POSITIONEN & THEMEN
Von: Walter Baier (9.2.2018)
Am 20. Jänner 2018 kamen KPÖ-Mitglieder zu einem bundesweiten Ratschlag zum Thema EU zusammen. Zur Analyse der EU hielt Walter Baier, Mitglied des Bundesvorstands der KPÖ, das hier dokumentierte Referat.
Ich freue mich darüber, dass diese Aussprache zustande kommt. Wir sind sie unserer 100 Jahre alten KPÖ schuldig, und angesichts einer Regierung – die man nicht als „faschistisch“ bezeichnen wird, in der aber Polizei, Heer und Geheimdienste Leuten unterstehen, die man als Neofaschisten bezeichnen kann.
Welche Zukunft wir auch immer für unsere Partei sehen, es kann, wie es unser Genosse Kain einmal geschrieben hat, die erste Aufgabe der Partei nicht die Aufgabe der Partei sein.
Es ist unsere Verantwortung, gemeinsame Ausgangspunkte zu finden.
Ich sehe zwei:
Warum das so ist? Weil Vertragsänderungen, nur im Konsens der 27 Mitgliedsstaaten stattfinden können – aber vor allem weil kein politisches Kräfteverhältnis besteht, das eine Reform erlauben würde.
Im Leitantrag der steirischen Landeskonferenz wird diese Souveränität als die Voraussetzung für den Sozialstaat bezeichnet.
Man kann fragen: Wer ist in einem Klassenstaat der Souverän? – Eigene
theoretische Diskussion. Gehen wir vom Gemeinsamen aus: Unsere Eltern und
Großeltern haben Demokratie in einem souveränen Staat Österreich erkämpft.
Die wollen wir nicht nur gegenüber der radikalen, nationalistischen Rechten
verteidigen, sondern auch gegenüber einem sich mehr und mehr autoritär
gebärdenden Neoliberalismus. Souveränität ist aber nichts Abstraktes.
Wenn Trump beschließt, dass die USA aus dem Klimaschutzabkommen aussteigt, so
ist das die souveräne Entscheidung einer Regierung. – Sie betrifft aber
nicht allein die 6 % der Weltbevölkerung, die diese Regierung vertritt,
sondern 94 % der Weltbevölkerung, die dabei nicht mitzureden haben.
40% der globalen Rüstungsaufwendungen entfallen auf die USA, und für 50%
ihres nationalen Energieverbrauchs ist das Militär verantwortlich. Das sind
souveräne Entscheidungen – mit weltweiten Auswirkungen.
So kann aber die Welt nicht funktionieren.
Als im Juni 1945, 50 Staaten die UN gründeten, verpflichteten sie sich in
einer Charta zur Gewaltfreiheit und übertrugen dem UN-Sicherheitsrat das
Monopol, die Anwendung von Gewalt zu autorisieren. Sie akzeptierten somit eine
Einschränkung der Souveränität.
Und mit Ausnahme von Donald Trump, Kim Song Un und Benjamin Netanjahu ist dieser
völkerrechtliche Souveränitätsverzicht allgemein akzeptiert, wenn er auch
nicht respektiert wird.
Nach Österreich. Ich sympathisiere mit dem Ansatz, die Souveränität an der
Verwirklichung eines fortschrittlichen Sozialstaats zu messen. Da wir 30% des
BIP für den Sozialstaat ausgeben, müssen wir über Ökonomie reden.
Österreich verfügt über eine starke Ökonomie: 20 % Industrieanteil und eine
ausgeglichene Leistungsbilanz.
Die österreichische Ökonomie ist sehr stark außenhandelsorientiert:
35 Prozent des österreichischen BIP werden im Außenhandel erwirtschaftet.
(Das ist viel: Außenhandelsbeitrag der EU beträgt nur 12%) Von diesem sehr
erheblichen Außenhandel spielen sich 70 % mit der EU ab. Welche positiven
Wirkungen wären also davon zu erwarten, wenn diese 70 % der Aus- und Einfuhren
wieder mit Zöllen, nichttarifären Handelsbarrieren, regulatorischen Auflagen
und Genehmigungsverfahren belastet würden?
