KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Zur Bedeutung der Neutralität

Einundvierzig Jahre ist es her, daß der österreichische Nationalrat ein Gesetz verabschiedete, das gemeinsam mit dem Staatsvertrag eine ganze Periode unserer Geschichte abschloß und unser Land nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in seine volle Souveränität einsetzte. Es war kein alltägliches Gesetz, sondern eines von besonderem Gewicht, im Verfassungsrang, das Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität. Österreich erklärte es aus "freien Stücken", was so viel heißt wie "nicht dazu gezwungen", "frei entscheidend", "aus eigenem Willen".

Als Zweck dieser Willensentscheidung zum neutralen Status wurde nicht bloß die militärische Bündnislosigkeit, die Nichtteilnahme an Kriegen und die Nichtzulassung militärischer Stützpunkte auf österreichischem Territorium proklamiert. Die immerwährende Neutralität sollte vielmehr, wie es im Gesetz heißt, die dauernde Behauptung der Unabhängigkeit Österreichs nach außen und die Unverletzlichkeit seines Gebiets gewährleisten. Und wenn von der Erhaltung der Unabhängigkeit die Rede war, dann war damit eindeutig die Unabhängigkeit von Deutschland gemeint, denn eine Bedrohung von jemand anderem hatte es vorher nicht gegeben.

Hier muß daran erinnert werden, daß die Neutralität in den Jahren vor 1955 von der ÖVP, SPÖ und dem Vorläufer der Freiheitlichen Partei, der VdU, die längste Zeit abgelehnt wurde. Ein Land, das sich zu "westlichen Werten" bekenne, so wurde argumentiert, dürfe sich nicht die "Standpunktlosigkeit eines farblosen Neutralismus" aufoktroyieren lassen. Nur die Kommunistische Partei Österreichs hat seit 1953 den neutralen Status gefordert und ist in dieser Sache nach einer vorübergehenden kurzen Schwankung im Jahr 1954 konsequent geblieben.

Als es dann zur Vereinbarung in Moskau im April 1955 kam, die den Weg zum Staatsvertrag ebnete, gingen auch die ÖVP und SPÖ auf die Position der Neutralität über. Ihre Abgeordneten waren es, die gemeinsam mit den Mandataren der KPÖ am 26. Oktober 1955 das Neutralitätsgesetz mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die Vorläufer der Freiheitlichen hingegen - und auch daran ist es nützlich und lehrreich zu erinnern - stimmten dagegen. Damit kann die Haider-Partei für sich beanspruchen, immer schon gegen die Neutralität gewesen zu sein.

Wie wir wissen, ist Österreich in den Jahrzehnten danach mit der Neutralität gut gefahren. Mehr noch: der Weg vom Anschlußgedanken des Jahres 1918 zur Neutralitätserklärung 1955 war der Weg Österreichs zu sich selbst, der Weg aus gefährlichen Abenteuern zu günstigen, ja idealen Voraussetzungen seiner staatlichen Existenz. Die Neutralität war und ist dem Kleinstaatstatus Österreichs einzig adäquat und wie auf den Leib geschneidert. Österreich hat auch ein durchaus eigenständiges Neutralitätsverständnis entwickelt, eine aktive Neutralitätspolitik betrieben, die die Möglichkeiten zu einem kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Brückenschlag zwischen Ost und West, zum Engagement in internationalen Friedensaufgaben nützte.

Dadurch gewann Österreich in der Staatenwelt ein hohes Ansehen, es wurde als ein Ort geachtet, wo Begegnung und Austausch, Vermittlung und Gespräch in Konfliktfällen der internationalen Beziehungen stattfinden konnten. Die Anerkennung dieser Tatsache blieb nicht aus. Wien wurde neben New York und Genf zum dritten Hauptsitz der Vereinten Nationen, Österreich wirkte im UNO-Sicherheitsrat mit und spielte eine wichtige und positive Rolle bei UNO-Friedensmissionen und im Prozeß der KSZE in den siebziger und achtziger Jahren. Alles das hat die internationale Stellung Österreichs gestärkt und gegenüber der Situation in den Jahrzehnten vor 1955 unvergleichlich verbessert.

Es wäre aber falsch, zu verschweigen, daß die österreichische Bundesregierung noch weiterreichende Beiträge leisten hätte können. Es hat immer Kräfte bei uns gegeben, die die Neutralität als eine ausschließlich militärische ansahen und alternative Konzepte zur Abrüstung, Entmilitarisierung und Friedenssicherung, wie sie von der Friedensbewegung vorgeschlagen wurden, unberücksichtigt ließen. Ein Hauptstützpunkt dieser Kräfte war das Offizierskorps des Bundesheeres, das Verbindungen zur NATO knüpfte und ihr über die Radar- und Abhörstationen im Osten Österreichs geheime Nachrichten über die Länder des Warschauer Pakts zukommen ließ. Konsequenterweise ist heute die Bundesheergeneralität mit ihrem Minister Fasslabend an der Spitze der vehementeste Befürworter der Aufgabe der Neutralität und des Beitritts zur NATO.

Die Neutralität hatte aber nicht nur außenpolitische Bedeutung. Sie war auch nie ein bloß völkerrechtliches Instrument. Sie hatte auch eine zutiefst politische Funktion bei der Herausbildung und Festigung der nationalen Identität der Österreicher. Wenn im Jahr 1956 nur 49 Prozent der Österreicher bejahten, daß sie eine eigenständige Nation seien und dieser Prozentsatz heute, im Jahr 1996, auf 78 Prozent angewachsen ist, dann ist das auch und sogar in erster Linie der Neutralitätspolitik geschuldet, weil sie ein identitätsstiftender Ausdruck für den Eigenwillen und das Eigenleben der Republik Österreich ist.

