KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Didaktik der Aufklärung


"Die Stammesführer und die religiösen Führer waren immer eine Stütze der Macht in Afghanistan." Mohammed Ahmed im Gespräch.

Publiziert in der Volksstimme, Nr. 48/2001. Die linke Wochenzeitung Volksstimme kann zum Preis von ÖS 400,--/ Jahr abonniert werden. E-Mail an volksstimme@magnet.at


Sie waren von 1979 bis 1992 als hoher Justizbeamter in der Demokratischen Republik Afghanistan tätig, in der es eine säkulare Rechtsprechung gab. Wie lange vorher schon gab es Erfahrungen mit der Trennung zwischen religiösem und weltlichem Recht?

Das ist eine lange und bewegte Geschichte. Bis 1919 gab es ausschließlich die Scharia, das islamische Recht, das ein sehr komplexes Rechtssystem ist, das sowohl die Glaubenspraxis als auch Verwaltungs-, Straf- oder Prozessrecht beinhaltet, aber auch Familienrecht, Erbrecht usw. Mit der Unabhängigkeit im Jahre 1920 führte Schah Amanullah Khan eine weltliche Rechtsprechung und Justizverwaltung ein, die vor allem am französischen Rechtssystem orientiert war. Übrigens verkündete dieser Schah bei seiner Antrittsrede 1919: Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit. Dahinter stand auch der Gedanke, den Zentralstaat gegenüber den sehr mächtigen Stammesfürsten und islamischen Geistlichen zu stärken. Ähnlich wie Atatürk in der Türkei oder Reza Schah im Iran wollte er Afghanistan nach europäischem Vorbild formen.

War das islamische Recht somit bereits 1920 abgeschafft?

Nein, aber es wurden zu diesem Zeitpunkt wichtige Grundlagen für die Trennung von säkularem und geistlichem Recht geschaffen. Das säkulare Recht war für die Modernisierer sehr attraktiv, denn der Dieb konnte nun nach einer Gefängnisstrafe wieder arbeiten, weil ihm nicht mehr die Hände abgehackt wurden, er konnte also wieder ein Diener der Gesellschaft sein. Die Scharia wurde in das Rechts- und Justizwesen eingearbeitet, also 50 Prozent säkular, 50 Prozent islamisch. Die Vorschriften des Korans wurden weiter eingehalten, nun aber auf einer säkularen rechtlichen Basis. Zum Beispiel wurde eine Frau weiter wegen Ehebruch verurteilt, aber sie musste nun für zwei bis drei Jahre ins Gefängnis und wurde nicht getötet. Also, die neuen Reformen damals ließen vor allem europäische Rechtskultur und die Rechtspraxis der Mullahs zusammenkommen. Im Laufe der weiteren politischen Entwicklung bis 1978 gab es immer wieder Phasen drastischer Einschränkungen des säkularen Rechts. Diese hingen in großem Maße mit Problemen der Durchsetzung in allen Provinzen und gesellschaftlichen Schichten sowie dem Widerstand der islamischen Geistlichen und Stammesfürsten zusammen.

Warum konnten die Taliban wieder das islamische Recht durchsetzen bzw. ihren Gottesstaat aufbauen?

Vielleicht hierzu einzelne Anhaltspunkte. Ein einheitliches Reich gab es schon seit 1747 mit der Krönung des ersten Königs Ahmad Khan. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Afghanistan eine ziemlich autozentrierte Entwicklung. Aber auch bedingt durch die Auseinandersetzungen vor allem mit den Briten gab es nicht nur Abhängigkeiten von Europa, sondern auch europäische Vorbilder einer politischen Entwicklung, die vor allem für die Eliten im Umfeld des Königshauses und in den städtischen Schichten Kabuls prägend waren. Immerhin gingen schon Studenten ins europäische Ausland zum Studium, und was sie gelernt hatten, wollten sie dann auch umsetzen. Reformen und Modernisierungsvorhaben einschließlich einheitlicher Verwaltungsstrukturen, Aufbau eines Bildungssystem, auch für Frauen, und vor allem eine starke Armee waren verbunden mit starken Zentralisierungsbestrebungen der Könige, die natürlich auch darauf zielten, die Autonomie und Privilegien der islamischen Geistlichkeit zu beschneiden. Das aber hatte natürlich Folgen, denn die Stammesführer und die religiösen Führer waren auch immer eine Stütze der Macht in Afghanistan. Die islamische Geistlichkeit, die stark mit der Vielzahl konkurrierender Stammesfürsten kooperierte, also eine traditionalistische Elite bildete, hatte ihre Basis vor allem in der ländlichen Bevölkerung, die jedoch jahrzehntelang nicht von den Modernisierungsmaßnahmen profitieren konnten, auch weil diese sie einfach aus unterschiedlichsten, auch repressiven Gründen nicht erreichten. Sie dürfen nicht vergessen, dass Afghanistan sehr, sehr arm ist. 1973 gab es noch 95 Prozent Analphabeten und einige Leute, die nur in der Moschee lesen gelernt haben. Was soll man da erwarten?

Sie haben in den 70er Jahren in Kabul Rechtswissenschaften studiert. Gab es damals schon starke islamistische Gruppen im universitären Bereich?

Ich studierte in einer Zeit, als unter dem Präsidenten Daud Khan 1973 die erste Republik Afghanistans ausgerufen wurde. Die konstitutionelle Monarchie wurde abgeschafft, aber auch für vier Jahre die demokratische Verfassung aus dem Jahr 1964 sowie das Parlament. Daud war ein Egoist, der immer stärker Alleingänge machte und sich immer mehr absetzte von seinen Unterstützern, dem Parcham-Flügel der Volksdemokratischen Partei Afghanistan (VDPA). Er wollte Unterstützung von allen: Der Sowjetunion, den USA, aber auch von den reichen islamischen Ländern. Man sagte von ihm, dass er am glücklichsten ist, wenn er seine amerikanischen Zigaretten mit sowjetischen Zündhölzern anstecken kann. Aber es gab schon differenzierte politische Strömungen, vor allem natürlich unter den Studenten. Es gab modernistische, nationalistische, religiös-fundamentalistische und kommunistische Gruppen. So habe ich zusammen mit Hekmatyar und Nadschibullah in der Universität zusammengesessen und debattiert. Hekmatyar studierte damals Ingenieurswesen, war aber als muslimischer Fundamentalist aktiv und inspiriert von der Muslimischen Bruderschaft. Nadschibullah gehörte schon zur DVPA. Hekmatyar wurde übrigens schon 1972 wegen islamistischer Aktivitäten verhaftet und 1975 aus Afghanistan ausgewiesen.

Wann haben Sie zum ersten Mal von Bin Ladin gehört?

Bin Ladin war schon während meiner Amtszeit in den 80er Jahren in Afghanistan bekannt. Wir haben gegen ihn ermittelt, weil es die Information gab: "Es lebt ein Prinz in einer Höhle, der zu den muslimischen Bruderschaften gehört." Leider war die Ermittlung nicht erfolgreich.

Interview: Regina Behrendt

Mohammed Ahmed (Name wurde von der Redaktion geändert) lebte bis zur seiner Flucht 1993 in Kabul und seither mit seiner Familie in Deutschland. Er studierte in Kabul und Moskau Rechtswissenschaft und war 15 Jahre als hoher Justizbeamter in Afghanistan tätig.

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