POSITIONEN & THEMEN
Von Michael Graber (14.1.2014)
Der Leiter der wirtschaftwissenschaftlichen Abteilung der Arbeiterkammer Wien, Markus Marterbauer, von dem sonst meist Vernünftiges zu hören ist, macht darauf aufmerksam, daß bei den letzten Lohnabschlüssen in der Elektro- und Elektronikindustrie sowie in der Stahlindustrie und im Bergbau 2013 die bemerkenswerteste Innovation, und der größte soziale Fortschritt der letzten Jahren gelungen sei.
Worum handelt es sich? Es geht um die sogenannte Freizeitoption. Auf der Basis einer Betriebsvereinbarung kann eine individuelle Vereinbarung über die Möglichkeit einer Umwandlung der Ist-Lohnerhöhung in konsumierbare Freizeit abgeschlossen werden. Erhöht sich zum Beispiel der Istlohn um drei Prozent kann dieser in eine Reduktion der Arbeitszeit im gleichen Ausmaß abgetauscht werden, zum Beispiel in eine Verlängerung des Jahresurlaubs.
Die Gewerkschaften seien damit auf einem richtigen Weg. Werde die Option über mehrere Kollektivverrtagsrunden eingesetzt, seien nennenswerte Wohlfahrtsgewinne für die ArbeitnehmerInnen erreichbar, so Marterbauer.
Aber ist das wirklich der richtige Weg?
Zunächst fällt mir dazu ein, daß damit die Forderung nach einer generell zu erreichenden sechsten natürlich bezahlten Urlaubswoche für alle unterlaufen wird. Aber die Folgen sind weitaus gravierender. Die ArbeitnehmerIn soll nach diesem Modell zunächst auf die ihr zustehende Lohnerhöhung verzichten. Lohnerhöhungen sind aber in der Regel kein Mehrleistung des Arbeitgebers, sondern eine Abgeltung bereits erlittener Verluste der ArbeitnehmerInnen. Erstens Verlust des Werts des bisher bezahlten Lohns durch die Teuerung und zweitens durch die Nichtbezahlung der durch die Produktivitätssteigerung bereits erbrachten
Mehrleistungen der ArbeitnehmerInnen.
Auf beides soll also verzichtet werden. Was bekommt die ArbeitnehmerIn dafür? Unbezahlte Freizeit. Und das nur einmal im Jahr. Der Lohnrückstand summiert sich allerdings in den folgenden Jahren, da ja die nächste Lohnerhöhung (sofern sie stattfindet) von einem niedrigeren Istlohn ausgeht. Wird, wie das Marterbauer empfiehlt, die Freizeitoption mehrere Jahre gewählt, koppelt sich die ArbeitnehmerIn faktisch von der ihr zustehenden Lohnentwicklung ab, Kaufkraft- und spätere Pensionsverluste inklusive.
Was also ist daran innovativ? Die österreichische Realität ist die, daß die Teuerung der letzten Jahre mit Müh und Not zumindest für die DurchschittsverdienerInnen abgegolten wurde. Für die untersten Lohngruppen steht ein Reallohnverlust in den Statistiken. Die Produktivitätssteigerungen werden aber seit über zwei Jahrzehnten nicht mehr abgegolten. Sie kommen ausschließlich den Profiten zugute. Um marxistisch gesprochen die Mehrwertrate konstant zu halten, also den Ausbeutungsgrad nicht steigen zu lassen, müßte die Produktivitätssteigerung im gleichen Ausmaß zu einer Steigerung der Reallöhne führen. Da das aber nicht der Fall ist, geht der Anteil der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen kontinuierlich zurück, während die Profite anteilsmäßig am Volkseinkommen ebenso kontinuierlich steigen.
Diese Entwicklung würde eine Dreißigstundenwoche in der ganzen Gesellschaft bei vollem Lohnausgleich schon lange ermöglichen. Jetzt soll aber als innovativ gelten, mit unbezahlter Freizeit zu bezahlen, was den ArbeitnehmerInnen schon lange zusteht: durch vollen Lohnausgleich bezahlte Arbeitszeitverkürzung.
Wer immer in den Gewerkschaften auf diese Idee gekommen ist und wer diese noch dazu anpreist, hat den Anspruch den gesellschaftlichen Reichtum für jene zu erwerben, die ihn produzieren, aufgegeben um ihn innovativ den Profiten der Konzerne und Banken, und nicht zuletzt der Spekulation wie gehabt zu überlassen.