KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

Generalstreik gegen Troika, griechische Regierung und Merkel

(27.9.2012)

Gerade noch rechtzeitig kommen wir am Morgen des 26. Septembers in Athen an. Die Busse fahren noch und wir fragen uns, ob heute wirklich ein Generalstreik stattfindet. Ein Erlebnisbericht von Hanno Bruchmann und Kelly Mulvaney

Wie wir später erfahren, haben die Gewerkschaften abgemacht, dass der öffentliche Nahverkehr nur früh morgens und abends bestreikt wird, damit alle an der großen Demonstration im Stadtzentrum teilnehmen können. Flugzeuge und Fähren bleiben den ganzen Tag außer Betrieb.

Um 10.30 ist der Treffpunkt der zwei großen Gewerkschaften ADEDY (des öffentlichen Dienstes) und GSEE (der Privatwirtschaft), von kleinen Gewerkschaften, von linken Netzwerken, Basisorganisationen und dem linken Wahlbündnis Syriza. Die kommunistische Partei hat sich an einem anderen Ort in der Nähe getroffen und demonstriert separat. Wir haben die Nachricht erhalten, dass die neonazistische Organisation “Goldene Morgenröte” ebenfalls aufgerufen hat sich an diesem Tag mit griechischen Flaggen auf dem Syntagma Platz zu versammeln. Dieser ist auch Teil der Demoroute der Linken. Es herrscht Unsicherheit in Teilen der Demonstration was passieren und ob es zu Auseinanderset­zungen kommen wird. Die Neonazis werden jedoch den ganzen Tag über nicht zu sehen sein. In den Nachrichten am Abend wird berichtet werden, dass in ganz Griechenland große Demonstrationen stattgefunden haben und in Athen bis zu 120.000 Menschen auf den Straßen waren. Versammlungen der Neonazis werden nicht erwähnt.

In einer sehr kurzfristigen Mobilisierung haben zuerst die zwei großen Gewerkschaften zum Streik gegen die anstehenden Sparmaßnahmen aufgerufen. Wie uns im Laufe der Demo erzählt wird, ist dieser Aufruf nur ein Anlass für die eigentliche Mobilisierung, die über eine Vielzahl von Netzwerken und Basisorganisationen stattfindet. Die Aufrufenden waren sich unsicher, wie viele Menschen wirklich an dem Streik teilnehmen würden: In den meisten Familien gibt es nur noch eine Person mit Einkommen und immer mehr können es sich nicht leisten, den Lohn eines Tages zu verlieren. Andererseits sind mittlerweile so viele Menschen erwerbslos oder nur zeitweise beschäftigt, dass sie ohne weitere Verluste demonstrieren können.

Sie alle sind wütend. Wütend auf die griechische Regierung, wütend auf die Troika und die Regierung Merkel. Alle diese Akteure sind daran beteiligt, das dritte Paket von Sparmaßnahmen voranzutreiben, welches den griechischen Staat vor einem Bankrott und der Zahlungsunfähigkeit gegenüber internationalen Banken “retten” soll. Das bisher umfassendste Sparpaket von 11,5 Milliarden Euro bedeutet den Abbau dessen, was vom griechischen Sozialstaat nach den ersten zwei Sparpaketen noch übrig geblieben ist. Unter den Menschen in Griechenland wird die Situation mit einem Wortspiel ausgedruckt: “Sie sagen, dass sei das Ende der Sparmaßnahmen. Aber es ist UNSER Ende.” Es wird darüber beraten, noch 20.000 Menschen im öffentlichen Sektor zu feuern. Das Rentenalter soll von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sollen geschlossen und Gelder für Medikamente gekürzt werden. Insbesondere für die unteren Einkommen sollen die Steuern angehoben werden. Die Umverteilung von unten nach oben, von öffentlich zu privat, verändert die griechische Gesellschaft schnell und radikal. Ein Großteil der griechischen Bevölkerung ist davon betroffen und drängt mit großer Wut auf die Straße.

Um 11.30 finden wir uns in dem Gewusel am Treffpunkt vor dem Archäologischen Museum wieder und warten auf einen Freund. Die Demo geht vor 12.30 Uhr nicht los und die Menschen in den Straßen um den Treffpunkt herum werden immer mehr. Es sind 35 Grad. Wir sitzen auf der Treppe des Museums. Vor uns steht eine Gruppe von Frauen und Männern mittleren Alters, die rauchend und Frappé schlürfend angeregt diskutieren. Im Schatten des Museum relaxen junge Menschen und fächern sich Luft zu. Ein Mann mit Motorrad-Helm pfeift und winkt seine Freunde mit ihrem Transparent herbei. Neben uns setzen sich Jugendliche mit Irokesen-Frisur und einer Handvoll roter Fahnen mit dicken Stöcken. Nach und nach gehen alle zum Auftaktsort.

