KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

"Mich beunruhigt die intellektuelle Infantilisierung"


Interview mit dem amerikanischen Journalisten, Publizisten und Verleger John R. MacArthur.

Publiziert in der Volksstimme, Nr. 43/2001. Die linke Wochenzeitung Volksstimme kann zum Preis von ÖS 400,--/ Jahr abonniert werden. E-Mail an volksstimme@magnet.at.


Weshalb betreiben die meisten bekannten US-Fernsehjournalisten offene Werbung für den Krieg gegen Afghanistan?

In die Geschichte des Journalismus eingehen wird wohl der Treueschwur des prominenten Nachrichtenmoderators Dan Rather auf Präsident Bush. Er sagte vor laufender Kamera: "George Bush ist Präsident, er trifft die Entscheidungen, und er will mich wie jeden anderen Amerikaner in Reih und Glied stellen. Ich bin bereit, sagen Sie mir einfach, wo ich mich aufstellen soll." Viele andere Spukgestalten, nicht nur solche Journalisten oder die berüchtigten Ex-Generäle, die sich die Maske der Analytiker aufgesetzt haben, bevölkern jetzt wieder die Bildschirme. Als Erklärung in Kurzform lässt sich ein berühmter Aphorismus zitieren: Die Freiheit der Presse ist denen garantiert, die ihre Eigentümer sind. Man sollte deshalb nicht die einzelnen Reporter für die Kriegshetze verantwortlich machen, es gibt wenigstens noch Ausnahmen. Denn die Eigentümer erhalten das, wofür sie bezahlen. Dem Nachrichtenkonsumenten bleibt eigentlich nur noch das Ausschalten. Ein weiteres Beispiel: Richard Pearl und Richard Holbrooke diskutierten vor Kurzem in einer der meistgesehenen Sendungen - "News Hour" - über den Krieg. Das Motto dazu hieß "how wide a war", wie weitreichend also soll der Krieg sein? Nur bis Afghanistan, oder weiter zum Irak, später vielleicht auch Asien und Afrika? Kurz nach Kriegsbeginn war ich in Bill O'Reillys Talkshow in "Fox TV" eingeladen. O'Reilly, das muss man dazusagen, steht weit rechts und betreibt grundsätzlich nur Journalismus mit Schaum vorm Mund. Ich schlug vor, statt der Fahne die Unabhängigkeitserklärung aufzuhängen, denn dafür kämpfen wir ja of

Der Afghanistan-Krieg weise Parellelen zum Golfkrieg vor elf Jahren auf, heisst es. Stimmen Sie dem zu?

Es wäre wohl besser, den Afghanistan-Krieg trotz der geographischen Nähe zum Irak nicht mit dem Golfkrieg zu vergleichen, und obwohl teilweise dieselben Typen im Weißen Haus hocken und von dort aus Bilder von sauberen Bombenteppichen und chirurgischen Eingriffen um die Welt schicken. Ich würde den Krieg auch nicht mit Panama, Grenada oder Vietnam vergleichen, sondern mit unserer "humanitären Mission" in Somalia. In Afghanistan operieren irreguläre Truppen auf der Basis von Stämmen, die bestens in der Lage sind, einen mit US-Spezialeinheiten vollgestopften Helikopter abzuschießen. Wir haben den "Freiheitskämpfern, die jetzt "Terroristen" heißen, schließlich die Raketen geliefert. Ich erinnere an die "Army Rangers", die 1993 in Mogadischu beim Einsatz abgeschossen worden sind. Und ich erinnere an das Foto von dem toten "Army-Ranger", der von triumphierenden Somalis durch den Dreck geschleift wurde. Die Existenz des Fotos beruhte nicht auf der Entschlossenheit irgend eines amerikanischen Journalisten. Von diesen befand sich damals nämlich keiner mehr dort, weil sie Todesangst hatten. Die einzig übrig gebliebenen Reporter waren ein Reuters-Mann und der Kanadier Paul Watson, der damals beim "Toronto Star" arbeitete und jetzt bei der "Los Angeles Times" ist - ein einarmiger Kriegsberichterstatter. Watson hing in Somalia einfach herum, und dank ihm erhielten wir das Bild. Ich erzähle dies, um zu erläutern, welch fürchterliche Sorge Leute im Weißen Haus haben, die Cheneys, Powells und Rumsfelds. Sie fürchten ein Szenario wie in Somalia. Ein paar Wochen nach der Veröffentlichung des Bildes vom geschleiften amerikanischen Soldaten verschwanden die US-Truppen aus Somalia, und heute spricht kein Mensch mehr davon. Ein Bild von einem toten US-Soldaten, und die US-Außenpolitik lag in Trümmern! Verstehen Sie jetzt, weshalb die US-Regierung und das Pentagon auf strengster Pressezensur bestehen? Ich glaube, dass es hässliche Konfrontationen geben könnte zwischen amerikanischen Reportern - falls welche tapfer genug sind, nach Afghanistan zu gehen - und der US-Armee, wenn sich beide begegnen.