Entgegen diesem Willen und Grundgefühl der großen Mehrheit der österreichischen Bevölkerung betreiben die politischen Eliten bei uns nun schon seit Jahren eine systematische Aushöhlung und Demontage der Neutralität. Begonnen hat das um das Jahr 1987 noch in der Gorbatschow-Ära, als sichtbar wurde, daß es mit der Sowjetunion und dem System des realen Sozialismus in Europa bergab ging.

Nach den Ereignissen von 1989 und dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde dann die Neutralität plötzlich als überholt und wertlos erklärt, als Relikt einer besonderen Situation der Kalten-Kriegs-Vergangeneit, die nun durch den Wegfall der Ost-West-Konfrontation obsolet geworden sei. Ja der Neutralitätsstatus, der Österreich vierzig Jahre so viel Gutes eingebracht hat, wird heute verächtlich gemacht und soll als Begriff negativ besetzt werden. Man spricht von "Trittbrettfahrerei" und einem feig-opportunistischen Heraushalten aus dem System der europäischen Solidarität.

An der Kampagne beteiligt sich sogar und an führender Stelle der höchste Staatsrepräsentant, der Bundespräsident Klestil. Diese Propagandawelle der letzten Jahre zeigt bereits Auswirkungen. Meinungsumfragen zufolge nimmt die Zahl der Befürworter der Neutralität seit einiger Zeit ab, zwar langsam, weil dieselben Kräfte jahrzehntelang von der Neutralität das Gegenteil behaupteten und sie priesen, aber doch. Wenn es so weitergeht, ist es nur eine Frage der Zeit, bis dieses Ziel, das Sinken unter die Fünfzig-Prozent-Marke, erreicht ist. Dann wird man plötzlich zu hören bekommen, daß eine Volksabstimmung über die Abschaffung der immerwährenden Neutralität eigentlich doch angebracht sei.

Sind aber die Behauptungen, daß die Neutralität heute überholt sei, richtig? Sie sind es ganz und gar nicht. Wir leben nach wie vor in einer friedlosen Welt. Auch nach dem Ende der Konfrontation der beiden Weltsysteme sind künftig militärische Konflikte zwischen Ost und West keineswegs ausgeschlossen. Zwischen West- und Osteuropa besteht heute ein gewaltiges ökonomisches und soziales Gefälle, das in Verbindung mit nationalistischen und imperialistischen Aspirationen weiterhin ein enormes Konfliktpotential darstellt.

Statt Europa mit dem Europa der EU gleichzusetzen und sich in einer Festung von Ost- und Südosteuropa abzugrenzen, wäre es eine Aufgabe des neutralen Österreich, sich für eine Überbrückung dieser Kluft einzusetzen. Und Europa ist nicht die Welt. Die EU ist nämlich auch dazu geschaffen worden, die Konkurrenzfähigkeit des europäischen Monopolkapitals gegenüber den anderen ökonomischen und politischen Machtzentren der Erde, gegenüber den USA und Japan, zu steigern, und das alles kann nur zu Lasten der sogenannten "Dritten Welt", der Entwicklungsländer gehen.

Immer mehr zeichnet sich eine scharfe Trennlinie zwischen Arm und Reich in Europa selbst und der imperialistischen Zentren gegenüber der Dritten Welt ab. Der Ausschluß der Entwicklungsländer kann nicht im Interesse Österreichs liegen. Er verlangt eine solidarische Haltung Österreichs und neutraler Länder, die dazu beitragen müssen, daß die berechtigten Interessen der Entwicklungsländer zur Sprache kommen und Berücksichtigung finden.

Mit dem Gerede vom europäischen "Sicherheitssystem" steht es nicht anders. Mit diesem vagen und dehnbaren Begriff wird etwas vorgegaukelt, was dem Einzelnen persönliche Sicherheit verspricht, der aber in der Realität neue Aufrüstung und neue militärische Strategien beinhaltet. Wofür also soll man die Neutralität aufgeben? Für die Teilnahme an einem militärisch orientierten Sicherheitssystem Europas? Dafür, daß Österreich als Nettozahler in die EU-Kasse als Konsequenz europäische Militärprogramme mitfinanziert?

Nein, ein Beibehalten der Neutralität heißt nicht "Draußen-Bleiben", "Trittbrettfahren", passives "Sich-nicht-Einmischen", es bedeutet aktive Friedenspolitik, aktives Vermitteln in Streitfällen. Konfliktvermeidung und Konfliktvermittlung ohne Parteinahme zeichnen eine österreichische Neutralität aus, wie sie sein soll. Als Mitglied der NATO und der Westeuropäischen Union kann Österreich nie und nimmer diesem Auftrag gerecht werden.

Die Neutralität ist und bleibt daher ein lebenswichtiger und glaubwürdiger Vorteil gegenüber dem Beitritt zu einem Militärbündnis. Wir alle und alle Österreicher, die sich den Grundsätzen einer friedlichen und gerechten Weltordnung verpflichtet fühlen, sind deshalb aufgerufen, den Versuchen der Zertrümmerung eines Hauptfundamentes unseres staatlichen Seins entgegenzutreten und die Neutralität unseres Landes zu bewahren.

  • Rede von Univ.Prof. Dr. Hans Hautmann bei der Veranstaltung der Linzer KPÖ am 26. Oktober 1996

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