Wir laufen auch los und treffen unseren Freund. Den Weg pflastern Plakataufrufe des Verbandes von Kleinunternehmen zu dieser Demonstration. Zusammen versuchen wir, vorbei an Massen von Menschen, zum vorderen Teil der Demonstration zu gelangen. Doch das ist mittlerweile unmöglich, weil die Demonstration so lang ist. Als wir am Syntagma Platz ankommen, sagt uns eine Frau, dass bereits seit zwanzig Minuten der Demonstrationszug an ihr vorbeizieht. Wir geben auf, an die Spitze zu gelangen und stellen uns an einem guten Punkt auf, damit unser Freund uns erklären kann, wer heute alles mit demonstriert. An uns zieht eine Organisation von KulturarbeiterInnen entlang, die symbolisch einen Sarg mit der Aufschrift “Kultur” mit sich tragen. Darauf folgt die Gewerkschaft der Fremdsprachen­lehrerInnen, nach denen die älteste Basisgewerkschaft Griechenlands läuft: die Buch- und Verlagarbeite­rInnen. Singend und mit großen Transparenten gehen dann die Bankangestellten vorbei. Sie haben sich eigenständig organisiert, als eine von den beiden staatlichen Banken dieses Jahr privatisiert wurde und ihre Gewerkschaft ihren Streik nicht unterstützen wollte. Wir beobachten eine starke Präsenz von antifaschistischen und antirassistischen Initiativen, die sich explizit gegen die zunehmende Präsenz von faschistischen und neonazistischen Organisationen in der griechischen Gesellschaft wenden. Mit schwarzer Fahne, gemeinsamen Parolen und lauten Pfeifen wird im Block der in weiß gekleideten ArbeiterInnen aus dem Gesundheitsbereich am meisten Stimmung gemacht. Sie rufen: “Sie ruinieren alles, was wir in einem Jahrhundert aufgebaut haben. Kommt runter auf die Straße!”. Viele Erwerbslose und prekär Beschäftigte laufen in der Demonstration und oftmals ist zu hören: “Einen Job suchen zu müssen, das ist Terrorismus!”.

Wir laufen vom unteren Teil des Syntagma Platzes, vorbei an den von bewaffneten Polizisten bewachten Nobelhotels, nach oben zum Parlamentsgebäude. Von dort haben wir einen guten Blick und beobachten den Demonstationszug, der sich um den großen Platz schlängelt. Die Route der Demo geht noch weiter, aber wir bleiben zunächst auf dem Platz. Ein scheinbar endloser Strom von DemonstrantInnen zieht an uns vorbei. Manche tun es uns gleich, bleiben einen Moment und setzen sich in den Schatten der Bäume. In einigen Blöcken tragen die meisten Helme und Gasmasken mit sich. Wir unterhalten uns entspannt mit unserem Freund, als er plötzlich unterbricht und ruft: “Achtung! Jetzt geht es los.”

Leute rennen an uns vorbei. Wir springen auf, hören einen lauten knall und etwas explodiert. Wir ziehen uns zurück und bekommen Atemschutzmasken in die Hand gedrückt. Schon kommt der Tränengasnebel. Augen und Atemwege fangen an zu brennen. Die meisten DemonstrantInnen schützen sich ebenfalls mit Schals oder Schutzmasken und laufen die Route weiter. Einige stellen sich der Polizei gegenüber, drängen sie mit Steinen und Brandsätzen zurück. Das Werbungszelt für eine Luftschau in der Mitte des Platzes geht in Flammen auf. Immer wieder hören wir hinter uns Detonationen. Diese Bilder werden in wenigen Minuten um die Welt gehen.

Wir nehmen den Weg der Demontrationsroute wieder auf. Das Tränengas ist überall. An einer Straßenecke werden Steinplatten zerschlagen. Wir gehen durch eine Seitenstraße und treffen auf das Ende der Demonstration, das immernoch nicht den Syntagma Platz erreicht hat. Es ist der Block des Syriza-Bündnisses. Wieder erreichen wir den Syntagma Platz, der mittlerweile von Polizisten mit Gasmasken abgesperrt ist. Der Demonstrationsblock muss einen Bogen laufen, kommt aber schließlich am Parlamentsgebäude vorbei. Die Demo läuft weiter, aber wir ziehen uns erschöpft zurück. Bis in den Abend kommt es zu Auseinanderset­zungen mit der Polizei.

Wir treffen uns mit ein paar AktivistInnen, die uns ihre Einschätzungen der Situation schildern. Hier wird deutlich, was die Maßnahmen bedeuten und wie die Krise erlebet wird. Eine Aktivistin erzählt: “Das Unternehmen, bei dem ich arbeite ist Pleite. Mein Chef schuldet mir mehrere Monatsgehälter und ist der Sozialversicherung 70.000 Euro schuldig. Meine gerade einmal 300 Euro Lohn erhalte ich nur, wenn ich androhe zu kündigen.” Sie hätte sich mehr Dynamik und stärkeren Widerstand in der Demonstration gewünscht. So wie am Vortag in Madrid, als einige Tausend versuchten das Parlamentsgebäude zu blockieren. Es sei merkbar, dass viele Menschen seit zwei Jahren massenhaft auf die Straßen gehen und erschöpft sind. Langsam verlieren sie den Geduld. Die Lebenssituation der meisten ist noch schlimmer geworden. “Ich arbeite im IT-Bereich, täglich zehn Stunden. Die Firma, bei der ich angestellt bin kündigt mir an jedem Monatsende. Jedes Mal ist unsicher, ob ich am nächsten Tag wieder angestellt werde”, berichtet ein anderer Aktivist. Er sieht den heutigen Streik positiver. Es kann der Anfang einer neuen Reihe von Protesten gewesen sein. In ganz Griechenland waren hunderttausende Menschen auf den Straßen, ganze Kleinstädte wurden lahmgelegt. Das hat die ganze Welt gesehen. Ein Slogan auf der Demonstration drückt den gemeinsamen Wunsch der AktivistInnen aus: “Athen, Madrid, Lissabon – ganz Europa, kämpf auf der Straße!“

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