POSITIONEN & THEMEN
65 Jahre nach der Streikbewegung vom September und Oktober 1950 hat der ÖGB die damals ausgeschlossenen kommunistischen Gewerkschafter*innen rehabilitiert
Vor 65 Jahren, vom 26. September bis zum 5. Oktober 1950, erlebte Österreich die bis damals größte Streikbewegung der Zweiten Republik. Der Massenstreik richtete sich gegen das von der Regierung und Gewerkschaftsvertretern geheim ausgehandelte vierte Abkommen über Lohn- und Preisfragen, das auf eine neuerliche Reallohnsenkung hinauslief. Die KPÖ sprach sich strikt gegen den „Preistreiberpakt“ aus und erkannte im Streik das einzige Mittel, die Regierung zur Rücknahme des Abkommens zu zwingen. Insgesamt beteiligten sich am Oktoberstreik 769 Betriebe mit knapp 190.000 Beschäftigten.
„Kommunistischer Putschversuch“? Der Oktoberstreik ist
bis heute einer der umstrittensten „Erinnerungsorte“ der Zweiten Republik.
Ungeachtet der Tatsache, dass es sich bei der Streikbewegung um eine spontane
Aktion der unzufriedenen ArbeiterInnenschaft über Parteigrenzen hinweg
handelte, wurde die Lohnbewegung bis in die jüngere Vergangenheit herauf als
ein von langer Hand geplanter Umsturzversuch der KPÖ denunziert. Der ÖGB war
neben der Bundesregierung und den beiden Großparteien einer der Hauptträger
der Putschthese. So wurde bereits in den Streiktagen vom ÖGB eine massive
Gegenkampagne gestartet, um den Protest der ArbeiterInnenschaft gegen die
sozialen Belastungen als kommunistischen Putschversuch zu diskreditieren.
In der Zeitgeschichtsforschung gilt die Putschthese bereits seit den 1970er
Jahren als überwunden. Dies änderte jedoch nichts an der fortwährenden
Präsenz dieser Geschichtslegende in der öffentlichen Wahrnehmung, ist sie doch
nach wie vor nicht wegzudenken aus PolitikerInnenreden, aus der
Memoirenliteratur, aus massenmedial verbreiteten Zeitungsartikeln und
populärgeschichtlichen Darstellungen.
Maßregelungen und Ausschlüsse Nach Streikende wurden Dutzende GewerkschaftsfunktionärInnen ihrer Funktion enthoben und 85 streikende ArbeiterInnen aus dem ÖGB ausgeschlossen. Insgesamt wurden etwa 1.000 ArbeiterInnen entlassen oder gekündigt, der Großteil in der VÖEST Linz und den Steyr-Werken. Standen bereits die Vorjahre im Zeichen der Zurückdrängung des kommunistischen Einflusses in den Betrieben und Gewerkschaften, nutzte die ÖGB-Spitze nun die Ereignisse, um KommunistInnen aus den leitenden Gremien und führenden Positionen auszuschalten. Neben dem Vizepräsidenten Gottlieb Fiala wurden zehn weitere kommunistische Gewerkschaftssekretäre fristlos entlassen bzw. gekündigt. In einigen Teilgewerkschaften wurden die kommunistischen Mitglieder aus den Vorständen entfernt und führende Funktionäre enthoben, etwa der leitende Zentralsekretär der Gewerkschaft der Angestellten in der Privatwirtschaft Otto Horn, sowie Leopold Hrdlicka (Privatangestellte), Hans Kouril (öffentliche Angestellte), Egon Kodicek (Textilarbeiter) und Fritz Neubauer (Bau-Holz) als stellvertretende Vorsitzende ihrer jeweiligen Gewerkschaft.
