspitzungen des Kalten Krieges, die auch vor der IKG Wien keinen Halt machten.
Treibende Kraft hinter der Spaltung war der Wiener Vertreter des World
Jewish Congress Ernest Stiaßny, der sich dafür einsetze, dass in der IKG
keine »Volksdemokratie« etabliert werde. Als Argument wurde von ihm auch die
Finanzkraft des amerikanischen Judentums ins Treffen geführt, war doch die IKG
nach 1945 maßgeblich von der finanziellen Unterstützung amerikanischer
Hilfsorganisationen wie dem Joint abhängig. Dessen Opferbereitschaft sollte
nicht durch eine Parteinahme für die Kommunisten strapaziert werden.
Nichtsdestoweniger ging die Jüdische Einigkeit am 11. April 1948 mit
2.263 von 4.955 Stimmen als deutlich stärkste Fraktion aus den Wahlen hervor.
Ungeachtet der Tatsache, dass die Einigkeit elf von insgesamt 24 Mandaten
errungen hatte, formten der Bund und die Jüdische Föderation
eine Zweierkoalition, um eine weitere Amtszeit des kommunistischen Präsidenten
zu verhindern, was nicht nur den Grundsätzen der Demokratie, sondern auch den
bisherigen Gepflogenheiten der IKG widersprach. Die Schärfe der damaligen
Auseinandersetzungen wird dadurch deutlich, dass der Einigkeit,
obwohl sie 43 Prozent der Stimmen erhalten hatte, kein einziger Sitz im
Präsidium und im Vertreterkollegium zugestanden und sie damit aus allen
Bereichen der IKG ausgeschlossen wurde. Ein Resultat dieses
Polarisierungsprozesses war die am 23. November 1948 erfolgte Konstituierung
der Jüdischen Einigkeit als festgefügter Verband, der zwar seine
Überparteilichkeit betonte, dessen KPÖ-Nähe aber unübersehbar war. Als die
vier programmatischen Grundpfeiler der Jüdischen Einigkeit wurden der
Kampf gegen den Antisemitismus, Faschismus und Neonazismus, die
Wiedergutmachung, die »Fortsetzung der großen kulturellen Tradition« sowie
das Eintreten für den Staat Israel im Sinne einer »moralischen, geistigen und
materiellen Unterstützung« genannt.
Die Ausgrenzung der KommunistInnen aus der IKG war damit nicht definitiv
besiegelt, folgte doch im Frühjahr 1949 – vor dem Hintergrund der Gründung
des Verbands der Unabhängigen (VdU) und der damit verbundenen
antisemitischen Gefahren – ein neuerlicher Schulterschluss. Um einen
konfrontativen Wahlkampf zu vermeiden, kandidierte bei den vorgezogenen
Kultuswahlen am 11. Dezember 1949 eine Einheitsliste mit der Bezeichnung
Gesamtjüdische Liste. Verband »Jüdische Einigkeit«, die im
Unterschied zur Einheitsliste des Jahres 1946 stärker den Charakter eines
Wahlbündnisses hatte. Ausschlaggebend für diese Einigung war der Aufstieg des
VdU, der bei den Nationalratswahlen im Oktober 1949 auf Anhieb knapp zwölf
Prozent der Stimmen erreicht hatte. Die Mandatsverteilung wurde durch
Vereinbarung festgelegt, worauf elf der 29 Mandate an die Jüdische
Einigkeit gingen und das Präsidentenamt zwischen den drei führenden
Gruppen der IKG rotierte. Aus diesem Grund wurde von September 1950 bis Mai
1951 mit dem Rechtsanwalt Kurt Heitler erneut ein Kommunist Präsident der
IKG.
Es dauerte allerdings nur wenige Wochen, bis nach Heitlers Amtsantritt die
Konstellation des Kalten Krieges und die antikommunistische Frontstellung erneut
in den Vordergrund traten: Unmittelbarer Anlass war die Tatsache, dass Heitler
in seiner Funktion als IKG-Präsident eine Grußadresse an den im November
1950 stattfindenden zweiten Weltfriedenskongress in Warschau übermittelte.
Da die GegnerInnen der KPÖ die Weltfriedensbewegung als kommunistisches
Manöver betrachteten, wurde Heitler in einer Sitzung des Kultusvorstands das
Misstrauen ausgesprochen, er lehnte aber einen Rücktritt ab.