Wie würde das die wirtschaftlichen Grundlagen des Sozialstaats stärken?
Würden dadurch die Klassenkämpfe um die Verteilung zwischen Kapital und Arbeit
angefacht werden?
Profitieren die britischen Arbeiter_innen vom Brexit?
Letzte Woche wurde im britischen Parlament debattiert, ob die Regierung bei den
Verhandlungen mit der EU verlangen soll, auch nach dem Brexit im Binnenmarkt zu
bleiben. Und Jeremy Corbyn hat das als unrealistisch abgelehnt. Aber wenn das
für UK mit einem 9mal so großen Markt unrealistisch ist, wie wenig realistisch
wäre es dann für Österreich?
Aber, sagen manche, dafür hätten wir eigene Währung und damit die
Möglichkeit über die Zentralbank die Kreditpolitik selbst zu bestimmen. Wir
könnten zum Beispiel unsere Währung abwerten, um die Exporte zu erhöhen und
den Fremdenverkehr noch konkurrenzfähiger zu machen. Es gibt aber eine
Gegenseite. Wir importieren ja auch.
Bei den Importen aus der EU handelt es sich zum allergrößten Teil um
Produktionsmittel, die in der österreichischen Wirtschaft verarbeitet werden.
Sie würden sich in diesem Ausmaß verteuern. Was wäre gewonnen, wenn sich die
österreichischen Exporte im selben Ausmaß verteuern würden, wie die in ihnen
enthaltenen, importierte Rohstoffe und Zwischenprodukte?
Man muss das klar sagen: Das einzige, was sich dann verbilligen würde, wären
die Arbeitskosten, weswegen Abwertungen im Prinzip auch kollektive Absenkung des
Lebensstandards gegenüber dem Ausland bedeutet. Wo ist hier der
Souveränitätsgewinn?
Ich habe über den Verzicht auf Souveränitätsrechte im Rahmen der 1945 die
UN gesprochen. 1945 war ein spezifischer Moment. Der Welthandel unter Führung
des Dollar sollte auf Grundlage fester Wechselkurse wieder aufgenommen werden.
Dazu wurden internationale Finanzinstitutionen IWF und WB gegründet.
In den 70erjahren zerfiel dieses System, das nach dem Ort der Konferenz, auf dem
es beschlossen wurde, Brettonwoods-System genannt wurde.
Die Reaktion des Kapitals auf die Krise der 70er-Jahre bestand in einer neuen
Qualität der Monopolisierung, der Integration gesamter Produktionsketten im
Rahmen transnationaler Konzerne, und in der Schaffung eines internationalen
Finanzmarkts, den es vorher in diesem Ausmaß nicht gab.
Heute repräsentieren transnationale Konzerne eine ökonomische Macht, die
diejenige von kleinen und mittleren Staaten übersteigt.
In Österreich: Da machen die ausländische Töchter nur 3,2% aller Unternehmen aus, stellen jedoch mit 566.000 Personen ein Fünftel der Beschäftigten, erwirtschaften ein Drittel (34,5%) der Umsatzerlöse und leisten ungefähr die Hälfte der industriellen Forschung.
Wie also die nationale Souveränität gegenüber diesen Dinosauriern durchsetzen. Ja, aber wir hätten währungspolitische Souveränität: Tatsache ist, dass Währungen, namentlich solche kleiner und offener Wirtschaften die idealen Opfer der internationalen Spekulation abgeben.
Die Grenzen währungspolitischer Souveränität, sogar bedeutend größerer Staaten als Österreich, wurden 1981 der damals neu gewählten französischen Linksregierung vor Augen geführt, die innerhalb von zwei Jahren durch die internationale Spekulation zweimal die Währung abwerten musste, und an den Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs gedrängt wurde.
Dazu nur ein Schlaglicht auf die Finanzmärkte. Vorab ein Vergleich: Das
Gesamtvolumen der in Österreich zirkulierenden Geldmenge, das schließt die
Bankeinlagen ein, inklusive Notenumlauf beträgt 350 Milliarden €. Der
Spekulationsmarkt für Kreditversicherungen wird demgegenüber auf das
60-fache, auf 22.000 Milliarden Dollar geschätzt.
