KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Schlecht für die Juden

Von Eric Hobsbawn (3.2.2009)

Der Krieg gegen Gaza hat die Zukunftsaussichten Israels verschlechtert und befördert den Antisemitismus in der Welt. Von Eric Hobsbawm

Drei Wochen lang ist die Barbarei vor einem weltweiten Publikum gezeigt worden, das zugeschaut, sich seine Meinung gebildet und, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Israels bewaffneten Terror gegen 1,5 Millionen Einwohner, die seit 2006 im Gaza-Streifen blockiert werden, zurückgewiesen hat. Niemals zuvor wurden die offiziellen Rechtfertigungen für die Invasion offensichtlicher durch die Kombination von Fernsehbildern und Arithmetik widerlegt; oder der Neusprech von »militärischen Zielen« durch die Bilder von blutenden Kindern und brennenden Schulen. Dreizehn Tote auf der einen Seite, 1360 auf der anderen: Es fällt nicht schwer, herauszufinden, welche Seite das Opfer ist. Viel mehr braucht niemand über Israels entsetzliche Operation in Gaza zu sagen.

Außer denen unter uns, die Juden sind. In einer langen und unsicheren Geschichte als Volk in der Diaspora hat unsere natürliche Reaktion auf öffentliche Ereignisse unvermeidlich die Frage enthalten: »Ist es gut oder schlecht für die Juden?« In diesem Fall ist die Antwort unmißverständlich: »Schlecht für die Juden«.

Es ist offensichtlich schlecht für die 5,5 Millionen Juden, die in Israel und in den seit 1967 besetzten Gebieten leben. Ihre Sicherheit wird durch militärische Aktionen gefährdet, die israelische Regierungen in Gaza und im Libanon unternehmen. Solche Aktionen zeigen deren Unfähigkeit, die erklärten Ziele zu erreichen, und verewigen und intensivieren Israels Isolation im feindlichen Nahen Osten. Weder Völkermord noch Massenaustreibung der Palästinenser aus dem, was von ihrem Land übriggeblieben ist, noch etwaige Zerstörung des Staates Israel stehen auf irgendeiner Tagesordnung praktischer Politik. Nur ausgehandelte Koexistenz unter gleichen Bedingungen zwischen den beiden Konfliktparteien kann eine stabile Zukunft gewähren. Jedes neue militärische Abenteuer wie in Gaza und Libanon wird eine solche Lösung erschweren und die israelische Rechte und die Siedler in der Westbank stärken, die sowieso diese Lösung nicht wollen.

Ebenso wie der Libanon-Krieg im Jahre 2006 hat der Gaza-Krieg Israels Zukunftsaussichten verdüstert. Er hat auch die Aussicht für die neun Millionen Juden verdüstert, die in der Diaspora leben. Reden wir nicht um den heißen Brei herum: Kritik an Israel bedeutet nicht unbedingt Antisemitismus, aber Israels Regierungshan­dlungen rufen Scham unter den Juden und heute mehr Antisemitismus als alles andere hervor. Seit 1945 haben Juden, innerhalb und außerhalb Israels, enorm von dem schlechten Gewissen jener westlichen Welt gezehrt, die jüdische Einwanderung in den 1930er Jahren verweigerte, Völkermord beging oder darin versagte, ihm zu widerstehen. Wieviel von dem schlechten Gewissen, das praktisch 60 Jahre lang Antisemitismus im Westen ausgeschlossen und ein goldenes Zeitalter für die Diaspora produziert hat, ist heute übriggeblieben?

Israel ist, wie Gaza zeigt, nicht das Opfervolk der Geschichte, auch nicht das »tapfere kleine Israel« der Jahre 1948 bis 1967, wie es der Mythos von einem David, der all seine ihn umgebenden Goliaths besiegt haben will. Israel verliert das internationale Wohlwollen so schnell wie die Vereinigten Staaten es unter George W. Bush verloren, und zwar aus ähnlichen Gründen: nationalistische Blindheit und Größenwahn militärischer Macht. Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem, was gut ist für Israel, und dem, was gut für alle Juden in der Welt ist. Aber bis es eine gerechte Antwort auf die palästinensische Frage gibt, ist und kann es nicht dasselbe sein. Und dies zu sagen, ist heute für Juden unumgänglich.

Eric Hobsbawm ist Historiker und lebt in Großbritannien. Sein Artikel erschien zuerst in London Review of Books (www.lrb.co.uk). Übersetzung: Friedrich-Martin Balzer und Georg Fülberth

Quelle. Junge Welt, 3.2.2009, www.jungewelt.de

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