Ausgrenzung und Selbstausgrenzung
Der in den frühen 1950er-Jahren einsetzende Rückgang des kommunistischen
Einflusses in der IKG ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass die
Ausgrenzung der KommunistInnen mit einer Selbstausgrenzung einherging. Bei den
Kultuswahlen am 20. Jänner 1952 sank die Stimmenzahl für die nun als
Jüdische demokratische Liste (Einigkeit) kandidierende KP-nahe Liste
auf 1.243, was einen Rückgang des Prozentanteils auf 22,52 bedeutete. Ein
Erklärungsfaktor für diese Entwicklung bestand darin, dass sich der
Mitgliederstand der IKG auf mehr als 9.400 verdoppelte und die Rückwanderung
eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu Ungunsten der KPÖ zur Folge
hatte. Die Einigkeit blieb zwar mit fünf von 24 Mandaten
zweitstärkste Fraktion hinter der sozialdemokratischen Liste der werktätigen
Juden, sie wurde aber in das Vertreterkollegium nicht mehr einbezogen.
Es war dem Naheverhältnis der KPÖ zur Sowjetunion geschuldet, dass die
KommunistInnen IKG-intern mit der Situation der Jüdinnen und Juden in den
sozialistischen Ländern konfrontiert wurden. Als 1952 antisemitische
Erscheinungen in Osteuropa als Argument gegen die »Volksdemokratisierung«
der IKG ins Treffen geführt wurden und in der Zeitung der SP-Fraktion zu lesen
war, dass »der Kommunismus heute im jüdischen Leben die gleiche vernichtende
Funktion wie vor Jahren der Nazismus« habe, wusste die Einigkeit
dieser Kampagne nicht mehr entgegenzusetzen als die Zurückweisung von
»Verleumdungen und verlogener Hetze gegen die Sowjetunion und unsere
Nachbarländer«. Auch der Instrumentalisierung antisemitischer Stereotype im
Prager Slánský-Prozess Ende 1952 stand die KPÖ kritiklos gegenüber, was die
KommunistInnen in der IKG in die Isolation führte. Angesichts dessen scheiterte
dort sogar eine Gnadenpetition zu Gunsten der in den USA wegen Spionage zum Tode
verurteilten Ethel und Julius Rosenberg.
Die Aktivitäten der Jüdischen Einigkeit kamen in den folgenden Jahren
de facto zum Erliegen. Da die IKG als Politikfeld für die KPÖ an Bedeutung
einbüßte, waren viele KommunistInnen nicht mehr bereit, die Kultussteuer zu
begleichen und verließen die Gemeinde. Bei den Kultuswahlen am 27. November
1955 erreichte die Einigkeit 786 von 5.405 Stimmen und drei Mandate,
womit sie ihre frühere Stellung als gewichtiger politischer Faktor in der IKG
endgültig einbüßte. Nach zwei Mandaten im Jahr 1959 und einem Mandat im Jahr
1964 schied die Jüdische Einigkeit im Jahr 1968 aus der
IKG aus.
Ausstellungshinweis: »Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden«
»Alle Macht den Sowjets. Frieden, Land und Brot«. Für diese Devisen begeisterten sich auch viele Jüdinnen und Juden. In Russland erhofften sie sich einen Bruch mit dem jahrhundertealten Antisemitismus des Zarenreichs. Die Strahlkraft der Revolution ging weit über die russischen Grenzen hinaus. Weltweit und auch in Österreich begannen Jüdinnen und Juden für die Gleichstellung aller Menschen zu kämpfen und träumten vom Paradies auf Erden. Dabei entstanden enge Beziehungen zwischen österreichischen und russischen MarxistInnen. Oftmals waren es jüdische KommunistInnen, die zwischen diesen beiden Welten vermittelten. Diese Verbindungen auf diplomatischer, politischer, gesellschaftlicher und kultureller Ebene bilden die Ausgangspunkte für die Betrachtung der geschichtlichen Ereignisse beider Länder. Beginnend mit dem Exil Leo Trotzkis in Wien noch vor der Oktoberrevolution und endend mit dem Untergang der Sowjetunion.
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