Im Übrigen das Wort „Finanzmärkte“ ist ein Fake.
Denn von den 22.000 Mia USD werden 19,200 Mia werden von 14 großen
Investmentbanken gemanagt, gemeint sind US-Häuser wie JP Morgan und Goldman
Sachs oder die Deutsche Bank. (Die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2010)
Worin besteht währungspolitische Souveränität?
Die Frage nach der Souveränität hat einen rhetorischen Charakter, weil man ja auch sagen muss, dass wir ja keine Regierung und keine politischen Parteien haben, die darum kämpfen würden. Im Fiskalpakt haben sie sie die währungspolitische Souveränität sehenden Auges ausgeliefert.
Kapitalverkehrskontrollen: Im Prinzip gute Sache Neben allen
Schwierigkeiten, die das im heutigen globalisierten Kapitalismus mit
transnationalen Konzernen aufwirft, erfordern effektive Kapitalkontrollen, von
der Regierung beeinflussbare, loyale Banken, die es seit der Privatisierung
nicht mehr gibt.
Man muss also die Nationalisten vom Schlage der FPÖ, des Front National und der
PVVV fragen, worin ihre nationale Souveränität besteht, außer die Grenzen,
die sie für das Kapital weit aufmachen, für die armen Menschen, die vor Krieg,
Hunger, ökologischen Katastrophen und Armut flüchten, dicht zu machen.
Sollen wir uns an dieser Täuschung beteiligen und nahelegen, dass es den
einheimischen Arbeiter_innen besser ginge, wenn’s den Flüchtlingen
schlechter geht?
1,8 Millionen Menschen mit einem Migrationshintergrund leben in Österreich.
Ist es nicht recht und billig, dass sie über dieselben sozialen und
staatsbürgerlichen Rechte verfügen wie diejenigen Menschen, die das Glück
haben, hier geboren zu sein?
Flüchtlingspolitik: Ein klassisches Beispiel für ein Problem, für das es
nur eine europäische Lösung gibt, die nicht der Souveränität einzelner
Staaten überlassen werden kann, sondern ggf. auch gegen nationale Regierungen
durchgesetzt werden muss.
Reden wir über die Migration in der EU: 80.000 österreichische Studierende
allein seit 1992 Erasmus-Programmen teilgenommen, wollen wir das wieder
abschaffen?
800.000 EU-Bürger_innen in Österreich. Zum größten Teil gehören sie zu
Arbeiterklasse! Wollen wir diese wieder zu EU-Ausländern machen?
Heißt das, dass in einer globalisierten Welt ein Kampf um Souveränität
aussichtslos wäre? Nein, ganz und gar nicht. Aber der Schlüssel ist, die
Dialektik zwischen Internationalismus und Nationalismus zu verstehen. Dass
nationale Selbstbestimmung internationale Solidarität und auch demokratische
überstaatliche Einrichtungen erfordert.
Die Frage ist nicht, wie sehen wir die EU – Die Frage: Welche Perspektive
sehen wir für Österreich Option Austritt.
Ich schlage vor, die Frage Austritts Österreichs ausgehend vom Platz, den
Österreichs in der Hierarchie der kapitalistischen Mächte Europas einnimmt,
und den Kräfteverhältnissen, die sich daraus ergeben, zu diskutieren.
Vom realen Grad der Integration Österreichs habe ich schon gesprochen, der
seinen Ausdruck in den 70 Prozent Außenhandel Österreichs mit der
Europäischen Union findet. Das ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Denn
ungefähr die Hälfte des Außenhandels entfällt auf Deutschland.
Der Handel mit Deutschland ist unsymmetrisch, da Österreich mehr einführt
als ausführt. Nach Produkten betrachtet zeigt sich, dass Österreichs
exportorientierten Unternehmen in ihrer Mehrzahl als Zulieferer der deutschen
Exportindustrie fungieren. Dasselbe Bild ergibt sich bei Betrachtung der
Direktinvestitionen, deren Löwenanteil von deutschen Unternehmungen kommt.