Was halten Sie von der Berichterstattung von "National Public Radio" NPR, das immerhin den Anspruch auf Objektivität erhebt?

Ich versuche, NPR so wenig wie möglich zu hören. Es ist wie mit der "New York Times". Wenn man sich das angewöhnt, gewöhnt man sich an das Dröhnen der Fehlinformationen. Bei NPR herrscht so eine ausdruckslos-hö

Woher beziehen Sie ihre Informationen?

Von BBC, französischen Nachrichtenquellen wie "Le Monde", von den britischen Zeitungen "The Guardian" und "The Independent". Deren Auslandsberichterstattung ist ausführlicher, gerade was die Militärstrategie angeht, und die Reporter sind besser informiert als die amerikanischen. Die US-Medien sind vermutlich die am meisten auf sich selbst bezogenen der Welt. Immer, wenn es im Medienbereich Fusionen gibt, dann werden als erste Maßnahme die Auslands-Nachrichtenabteilungen ausgetrocknet. "Erklärt" wird das von den Besitzern damit, dass die Amerikaner am Ausland angeblich kein Interesse hätten.

Sehen Sie in der Medienpolitik einen Unterschied zwischen Bush Vater und Bush Sohn?

In beiden Kriegen handelt es sich um eine kontrollierte Versuchsanordnung, die wesentlichen Faktoren sind dieselben: ein Krieg, den die USA außerhalb ihres Territoriums führen, das Starren der politischen Elite auf die Umfrageergebnisse in der Bevölkerung und damit einhergehend der Versuch, jegliche Berichterstattung über den Krieg unter Kontrolle zu halten. Eine Ausnahme gibt es in der Versuchsanordnung aber doch: die noch schlafferen und unterwür

Waren die Medien bereits während des Golfkrieges unkritisch?

Es ist mir ein völliges Rätsel, weshalb man heutzutage noch ein Magazin wie "Newsweek" lesen, darin arbeiten oder dieses Unternehmen für Journalismus halten kann. Im Herbst 1990, als die US-Militärmaschine ihre Apparate und Soldaten an den Golf verlegte, meinte "Newsweek" zum Beispiel, Präsident Bush habe Schwierigkeiten, der Bevölkerung die Angriffsgründe für den Irak zu vermitteln. "Newsweek" beschloss also, "dem Präsidenten ihre Seiten zu öffnen". So, als hätte der Chef der größten PR-Agentur der Welt, des Weißen Hauses, in den USA ein Vermittlungsproblem. Heraus kam ein "Essay" von Bush, unterlegt war es mit Fotos von ihm, wie er schwitzend über dem Manuskript für sein "Newsweek"-Essay sitzt. Es wurde wirklich der Eindruck erweckt, als schreibe der US-Präsident selbst. Geschrieben war das Essay übrigens von Richard Haass vom Nationalen Sicherheitsrat, der auch heute in der Bush-Cheney-Clique wieder mitmischt. Ich betone, es war nicht das Weiße Haus, das dem Magazin die Story aufgedrängt hat, es war das Magazin, das die Story unbedingt so haben wollte. Ich habe für mein Golfkriegs-Buch mit Dutzenden von Reportern gesprochen und viele sagten, sie hätten es als ihre wichtigste Aufgabe angesehen, die "Message" des Präsidenten unters Volk zu bringen. Ich dachte damals, schlimmer könne es nicht werden.

Welche Rolle spielen Geheimdienstinformationen als Quellen in der Berichterstattung und für die Politik?

Als Antwort nur ein Beispiel: Als Vorwand, US-Truppen nach Saudiarabien zu schicken, dienten damals Geheimdienst-"Informationen", dass irakische Truppen innerhalb des bereits besetzten Kuwait massiv an der Grenze zu Saudiarabien aufmarschiert seien, um ins das Land einzumarschieren. Diese "Informationen" wurden lanciert, bevor der US-Kongress die Genehmigung für die Entsendung von US-Truppen nach Saudiarabien erteilt hatte - wo sie heute noch stationiert sind. Satellitenfotos einer neuen privaten russischen Firma, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten gemacht worden waren, zeigten damals nichts, was auf einen irakischen Truppenaufmarsch hindeutete. Mehr als zehn große Nachrichtenorganisationen, von "ABC" über die "Chicago Tribune" bis zur "Los Angeles Times", kannten die Bilder, ließen sie von Satellitenexperten veri

Was halten Sie von der Berichterstattung über das "World Trade Center" (WTC) und die Milzbrand-Fälle?