Historiker*innenkommission In den Folgejahren wurden
einige der ausgeschlossenen Gewerkschaftsmitglieder auf individuelle Ansuchen
hin wieder in den ÖGB aufgenommen. Es handelte sich dabei um stillschweigende
Maßnahmen, ohne die Rechtmäßigkeit der 1950 verhängten Sanktionen in Frage
zu stellen. Anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung des ÖGB ist der
Gewerkschaftliche Linksblock (GLB) im Frühjahr dieses Jahres an die
Geschäftsleitung des ÖGB herangetreten, dessen Mitbegründer und ersten
Vizepräsidenten Gottlieb Fiala – und mit ihm alle nach dem Oktoberstreik
ausgeschlossenen KollegInnen – zu rehabilitieren und die damaligen
Maßregelungen für ungültig zu erklären. In Reaktion darauf hat der
ÖGB-Bundesvorstand eine HistorikerInnenkommission eingesetzt, der zwei vom
ÖGB namhaft gemachte HistorikerInnen – Peter Autengruber (Leiter des
ÖGB-Verlags) und Brigitte Pellar (ehemalige Leiterin des Instituts für
Gewerkschafts- und Arbeiterkammergeschichte) – sowie zwei vom GLB
nominierte Mitglieder – Hans Hautmann (vormals Universitätsprofessor für
Neuere und Zeitgeschichte an der Universität Linz) und Manfred Mugrauer (Alfred
Klahr Gesellschaft) – angehörten.
Die Historiker*innenkommission erarbeitete einen Bericht, in dem festgehalten
wird, dass die Streikbewegung nicht als kommunistischer Putschversuch zu
interpretieren ist. Als Schlussfolgerung wurden den zuständigen Gremien die
Rehabilitierung der damals Ausgeschlossenen und ihre posthume Anerkennung als
Gewerkschaftsmitglieder empfohlen. Konkret konnten von der Kommission auf
Basis von Archivmaterialien und gedruckten zeitgenössischen Quellen 62 Namen
der insgesamt 85 Ausgeschlossenen festgestellt werden.
Einstimmiger Beschluss Am 29. Oktober befasste sich
schließlich der Bundesvorstand des ÖGB mit der Neubewertung des
Oktoberstreiks, wobei einstimmig – also mit den Stimmen aller Fraktionen –
beschlossen wurde, die Behauptung, dass es sich dabei um einen kommunistischen
Putschversuch gehandelt habe, als widerlegt zu betrachten. Geht es nach der
ÖGB-Führung, so soll sich der Beschluss offenbar primär nach innen richten,
wurde er doch weder in der anschließenden Presseaussendung erwähnt noch ist er
auf der Homepage des ÖGB abrufbar. Er zielt etwa darauf ab, die
gewerkschaftlichen Bildungsunterlagen der neuen Beschlusslage anzupassen, also
in den Gewerkschaftsschulen Klarheit über den Charakter der Streikbewegung zu
schaffen.
Eine gewisse Halbherzigkeit lässt sich aus der abschließenden Formulierung des
Beschlusses herauslesen: Darin wird zwar festgehalten, dass die gemaßregelten
Gewerkschaftsmitglieder „nach heutigem Wissensstand nicht auszuschließen
gewesen wären“, gleichzeitig wird aber vermieden, expressis verbis von einer
Rehabilitierung der damals ausgeschlossenen KollegInnen zu sprechen. Die
Rehabilitation hätte „eine höhere Qualität, wenn sich der Bundesvorstand zu
der Empfehlung der HistiorikerInnenkommission durchgerungen hätte und die
Ausschlüsse für nichtig erklärt hätte“, kritisierte GLB-Bundesvorsitzender
Josef Stingl in der Sitzung des Bundesvorstands. Nichtsdestoweniger ist dieser
Beschluss des ÖGB-Bundesvorstands ein bedeutender Markstein in der
Rezeptionsgeschichte des Oktoberstreiks, markiert er doch den
innergewerkschaftlichen Schlusspunkt unter den überaus langlebigen Mythos vom
„Kommunistenputsch“.
Veranstaltungshinweis zum Thema
Oktoberstreik 1950: Von der Putschlegende zur
Rehabilitierung
Samstag, 21. November 2015, 19:00 Uhr
Veranstaltungssaal der KPÖ, Gußhausstraße 14/3, 1040 Wien
Mit:
Peter Autengruber (Leiter des ÖGB-Verlags)
Manfred Mugrauer (Alfred Klahr Gesellschaft)
Josef Stingl (Bundesvorsitzender des GLB)
Moderation: Michael Graber (KPÖ)
Eine Veranstaltung von Alfred Klahr Gesellschaft, GLB und KPÖ