Das Defizit im Handel mit Deutschland wird durch den Handel mit anderen
EU-Ländern, durch die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr und die Gewinne der
österreichischen Banken in Osteuropa ausgeglichen.
Damit ist aber die die Stellung Österreichs im System des europäischen
Kapitalismus klar erkennbar: Durch seine Banken dominant gegenüber den
Ökonomien Zentral- und Osteuropas, aber abhängig vom und integriert ins das
exportgetriebenen, deutschen Akkumulationsmodells.
Was wäre also das Resultat eines Zerfalls der EU?
Es würde sich eine neue wirtschaftliche und politische Ordnung ergeben, die der
vor dem Zweiten Weltkrieg nicht unähnlich wäre. Für Österreich wäre es ein
sich aus der Macht des Faktischen, sich durch die wirtschaftlichen Verhältnisse
ergebender Sog zum neuerlichen Aufgehen in Deutschland, das nach einem Ende der
EU in seinem Imperialismus durch keine europäischen Verträge und Institutionen
eingeschränkt wäre.
Das der Kern der Diskussion und der Auseinandersetzung mit der FPÖ, deren
Rassismus und Antieuropäismus, ein Deutschnationalismus ist.
In diesem Zusammenhang zur Militarisierung der EU, wie im von der Europäischen Kommission veröffentlichten Weißbuch vorgesehen ist. Wir müssen uns dagegen mit allen, und vor allem den richtigen Mitteln wehren. Man soll dazu klar aussprechen. Als am 11. Dezember Kern und Kurz in Brüssel der Ständigen Strukturierten militärische Zusammenarbeit (PESCO) zugestimmt haben mit, die
haben sie die österreichische Neutralität gebrochen. Dazu gab es dafür
nicht die geringste Verpflichtung aus irgendeinem EU-Vertrag.
Im Artikel 42 des Lissabonner Vertrags heißt es:
„Die Politik der Union nach diesem Abschnitt berührt nicht den besonderen
Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten
Das war eine österreichische, wenn man so will souveräne, großkoalitionäre
Entscheidung, die getroffen wurde, während ÖVP und FPÖ über die
Ministerliste verhandelt und in der Öffentlichkeit über das Rauchverbot
gestritten wurde.
Eigentlich ist Österreich aufgrund seiner Neutralität zum Gegenteil
verpflichtet. Das war eine politische Entscheidung, für die man sich nicht
hinter der EU verstecken kann.
Die Frage der Militarisierung ist daher ein Hauptthema der europäischen
Politik – auch in den kommenden EP-Wahlen.
Die KPÖ könnte hier Initiative für eine breite Kampagne zur Neutralität,
etwa eine Initiative für ein atomwaffenfreies, neutrales Mitteleuropa
anstossen.
Eine persönliche Bemerkung zum Abschluss.
Lenin hat bekanntlich im Sommer 1918 den Zerfall des Habsburger-Reichs für
unwahrscheinlich gehalten, Rosa Luxemburg hat vom Beginn ihrer politischen
Laufbahn in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts gemeint, dass für einen
polnischen Nationalstaat keine ökonomischen Voraussetzungen bestünden.
Beide haben sich geirrt, was zeigt, dass das Gebiet der nationalen Fragen zu den
schwierigsten Bereichen der marxistischen Theorie gehört.
Man sollte sich also davor hüten, Voraussagen machen zu wollen.
Allerdings gibt es Prinzipien, für die die österreichischen Kommunist_innen
immer eingetreten sind.
Wir räumen den Klassenfragen Priorität vor den nationalen Fragen ein; und
beurteilen daher nationale Fragen aus der Perspektive der Klassenfragen.
Und wir sind Internationalist_innen, und auch in den Zeiten des Faschismus,
als die österreichischen Kommunist_innen für ein freies und demokratisches
Österreich gekämpft haben, haben sie nicht allein für die Befreiung des
eigenen Landes, sondern gemeinsam mit den Antifaschist_innen aller Länder für
die Befreiung Europas vom Faschismus gekämpft.
Referat von Walter Baier auf dem bundesweiten Ratschlag der KPÖ zum Thema EU, Wien, 20. Jänner 2018.