Als ich ein junger Reporter war, galt es als Tugend, vor den Cops vor Ort zu sein und die Wahrheit zu berichten. Man saß nicht einfach herum und wartete, bis die Cops einem die Ermittlungsergebnisse diktierten, wie das heute der Fall ist. Die WTC-Anschläge waren fürchterlich kriminell und vermutlich die größte Polizeistory der Geschichte. Die News-Medien waren zwar ziemlich gut am Tag der Anschläge und in den ersten beiden Tagen danach. Aber bei der grundlegenden Polizei-Berichterstattung, beim investigativen Journalismus, haben sie völlig versagt. Das Verhalten meiner Kollegen ist mir in der Beziehung wirklich peinlich. Dies hat damit zu tun, wie Journalisten heute ihren Beruf sehen. Viele sind zu reich geworden, sie identi

Halten Sie die Behauptung, die Milzbrand-Fälle könnten bewusst zur Kriegstreiberei lanciert worden sein, für stichhaltig?

Wir wissen wirklich nicht, ob man so etwas einfach erfinden kann, ob agents provcateurs dahinterstecken etc. Aber ich sage Ihnen: diese Leute sind zu vielem in der Lage. Ich erinnere wieder an den Golfkrieg. Da wurden die Brutkästen erfunden, aus denen die Irakis angeblich kuwaitische Babys warfen. Das ist nie passiert. Aber alle glaubten es, von den Nachrichtenagenturen über den UN-Sicherheitsrat bis zu "Amnesty International". Diese Leute sind zu den miesesten PR-Methoden in der Lage. Sie belügen und täuschen die Öffentlichkeit. Sie gehen sehr, sehr weit, um ihre "message" in die Öffentlichkeit zu bringen. Verglichen mit dem Bemühen der Friedensbewegung, im Mainstream gehört zu werden, ist das wie ein Berg gegenüber einem Sandkorn.

Journalisten wie Ihnen, die die Ideologie der "nationalen Sicherheit" kritisieren, wird vorgeworfen, sie würden im Kriegsfall das Leben amerikanischer Soldaten preisgeben ...

US-Außenminister Colin Powell hasst die Medien. Er ist ein typischer Militär. Aber es gibt kein einziges Beispiel in der amerikanischen Geschichte, wo ein Reporter die Sicherheit verletzt hätte, geschweige denn, dass ein Journalist in den USA wegen Hochverrat verurteilt worden wäre. Klar, es gibt die Warnung davor, dass Reporter Militärgeheimnisse ausplaudern würden. Aber dahinter steckt die Politik des Pentagon, in einem Informationsvakuum operieren zu wollen. Als mein Buch nach dem Golfkrieg herauskam - und es wurde viel rezitiert, wirklich, darüber kann ich mich nicht beklagen -, bin ich von keiner einzigen Journalismus-Schule eingeladen worden. Zweimal bat mich die US-Armee, Vorträge zu halten. Nach einem Vortrag vor der PR-Schule der Armee in Indianapolis kam am Schluss ein Militär auf mich zu und meinte, er sei erschüttert darüber, wie kritiklos die US-Medien Armeemeldungen einfach übernehmen würden. Es sei überraschend einfach, amerikanischen Journalisten die Sichtweise der Armee mit auf den Weg zu geben. US-Journalisten, die in den Mainstream-Medien arbeiten, sehen sich nicht einmal mehr verantwortlich dafür, US-Soldaten in der Schlacht vor dem sinnlosen Verheizen durch ihre Vorgesetzten zu schützen. Im Vietnamkrieg war diese patriotische Ethik noch ziemlich ausgeprägt.

Was halten Sie von einer Kriegsberichterstattung, die auf sensationsheischende Bilder setzt?

Wir sind so weit, dass sogar das Zeigen von Särgen verboten ist. Bush Senior untersagte Reportern den Zugang zum offiziellen Militärfriedhof auf dem Luftwaffenstützpunkt Dover. Das ging während der Panama-Invasion los, als Bush eine im TV-Kanal NBC ausgestrahlte Ansprache in Dover hielt. Im Hintergrund war zu sehen, wie Särge verladen wurden. "Nie wieder", beschloss das Weiße Haus nach den aufgeregten Reaktionen. Ich bin davon überzeugt, dass alle alles sehen müssen. Denn man sollte sich bewusst sein, was im eigenen Namen begangen wird. Wenn wir ein souveränes Volk sind, dann haben wir ein souveränes Recht darauf. Was mich am meisten aufregt, ist, dass wir von der Regierung wie unmündige Kinder behandelt werden. Die unterwürfigen Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Ich muss sagen, dass mich die mediale Infantilisierung mehr beunruhigt als jede Milzbrand-Gefahr.

Interview: Max Böhnel, New York

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