KOMMUNISTISCHE PARTEI ÖSTERREICHS

60 Jahre Römer-Verträge: Zur Debatte um die Zukunft der EU

(30.3.2017)

Die politische Krise, die 60 Jahre nach der Unterzeichnung der Römer Verträge Europa kennzeichnet, ist in ihrer Überlagerung äußerer und innerer Widersprüche nicht leicht zu interpretieren. Rede von Walter Baier bei der Veranstaltung „Ein Europa von und für die Menschen” am 23. März in Rom.

Europas Anteil an der Weltbevölkerung und in der Weltwirtschaft sinkt, es muss angesichts des Aufstiegs neuer Mächte und in Konfrontation mit der globalen Klimakrise seinen Platz neu bestimmen. Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA und der Brexit schaffen dazu ein neues Koordinatensystem.

Die Krise ist auch intern. Nach zwei Jahrzehnten neoliberaler Wirtschaftsreformen und Austerität, die die Zukunftsperspek­tiven beinahe einer ganzen Generation junger Menschen, vor allem im europäischen Süden, zerstört haben, wäre ein sozialer Wiederaufbauplan in Europa erforderlich. Doch diese Einsicht ist nicht in die Spitzen der EU vorgedrungen, wie das Anfang März erschienene Weißbuch zur Zukunft der Europäischen Union erkennen lässt.

Vielleicht ist es angesichts der vielen, ineinander verschlungenen Probleme ein kluger Schachzug, dass der Präsident der Europäischen Kommission, J.C. Juncker, nicht einen kohärenten politischen Vorschlag, sondern vier Szenarios einer künftigen europäischen Integration vorlegt: Weitermachen wie bisher, Rückbau der EU in eine Freihandelszone, Konzentration der EU auf einige wesentliche Politiken, eine EU der unterschiedlichen Kooperationen oder Vollausbau der EU zur Wirtschafts-, Finanz- und Fiskalunion.

Europas Völker wenden sich, so muss auch Juncker eingestehen, in beunruhigendem Ausmaß von der europäischen Integration ab. Allerdings führte das nur in wenigen Ausnahmefällen, vornehmlich im Süden, zur Stärkung der Linken. Die Regel scheint derzeit zu sein, dass Menschen ihre Unzufriedenheit und Zukunftsangst in anwachsendem Rassismus und Nationalismus artikulieren. Man kann das Weißbuch daher auch als den Versuch der aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen gebildeten Großen Koalition interpretieren, eine Abwehrposition gegen die populistische Rechte einzunehmen. Kann diese dem Druck des Nationalismus standhalten?

Von Althusser lernt man, das Wesentliche darin aufzufinden, was unausgesprochen ist. Die eine Auslassung im Weißbuch besteht im Fehlen jeglichen Hinweises auf die bestehenden EU-Verträge. Diese Zurückhaltung mag der – wohl realistischen – Einschätzung geschuldet sein, dass unter den gegenwärtigen Verhältnissen eine Veränderung des Primärrechts nicht durchsetzbar ist. Das aber bedeutet, dass man sich weniger eine „große Reform“ der Europäischen Union denn ein „More of the same“ vorzustellen hat. Effizienter, rascher, gewiss. Das aber wird nicht ausreichen, um einen Weg aus der Krise zu weisen.

Europas Gesellschaften sind aus dem Gleichgewicht. Dies zu verstehen erfordert, anzuerkennen, dass der bisherige Kompromiss, der die europäischen Gesellschaften und die EU getragen hat, Sozialstaat, hohe Beschäftigung und steigender Lebensstandard für Viele, von der herrschenden Klasse im Zeichen des Neoliberalismus aufgekündigt wurde. Das Resultat besteht in Massenarbeitslo­sigkeit, die vor allem im Süden und Osten Europas droht, eine verlorene Generation zu hinterlassen, und die Europas Völker gegen den Rest der Welt und gegeneinander stellt. Das Anwachsen der radikalen Rechten ist nicht die Ursache der Desintegration Europas, sondern eine ihrer Folgen.

Die EU erwies sich in den vergangenen Jahrzehnten taub gegenüber den Leiden und Sorgen der Bürger_innen. Würden sie gehört, müsste Europa seinen Kurs ändern. Den Kern der politischen Krise Europas bildet daher der Mangel an wirklicher Demokratie, der immer weniger Menschen darauf vertrauen lässt, dass sie die Entwicklung auf demokratischem Weg beeinflussen können. Die zweite, geradezu schreiende Auslassung in den Zukunftsszenarien der Europäischen Kommission ist eine realistische Benennung des Hauptdefizits der europäischen Konstruktion, der Mangel an wirklicher Demokratie. Doch eine Fortsetzung und Verstärkung des bisherigen autoritären Föderalismus wird keinen Weg aus der Vertrauenskrise zwischen Bürger_innen und EU weisen können.

Niemals in der Geschichte wurde Demokratie von den herrschenden Eliten freiwillig zugestanden. Immer wurde sie durch Massenbewegungen in Revolutionen erkämpft. Europa braucht eine revolutionäre, demokratische Massenbewegung, oder seine friedliche Integration droht ein weiteres Mal zu scheitern.

Das von der EU-Kommission zum Jubiläum der Römer Verträge veröffentliche Weißbuch enttäuscht viele, die auf eine „von oben“ eingeleitete wirtschaftliche und soziale Wende der EU warten. Es wird das Leben der vom Verkauf ihrer Arbeit abhängigen Männer und Frauen, die in der EU leben, nicht verbessern. Es stellt den europäischen Völkern auch nicht jene institutionellen Änderungen in Aussicht, die Selbstbestimmung mit transnationaler Demokratie verbinden könnten.

Kluger Schachzug oder nicht, die Debatte um die Zukunft Europas ist eröffnet. Sie wird gelingen, wenn es eine Debatte der europäischen Bevölkerungen wird, der Gewerkschaften, der sozialen Bewegungen und der politischen Kräfte, die sich Europa als ein Common (Gemeingut, Red.) aneignen.

Rede von Walter Baier bei der Veranstaltung „Ein Europa von und für die Menschen” am 23. März in Rom. Übernommen von „transform! europe“


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